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Religionen am Prüfstand

Ob Religionen eher Friedenspotenzial in sich tragen oder Konfliktfaktoren sind, beschäftigte Fachleute bei einer Tagung im Grazer Rathaus. Zwei Referenten der Tagung teilen hier zwei
Perspektiven zu dieser Frage.

Krieg und Frieden
Religionskriege, fanatisch-religiös motivierte Terroranschläge oder Hinrichtungen – sei es von mutmaßlichen Ketzern, angeblichen Hexen oder schlicht „Andersgläubigen“ – Menschen haben zu allen Zeiten vermeidlich „im Namen Gottes“ auch viel böses getan. Sind Religionen daher von gestern? Sollten wir sie hinter uns lassen, um friedlich miteinander leben zu können? Oder wäre es fatal, wenn die Friedensbotschaften der Religionen, und im Christentum besonders die Stimme des Friedenskönigs Jesus, verstummen? Islamwissenschafter Michael Kramer und Religionswissenschafter Franz Winter haben zwei Perspektiven formuliert.

Dass der Friede ein zentraler Wert im Islam ist,
zeigt sich auch in der muslimischen Begrüßung.

Michael Kramer 
ist Dozent am Institut für Islamisch-Theologische Studien der Universität Wien.

Entsprechend dem Konzept des „Weltethos der Religionen“ von Hans Küng teilen die großen Weltreligionen universelle ethische Werte, Normen und Grundhaltungen, die sie als potenzielle Friedensstifter ausweisen. Im Islam bildet die islamische Sozialethik, abgeleitet aus dem Koran und der Sunnah (den Überlieferungen des Propheten Muhammad), die Grundlage für Frieden. Besonders das vorbildhafte Verhalten des Propheten Muhammad gilt als Orientierung für den friedlichen Umgang mit Andersgläubigen und lässt sich unter anderem in einer spezifischen Nachbarschaftstheologie wiederfinden, die vorschreibt, NachbarInnen mit Güte und Respekt zu behandlen. Die islamischen Quellen betonen zentrale Prinzipien wie Gerechtigkeit, Ehrlichkeit, Verantwortungsbewusstsein, Güte, Höflichkeit und gegenseitigen Respekt, die sowohl die zwischenmenschlichen Beziehungen als auch das gesellschaftliche Zusammenleben prägen sollen. Dabei wird der Schutz der Würde jedes Einzelnen, die Achtung der Rechte anderer, die Förderung von Wissen sowie die Zurückweisung von Zwietracht und übler Nachrede besonders hervorgehoben.
Dass der Friede ein zentraler Wert im Islam ist, zeigt sich auch in der muslimischen Begrüßung „as-salamu alaikum“ (Friede sei mit euch) und ihrer Antwort „wa alaikum as-salam“ (Und Friede mit euch).
Krieg hingegen ist gemäß der klassischen islamischen Lehre nur zur Verteidigung gestattet. Das islamische Kriegsrecht regelt dabei klar, wer mit welchen Mitteln bekämpft werden darf. Es ist z. B. überliefert, dass der Prophet Gefangene freiließ, wenn sie zehn Mitgefangenen das Lesen und Schreiben beibrachten.

Die Verstärkerfunktion, die Religionen zukommt,
kann in unterschiedliche Richtungen wirken.

Franz Winter

ist Universitätsprofessor für Religionswissenschaft an der Katholisch-theologische Fakultät
der Universität Graz

Lange Zeit war es üblich, den Faktor Religion primär über seinen positiven Einfluss auf das menschliche Zusammenleben zu bestimmen. Eine generelle Zuordnung zum Guten, Wahren, Schönen war eine Art Begleitmusik dieser Wahrnehmung, vor allem, aber nicht nur im theologischen Kontext und in der Eigen-
darstellung.
Dem steht seit geraumer Zeit ein immer kritischer werdender Blick gegenüber, der diese grundsätzliche Zuordnung massiv problematisiert. Die Aussage etwa, dass eine Religion – welche auch immer – „das Gute“, „den Frieden“ oder ähnliches repräsentieren würde, scheint bei näherer Betrachtung vieler historischer Prozesse aber auch gegenwärtiger Entwicklungen völlig abwegig.

Ins Gute aber auch ins Schlechte
Auch die Rede von „Instrumentalisierung“ oder „Missbrauch“ von Religionen greift viel zu kurz: Bis in die Gegenwart spielen explizit religiöse Argumentationsfiguren eine negative Rolle in vielen Konfliktkonstellationen, und es steht völlig außer Frage, dass Religionen, ihre Texte und ihre Traditionen genügend Material für ebensolche Argumentationen liefern.
Offensichtlich präsentieren sich auch religiös motivierte Akteure durch die Geschichte hindurch von unterschiedlichen Faktoren, politischen, sozialen, ökonomischen usw., bestimmt. Die Verstärkerfunktion, die Religionen zukommt, kann dabei in unterschiedliche Richtungen Auswirkungen haben: ins Gute, aber auch ins Schlechte.
Beide Autoren waren Vortragende bei der Interreligiösen Fachtagung „Religionen – Friedenspotenzial oder Konfliktfaktor?“ am 19. und 20. November im Grazer Rathaus.

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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