ADVENT – menschlich betrachtet | Teil 3
Das Leben nicht schwerer machen

Foto: Unsplash

Advent. Von mitgeteiltem Leid und ausgeteiltem Glück.
Nicht in jeder Familie ist die Adventzeit eine Zeit der Vorfreude. Etliche Familien in durchaus beneidenswerten Lagen verderben sich die Freude mit unnötigem Gezänk und Gehetze. Auch gibt es Familien in elenden Lagen, und sie bilden weltweit leider die Mehrheit. Fragen wir uns deshalb, ob irgendein Notausgang existiert, wenn man sich gerade in einer schwierigen Phase befindet. Die Gefahr solcher Phasen ist, dass man auf sich selbst fixiert ist, sich im Kreis um sein Elend und seine Ärgernisse dreht, und vom Selbstmitleid wie in einem Strudel immer tiefer in depressive Stimmungen hineingezogen wird.

Der Notausgang daraus heißt: „Blick über den Tellerrand“. Wer mehr sieht als sein eigenes Ungemach, gewinnt an Weitblick. Und im Weitblick taucht allerlei auf, manchmal sogar eine Lösungschance für ein Problem oder eine Kehrtwende aus einer gedanklichen Sackgasse. Vor allem aber tauchen andere Menschen auf, und siehe da, auch sie haben ihre Sorgen. Das ist schon einmal tröstlich – man steht nicht mutterseelen-allein da mit seinem Schmerz. Man fühlt sich sozusagen einer Solidargemeinschaft leidender Menschen verbunden. Dies hilft, sich zu öffnen, von seinem Kummer zu erzählen statt ihn hinunterzuschlucken; und die Erfahrung lehrt, dass nicht nur „geteiltes“ Leid, sondern auch „mitgeteiltes“ Leid schon halbes Leid ist.

Der Blick über den Tellerrand
Je weiter der Blick über sich selbst hinaus reicht, desto transparenter wird zudem, was andere benötigen, sowie das Ausmaß, in dem man ihnen trotz der eigenen Schwierigkeiten beistehen könnte. Das lenkt den Fokus auf verbliebene Kräfte, die kreativ nutzbar sind. Dabei ist ein Motiv interessant, das ich hervorheben möchte, weil es wenig geläufig ist, nämlich den zart aufkeimenden Wunsch, es jenen anderen, die ebenfalls unter ihren Belastungen stöhnen, nicht noch schwerer zu machen, als es bereits für sie ist. Bei genauer Betrachtung ist das ein außerordentlich nobles und Kraft spendendes Motiv, sich selbst aufzurappeln und nicht im Dauerlamento zu verharren. Wären Familienmitglieder zumindest geringfügig bereit, einander das Leben nicht noch schwerer zu machen, als es sowieso ist, erbrächte dies eine beachtliche Erleichterung für alle.

Als leuchtendes Beispiel seien die „Young Carer“ erwähnt, eine Selbsthilfeorganisation der Spitzenklasse. Es handelt sich um Jugendliche und teilweise sogar noch um Kinder, deren Eltern nicht fähig sind, ein förderliches Zuhause zustande zu bringen. Einer oder beide der Eltern sind suchtkrank oder psychotisch oder schwer behindert oder drohen aus anderen Gründen zu verwahrlosen. Töchter oder Söhne von ihnen springen im frühesten Alter ein, pflegen ihre Eltern, bemühen sich um Geschwister und Haushalt, kaufen ein, kochen, waschen, putzen … alles neben der Schule, während sich ihre Gleichaltrigen unbeschwert vergnügen. Es sind junge Menschen, die erhebliche Schwierigkeiten haben, aber trotzdem über ihren „Tellerrand“ hinausschauen und sich solcherart aufschwingen, Leistungen an der Grenze des Menschenmöglichen zu erbringen. Sie schließen sich zu einer stützenden Gruppe zusammen, sie wachsen vielfach zu kooperativen, reifen Persönlichkeiten heran, und die allermeisten von ihnen entrinnen später einem posttraumatischen Stress, wie Untersuchungen beweisen. Mitten im Konsumrausch der Vorweihnachtszeit sollten wir ihrer und ähnlich gepeinigter Personen besonders gedenken.

Wir geben Brot – sie geben uns Sinn
Gewiss, in unseren Landen sind wir vorwiegend Privilegierte. Die Zeichen mehren sich, dass sich diese Ära ihrem Ende naht. Jetzt aber ist es noch so, und das bedeutet: Was für die körperlich oder seelisch Geplagten ein Notausgang ist, das ist für die Privilegierten eine Verpflichtung. Im Status des Wohlergehens ändert sich die Formel: Nicht „mitgeteiltes“, sondern „ausgeteiltes“ Glück ist doppeltes Glück! Viktor E. Frankl hat das in einem Aufsatz unter dem Motto „Wir geben Brot – sie geben uns Sinn“ auf den Punkt gebracht. Gemeint hat er: Wenn wir, die reichen Industrienationen, den armutsgefährdeten Völkern eine Lebensgrundlage spenden, dann sind keinesfalls bloß sie die Gewinner, sondern wir sind es ebenso.
Wir entwinden uns dem Übersättigungsfrust und den Neurosen einer Überflussgesellschaft und gewinnen an konstruktiven Projekten und Sinnperspektiven, die uns seelisch bereichern und zufriedenstellen. Sie geben uns wahrlich viel zurück, jene Unterprivilegierten, sobald wir unsere Privilegien nützen, um ihren Hunger und ihren Mangel zu mindern. Schon vor 2000 Jahren gab es einen, der das gepredigt hat. Wie wenig haben wir seither auf ihn gehört! Wie lächerlich wenig haben wir diese Erkenntnis auf unser konkretes Leben übertragen! Aber Jahr für Jahr – und bald wieder – gibt es eine Botschaft, die uns daran erinnert: das Weihnachtsfest. Es könnte das eine sein, das uns endlich davon überzeugt. Tauschen wir „Brot“ gegen „Sinn“ – kein schlechter Tausch!

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.

Powered by PEIQ