Kirche und Sexualität | Teil 07
Das Zweite Vatikanische Konzil

Die Neuerungen des Zweiten Vatikanischen Konzils im Bereich des Sittlichen werden vor allem in der Gewissenslehre und im Eheverständnis deutlich. Sie spiegeln Kontinuität und Diskontinuität der kirchlichen Lehrentwicklung wider und zeugen von einem lebendigen Denkprozess sowie von einem harten Ringen um das rechte Verständnis von Gewissen und Ehe in den jeweiligen sozial- und kulturgeschichtlichen Kontexten.
Papst Gregor XVI. lehnte in der Enzyklika „Mirari vos“ (1832) die Gewissensfreiheit strikt ab und bezeichnete sie als irrige Meinung und überaus verderblichen Irrtum. Die Religionsfreiheit, in der die Gewissensfreiheit gleichsam auf dem Prüfstein steht, wurde von seinem Nachfolger Pius IX. in der Enzyklika „Quanta cura“ (1864) sowie unter den im gesonderten Anhang angeführten Irrtümern „Syllabus errorum“ scharf verurteilt.

Gewissens- und Religionsfreiheit

Die Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils scheinen zu diesen beiden lehramtlichen Texten zunächst in einem unversöhnlichen Widerspruch zu stehen, hat doch das Konzil selbst die Gewissens- ebenso wie die Religionsfreiheit anerkannt und eingefordert. Die wichtigsten Texte sind die Pastoralkonstitution „Gaudium et Spes“ (Nr. 16) und die Erklärung zur Religionsfreiheit „Dignitatis humanae“ (Nr. 2).

Die Päpste in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren bestrebt, dem damals in einem aggressiven antiklerikalen Kleid erstarkenden religiösen Indifferentismus entschieden entgegenzutreten. Vor einem solchen hat auch das Zweite Vatikanische Konzil nicht einfach kapituliert, aber es hat eine andere, angemessenere Antwort gesucht und einer einseitigen Gesetzes- und Gehorsams­ethik gegenüber der kirchlichen Autorität die Freiheit und Verantwortung des Gewissens gegenübergestellt: Jeder Mensch ist befähigt, in seinem Inneren das sittliche Gesetz zu erkennen, welches nicht nur eine beliebige Meinung darstellt, sondern verbindlichen Charakter hat, sodass ihm eine verpflichtende Kraft innewohnt. Die Herausforderung besteht genau darin, dass niemandem sittliche Normen – in welchem Bereich auch immer – aufgezwungen werden dürfen, sondern dass diese in einem Prozess der persönlichen Einsicht angeeignet werden müssen.

Mit der Gewissensfreiheit ist so die Verpflichtung zur Gewissensbildung und des Bemühens um Einsicht in das sittlich Richtige unlösbar gegeben. Der erwachsene, reife Mensch darf die Aufgabe der persönlichen Aneignung dessen, was er im Gewissen als richtig erkannt hat, nicht einfach delegieren an eine äußere Autorität. Er ist seiner Gewissenseinsicht verpflichtet und muss ihr folgen, selbst wenn das Gewissen irrt und dieser Irrtum für das sittliche Subjekt unüberwindlich ist.

Auf diesem Hintergrund sieht die Kirche ihre Aufgabe darin, die Gewissensbildung zu fördern und das sittlich Richtige so einsichtig zu machen, dass es nicht nur als Pflichtnorm, sondern als Bedingung zum Glücken des Lebens anerkannt wird.

Eheverständnis

Ebenso überraschend muten die Neuerungen des Konzils im Eheverständnis an, welches in „Gaudium et Spes“ (Nr. 48–52) ausgeführt wird. Am auffallendsten ist, dass die Konzilsväter die seit der Patristik vorherrschende und vehement verteidigte Ehezwecklehre unmissverständlich überwinden, wonach Zeugung und Erziehung von Kindern der erste Zweck der Ehe sind und die Geschlechtsgemeinschaft erst legitimieren. Als Sinn ist der Ehe und der ehelichen Liebe das Wohl der Partner ebenso eingeschrieben wie die Zeugung von Kindern.

Beide stehen gleichwertig nebeneinander und werden nicht als erst- oder zweitrangig eingeordnet. Das Konzil betont, dass auch in ehelichen Gemeinschaften, die – etwa aufgrund von Unfruchtbarkeit oder Alter der Partner – kinderlos bleiben, der geschlechtlichen Vereinigung als Ausdruck der gegenseitigen Liebe nichts an Würde fehlt.

Bedenkt man, dass im Kodex des kirchlichen Rechtes von 1917 (Can 1013 § 1) noch von der eindeutigen Vorrangstellung des ersten Zweckes der Zeugung und Erziehung von Kindern vor der Geschlechtsgemeinschaft als Hilfe und Heilmittel gegen das Begehren die Rede war, und dass bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts Autoren, die dies in Frage zu stellen wagten, auf den Index der verbotenen Bücher gesetzt wurden, wird ersichtlich, wie einschneidend die Konzilslehre ist. Das entscheidende Kriterium ist die personale Sicht der Ehe als freier Bund der Treue und Liebe, in dem die Fruchtbarkeit als Krönung der Liebe und als Teilhabe an der schöpferischen Kraft gedeutet wird. Das Konzil begründet seine Lehre biblisch in Rückgriff zunächst auf Gen 2,28 (Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei), dann auf Mt 19,4 (Am Anfang schuf der Schöpfer den Menschen als Mann und Frau) und schließlich auf Gen 1,28 (Wachset und mehret euch).

Sexualität ist als Ausdruck der personalen Liebe zu gestalten

Von der sexuellen Liebe in der Ehegemeinschaft als Ausdruck der geschlechtlichen Anlage betont das Konzil, dass sie „auf wunderbare Weise alles übersteigt, was es Entsprechendes auf niedrigeren Stufen des Lebens gibt“ (Nr. 51). Die Sexualität wird hierin in ihrer zutiefst personalen Dimension anerkannt. Sie ist als Ausdruck der personalen Liebe zu gestalten und zu pflegen und darf gerade nicht auf den rein biologischen Akt reduziert werden. Sie findet so nur als Ausdruck der Liebe, der Treue und Hingabe Erfüllung und nicht als Befriedigung eines naturhaften Triebes.

Die Genitalität darf nicht gelöst werden von der personalen und treuen Liebe, in die sie eingebettet bleibt. Die personale Liebe findet auf diese Weise aber auch in der genitalen Sexualität ihren Vollzug, sodass das Konzil festhalten kann: „Wo das intime eheliche Leben unterlassen wird, kann nicht selten die Treue als Ehegut in Gefahr geraten“ (Nr. 51).

Das Konzil hat die Unzulänglichkeit einer jahrhundertelang vorherrschenden naturalistischen und funktionalistischen Sicht der Sexualität deutlich überwunden. Die sittliche Qualität des geschlechtlichen Aktes hängt entscheidend von der personalen Qualität der Beziehung von Liebe und Treue der Geschlechtspartner ab. Für das Konzil steht dabei außer Frage, dass die Rahmenbedingungen einer auf Dauer und Treue hin geordneten Liebesbeziehung nur im Sakrament der Ehe gegeben sind, sodass die Geschlechtsgemeinschaft der Ehe vorbehalten ist.

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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