Expedition Fastenzeit | Teil 07
Das Prinzip Hoffnung durchklettert

Warum haben Sie sich für eine so gefährliche Sportart entschieden?
Beat Kammerlander: Das war in jungen Jahren. Freunde haben mich zum Klettern gebracht, und ich hab das Erlebnis gehabt, einzutauchen in einen Grad der Konzentration, den ich von anderen Sportarten nicht kannte. Ich war fasziniert. Die ersten Erlebnisse waren mit Angst verbunden. Im Nachhinein war es immer eine Selbstbefreiung, ein persönliches Weiterkommen und auch ein Hineinschauen in mich. Das hat mich dann irgendwie süchtig gemacht.

Und wie hat die Familie reagiert?
Die waren natürlich skeptisch. Klettern war zu der Zeit keine sichere Angelegenheit, nicht so wie heutzutage das Sportklettern. Da gab es kaum Klettergärten. Es gab nur gefährliche Routen. Klettern war ein ernsthaftes Abenteuer. Meine Eltern haben es auf der einen Seite schon gut gefunden, dass ich Sport habe und sonst keinen Blödsinn mache. Auf der anderen Seite war ihnen bewusst, dass es mit einem gewissen Risiko verbunden ist. In meiner Jugend war ich ein wilder Mensch. Ich wollte mich beweisen. Meine Mutter sagte eher: „Franz, pass auf, der macht ja was ganz Gefährliches“ – Balancieren auf einem Brückengeländer zum Beispiel. Der Vater meinte: Lass ihn das machen, es ist g’scheiter, ich bin dabei, als ich bin nicht dabei. Er macht es sowieso

Beschreiben Sie dieses Glücksgefühl, das Sie bei einer schwierigen Tour empfinden.
Das ist schwierig zu beschreiben. Auf der einen Seite ist es das Gespür der Körperlichkeit, dass man in extremen Situationen mehr Adrenalin- und Endorphinausschüttung hat. Das sind ja körpereigene Drogen, die bestimmte Gefühle auslösen. Und es ist das Gefühl der absoluten Freiheit. Das ist das Intensivste. Man erlebt einen Zustand, der ist nicht erklärbar.

Sie haben im Vorjahr eine Route gewagt und diese dann „Prinzip Hoffnung“ genannt. Worin besteht da die Hoffnung?
Es ging um eine Erstbegehung. Bevor ich so etwas mache, habe ich eine Vision, aber ich weiß nicht, wie ich das realisieren kann. Am Anfang denkst du: „Das geht sich nie aus.“ Dann kommt ein Prozess der Annäherung, es kommt Idee um Idee – und dann hast du die Möglichkeit, das Ganze zu gestalten. Du bist bereit für die Aktion. Aber das Unterbewusstsein lässt dich noch nicht weiterklettern. Der Mut ist noch nicht vorhanden. Diesen Knoten durchzuschlagen, den Gesamtprozess zu erleben nach dem Motto „Die Hoffnung stirbt zuletzt“. Das meine ich mit „Prinzip Hoffnung“: an das Gute glauben.

Was ist Ihre Lebenshoffnung insgesamt?
Da Worte zu finden ist schon schwer. Ich hoffe, dass ich meinen Weg als Mensch weitergehen kann. Ich meine, mir geht es ja super gut, ich lebe in einer schönen Beziehung und habe alles. Das Schönste ist einfach, gesund zu sein, motiviert zu sein und mit dem, was man hat, glücklich zu sein. Ich will nicht Dinge wie Ruhm und Reichtum suchen, sondern den inneren Frieden. Das wäre eigentlich das Schönste. Wenn dieser Zustand spürbar wird

Haben Sie auch Angst, aus dem guten und schönen Leben abstürzen zu können?
Eigentlich habe ich diese Angst nicht. Ich weiß, dass alles passieren kann und das Leben vergänglich ist. Ich bin eigentlich nur für diese Zeit da und will diese so gut wie möglich nutzen.

Und vor dem Tod, haben Sie da Angst? Sie wagen sich ja oft an den Rand des Möglichen.
Ja, klar. Jeder Mensch hat vor dem Tod Angst, ich genauso. Aber als ich versucht habe, mir das vorzustellen, da fehlte mir die Phantasie. Es ist ein beklemmendes Gefühl. Mit dem muss jeder Mensch leben – und ich genauso wie alle anderen auch

Es gibt viele andere gute Kletterer. Fühlen Sie sich in Konkurrenz?
Starke Persönlichkeiten, die Besten, orientieren sich an der eigenen Leistung, die möglich ist. Sich mit anderen messen zu müssen ist für mich eher ein Zeichen von Schwäche. Im Grunde kann jeder Mensch nur sein Bestes geben, und wenn das gelingt, muss man zufrieden sein.

„Klettern ist ein Spiegel unserer Gesellschaft“, haben Sie in einem Interview gesagt. Können Sie erklären, wie Sie das meinen?
Auf der einen Seite natürlich passiert da genau das Gleiche wie sonst auf der ganzen Welt. Mit positiven und negativen Erscheinungen. Auf der einen Seite gibt es solche, die haben ein Fastfood-Denken. Also einfach möglichst schnell mit möglichst wenig Aufwand Erfolg zu haben. Und dann gibt es welche, das sind die Stillen, die ihre Leistung niemals nach außen tragen. Da gibt es viele Kletterer, die gar niemand kennt, die aber zum Teil besser sind als manche Profis, die das Maul eigentlich sehr weit aufreißen.

Verstehen Sie sich als ein religiöser Mensch?
Schon. Ich bin halt ein Suchender. Aber es ist für mich schwer, einfach an irgendwas zu glauben oder mir was vorzumachen. Es ist schwierig, an Gott zu glauben, für mich persönlich. Ich erlebe Momente, da bin ich ganz sicher, dass es so ist, dann gibt es wieder andere Momente, da hinterfragst du das Ganze.

Interview: Matthäus Fellinger

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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