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Mutter Erde oder Vater Beton?
Unser Boden trägt uns, aber wie viel kann er ertragen? Hanna Simons vom WWF Österreich kürt die Steiermark zum traurigen Spitzenreiter in Sachen Bodenversiegelung. Der Boden-experte Martin H. Gerzabek warnt vor den Folgen, wenn unser Boden nicht mehr fruchtbar ist.
Problem Bodenversiegelung
Unser „Erdboden“ muss viele Funktionen für uns erfüllen: Er muss uns „tragen“, Straßen, Wohnhäuser, Krankenhäuser, Geschäfte … Aber der Boden ernährt uns auch, durch Acker- und Weideflächen. Und zu guter Letzt hält der Boden unser Ökosystem in Takt. Er lässt Regen versickern und Pflanzen und Bäume wachsen, die unsere Luft reinigen, er ernährt große und kleine Tiere, die die Natur im Gleichgewicht halten. Doch nur – wenn wir ihn lassen. Und nicht, wenn wir ihn versiegeln. Der Bodenexperte Prof. Gerzabek und die Naturschutzorganisation WWF schlagen Alarm, dass die Versiegelung unserer Böden nicht so weitergehen darf.
Versiegelte Böden verlieren alle Ökosystemfunktionen.
Martin H. Gerzabek
ist Professor am Institut für
Bodenforschung an der Universität für Bodenkultur in Wien
Der Boden spielt für die Funktionen unserer Ökosysteme eine herausragende Rolle. Die Biomasseproduktion steht für uns sicher im Vordergrund. Ebenso wichtig sind auch die Lebensraumfunktion – also der Boden als Habitat zahlreicher Mikroorganismen, Tiere und Pflanzen – und die Wasserspeicherung, die Filterung und der Abbau von Schadstoffen. Leider stehen diese Funktionen mit weiteren gesellschaftlichen Ansprüchen, insbesondere mit der Rohstoffentnahme und vor allem mit der Infrastrukturfunktion, in einem starken Konkurrenzverhältnis. Versiegelte Böden verlieren alle Ökosystemfunktionen. Darüber hinaus ist der Schutz von Böden vor Schadstoffeinträgen, Überdüngung, Verdichtung und Erosion ein wichtiges Anliegen. Nur wenn wir erfolgreich sind, werden wir die Biodiversitätskrise (Verlust der Artenvielfalt) verlangsamen und die Ernährung der Bevölkerung sicherstellen können.
Paradigmenwechsel Richtung Nachhaltigkeit
Der Klimawandel wird sich negativ auf die Ertragfähigkeit der meisten österreichischen Ackerböden auswirken. Die Bodenfruchtbarkeit droht bis 2050 im Osten und Südosten Österreichs um 25 bis 50 Prozent abzunehmen. Höhere Produktivität werden nur alpine Standorte und das Alpenvorland aufweisen. Wir benötigen daher einen Paradigmenwechsel in Richtung einer nachhaltigen Intensivierung der Böden. Die Nutzung unserer Böden für Primärproduktion und als Habitat für Naturräume muss Vorrang vor allen anderen Nutzungsansprüchen bekommen. Aus ethischer Sicht sehe ich die Verpflichtung für uns Christen, uns in diese Veränderungsprozesse aktiv einzubringen.
Der WWF fordert einen Bodenschutzvertrag mit Obergrenzen.
Hanna Simons
ist Programmleiterin der Naturschutzorganisation WWF (World Wide Fund For Nature) Österreich
Für Einkaufszentren, Industriehallen oder Straßen begraben wir unsere Natur unter Beton und Asphalt. Wälder, Wiesen und Felder verschwinden. Lebens- und Erholungsraum wird unwiederbringlich zerstört. Österreich gehört in der „Disziplin Bodenverbrauch“ zu Europas Spitzenreitern. Mit einem Flächenfraß von durchschnittlich 3,3 Hektar pro Tag liegt die Steiermark auf dem unrühmlichen ersten Platz unter Österreichs Bundesländern. Die „Grüne Mark“ verbaut allein deutlich mehr, als das Nachhaltigkeitsziel für ganz Österreich vorsieht (nur 2,5 Hektar). Das trifft Tiere, Pflanzen und uns Menschen. Denn ohne intakte Natur gibt es kein sauberes Wasser, keine gesunden Lebensmittel, keine gute Luft. Durch versiegelte Flächen leiden Menschen verstärkt unter Hitze, Lärm und Stress. In Zeiten der Klimakrise wird deutlich: Wir brauchen unsere Natur dringender als je zuvor.
Natur statt Beton
Dass langsam ein Umdenken stattfindet, zeigt etwa der gescheiterte Bau des Amazon-Lagers bei Graz – ein bodenfressendes Mega-Projekt, das nur durch großen Protest verhindert werden konnte. Die Politik erkennt die Dringlichkeit zu langsam. Kompetenzverteilungen sorgen dafür, dass die Verantwortung für den Bodenschutz immer auf die jeweils andere politische Ebene geschoben wird. Deshalb fordert der WWF einen Bodenschutzvertrag mit verbindlichen Obergrenzen für den Bodenverbrauch für ganz Österreich. Damit wertvolle Natur und unsere Lebensgrundlagen nicht mehr für (kurzfristige) Profite unter Beton verschwinden.
WWF-Petition: www.natur-statt-beton.at
Autor:SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT |
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