Aus der Wüste mitten in die Welt | Teil 5
Das Gute kommt aus Nazaret
Lebensbeispiel. Br. Andreas Knapp beschreibt Charles de Foucaulds Spiritualität von Nazaret.
Charles de Foucauld war tief davon berührt, dass Gott sich in Jesus von Nazaret klein gemacht und das gewöhnliche Leben eines Handwerkers gewählt hat. Der christliche Glaube bekennt, dass Gott in Jesus von Nazaret Mensch geworden ist – und damit ein Bruder aller Menschen. Aus dieser Grundüberzeugung folgt eine universale Geschwisterlichkeit, wie sie bereits Jesus zeichenhaft gelebt hat: Er gründete keine eigene Familie, sondern weitete die familiären Strukturen aus. Alle, die auf Gott als Abba, als Vater hören und ihm dadurch zugehören, werden für Jesus zu einem Bruder, einer Schwester, einer Mutter (Mk 3, 31–35).
Bruder aller Menschen
Die Botschaft von Gottes Menschwerdung in Nazaret bedeutet daher, dass die gesamte Menschheit sich als die neue große Familie Gottes verstehen lernt. Auf dieser Linie will Charles de Foucauld sogar zum „Bruder aller Menschen“ werden, wie er schreibt. Daraus folgt eine geschwisterliche Grundhaltung, die allen Menschen gilt, gleich welcher Nation, Rasse oder Religion sie angehören. Konkret hat Foucauld den Muslimen, unter denen er viele Jahre lebte, große Hochachtung entgegengebracht. In einer Zeit, in der sich wieder nationale Egoismen oder konfessionelle Engstirnigkeit breitmachen, braucht es die Besinnung auf das Evangelium: Wenn alle Menschen Töchter und Söhne Gottes sind, folgt daraus eine Solidarität, die sich auch um eine gerechte Verteilung der Güter müht. Und jeder Krieg ist ein Schlag ins Gesicht Gottes, das sich ja in jedem Menschenantlitz spiegelt.
Charles de Foucauld wollte Jesus von Nazaret nachahmen und der Logik der Menschwerdung Gottes folgen: dass Gott sich nämlich in einem einfachen Handwerker gezeigt hat. Nazaret steht für die Verachteten, die Benachteiligten, die Bedeutungslosen. Jesus geht gerade auf die Diskriminierten zu und lässt sie erfahren, dass sie Gottes geliebte Kinder sind. Ganz auf dieser Linie wählt auch Charles de Foucauld seinen Platz bei Menschen, die benachteiligt oder verachtet werden. Damit wird deutlich, dass vor Gott nicht Stellung oder Status zählt, sondern einzig und allein, ob jemand bereit ist zum Dienst für die anderen. Für die Kirche bedeutet dies eine radikale Kritik am Klerikalismus (nach Papst Franziskus ist dieser die schlimmste Erkrankung der Kirche). In der Kirche braucht es das Hören auf alle und Formen der Mitbestimmung, die niemanden ausschließen.
Im Alltag Gott begegnen
Schließlich wurde für Foucauld der Alltag mit seiner Arbeit, mit seinen Freuden und Mühen zum Ort der Begegnung mit Gott. Weil Jesus in Nazaret einen ganz normalen Alltag gelebt hat, können wir in den kleinen Dingen des gewöhnlichen Lebens Gottes Nähe erfahren. Dazu braucht es Augenblicke der Stille, des Inne-Haltens und einen liebevollen Blick. Die Spiritualität von Nazaret lädt ein, solche Momente und Haltungen einzuüben. Wer sich so vom Evangelium und dem Lebensbeispiel von Charles de Foucauld prägen lässt, wird sich für eine geschwisterliche, gerechte und friedlichere Welt einsetzen.
Andreas Knapp (* 1958), Priester und Poet, ist Bruder der Gemeinschaft der Kleinen Brüder vom Evangelium, die nach der Spiritualität Charles de Foucaulds „mitten unter den Menschen“ leben und arbeiten. Er lebt in Leipzig/Deutschland.
mitten in der Welt
unser Stadtviertel
ist unser Kloster
und die belebten
Straßenkreuzungen
sind unser Kreuzgang
unsere Klosterwerkstätten
sind die Fabriken
und unsere Gebetszeiten
werden von der
Stechuhr diktiert
unsere Fürbitten
stehen in der Zeitung
die Probleme der Nachbarn
hören wir als Tischlesung
und ihre Lebensgeschichten
sind unsere Bibliothek
die Gesichter der Menschen
sind die Ikonen
die wir verehren
und im leidgezeichneten
Antlitz schauen wir
auf den Gekreuzigten
Andreas Knapp
aus: Andreas Knapp: Wer alles gibt, hat die Hände frei. Mit Charles de Foucauld einfach leben lernen, bene!-Verlag, 2021.
Autor:SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT |
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