Kommentar
Dinge beim Namen nennen
„Leitkultur: Wo bleibt das Christliche?“, fragt Ethiker Ulrich Körtner. KA-Präsident Andreas Gjecaj formuliert eine Antwort in vier Thesen.
Mit vier Thesen reagiert der Präsident der Katholischen Aktion Steiermark, Andreas Gjecaj, auf die Frage, die der Wiener Theologe und Ethikprofessor Ulrich Körtner kürzlich in der Kleinen Zeitung (14. April) stellte: „Leitkultur: Wo bleibt das Christliche?“
1. These: Österreich ist ein Land im Wandel.
Der Versuch, Österreich mit einem Wort zu beschreiben, birgt natürlich die Unschärfe von Trends, wo Einzelbeispiele auch völlig gegenläufig sein können. Dennoch können Beschreibungen des gesellschaftlichen Mainstreams hilfreich sein.
In den ersten 20 Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg war das zerbombte und im Wiederaufbau befindliche Österreich ein „Auswanderungsland“. Viele Geschichten von Frank Stronach bis Arnold Schwarzenegger belegen dies ebenso, wie Chicago, das als größte Stadt des Burgenlands gilt, weil dort mehr Burgenländer:innen leben als in Eisenstadt.
Seit Mitte der 1960er Jahre war Österreich für rund zwei Jahrzehnte ein „Gastarbeiterland“. Dies vor allem, weil unmittelbar nach dem Krieg Frauen aus der Erwerbsarbeit wieder hinausgedrängt wurden und in den Jahren der Hochkonjunktur mehr Arbeit als Arbeitskräfte vorhanden war und man daher in Jugoslawien und der Türkei mit Agenturen nach Gastarbeitern suchte.
In den 1970er Jahren fragte ein Plakat zu einer Kunstaktion im „Steirischen Herbst“: „Ich heiße Kolaric. Du heißt Kolaric. Warum sagen sie zu dir Tschusch?“ Doch seit über 30 Jahren, seit Anfang der 1990er, ist Österreich ein „Einwanderungsland“ ohne Einwanderungspolitik!
Belegt wird dies eindrucksvoll, weil – obwohl die Bevölkerungszahl von 7 Millionen auf 9 Millionen gestiegen ist und Österreich bei den Asylanträgen permanent im Spitzenfeld in der EU rangiert – kein Ministerium für Einwanderung besteht. Die Rechnung für diese ungesteuerte Zuwanderung bezahlen wir derzeit in Schulen, Spitals-Ambulanzen und in Wiener Problem-Bezirken, sowie in tiefen Brüchen unserer Gesellschaft und dem Erstarken rechtspopulistischer Parteien in ganz Europa.
2. These: Wer „Leitkultur“ sagt, muss erklären was gemeint ist.
So wird man wohl zuerst klären müssen, was wir meinen, wenn wir von „Kultur“ sprechen. Zunächst einmal ist Kultur ein Gegenpol zur Natur, wie wir sie in eindrucksvollen Dokumentarfilmen, wie z. B. Universum, zu sehen bekommen. Weil fressen und gefressen werden – 24 Stunden, 7 Tage die Woche – das Leben auf diesem Planeten für die Tier- und Pflanzenwelt bestimmen, ist „menschliches“ Leben eine Kulturleistung. Sie hat sich dabei in der Geschichte unterschiedlich entwickelt und wird bis heute auf verschiedenen Kontinenten unterschiedlich gelebt.
Die Wurzeln europäischer Kultur werden gerne mit den drei Hügeln Akropolis, Palatin und Golgota beschrieben. Dabei steht die Akropolis in Athen für die Demokratie und die Philosophie, der Palatin in Rom für das römische Recht und Golgota in Jerusalem für die Religion. Selbstverständlich gehören die Sprachen, die wir sprechen, die Musik, die wir hören, die Tänze, die wir tanzen ebenso zur Kultur wie alle Kunstformen bis hin zur Kulinarik. Ein scheinbar unerschöpfliches Feld, bei dem es nicht ausreicht, sich auf festgeschriebene Gesetze oder etwa Menschrechte zurückzuziehen.
Wie bei der Musik, müssen wir die schwarzen Kugeln auf den 5 Strichen, die wir Noten nennen, mit Leben füllen und singen und/oder Instrumente spielen. Es reicht eben nicht aus, zu behaupten, wir hätten in Europa ohnehin alles festgeschrieben, sondern wir müssen Kunst und Kultur – und besonders deren Freiheit – täglich neu erkämpfen. Es soll eben nicht die „Sprachpolizei“ regeln, wie wir sprechen, nicht die „Jazzpolizei“, wie wir Musik machen und schon gar nicht sollen „Sittenwächter“ bestimmen, wie wir uns kleiden.
3. These: Das Evangelium des Christentums ist eine befreiende Botschaft.
Der Apostel Paulus schreibt in seinem Brief an die Galater: „Zur Freiheit hat uns Christus befreit. Bleibt daher fest und lasst euch nicht von neuem das Joch der Knechtschaft auflegen!“ Die Bewahrung der Freiheit – ein Dauerauftrag für Christinnen und Christen – und daher auch und besonders für die Katholische Aktion Steiermark, macht den Ruf nach mehr Polizei und neuen Gesetzen schwer vorstellbar. Vielmehr gefordert ist unser Engagement als Teil der Zivilgesellschaft.
Ein Beispiel aus den 1990ern: Beim kriegerischen Zerfall Jugoslawiens gab es eine Fluchtwelle, mit der eine muslimische Familie aus Bosnien nach Österreich kam und in einer steirischen Pfarre untergebracht wurde. Man fand eine Arbeit für den Vater und die drei Kinder kamen in die örtliche Volksschule. Schon in der ersten Schulwoche gab es großes Erstaunen, weil die Mutter im Schulhof erschien und dem Buben in der großen Pause eine frisch zubereitete Jause mitbrachte. Die beiden Mädchen bekamen nichts, sie hatten auch keine Jause in der Schultasche. Nun, die Mutter hat sich damit nicht strafbar gemacht – und es ist eben keine Frage für die Justiz und soll auch nicht dazu gemacht werden – aber es ist eine Frage der Kultur, ob wir dieses gleiche Recht für Mädchen und Buben, für Frauen und Männer, schon im Kindergarten und in der Schule mit Leben füllen.
Es nützt also wenig, wenn die Europäische Menschenrechtskonvention in Österreich im Verfassungsrang steht, wenn die gelebte Praxis eine völlig andere ist. Mittlerweile ließen sich in vielen Schulen ganze Bücher füllen, von Vätern, die den Lehrerinnen (diesmal sind wirklich Frauen gemeint) den Handschlag verweigern und der schweigenden Mehrheit, die diesem Phänomen scheinbar hilflos gegenübersteht. Zugleich muss uns bewusst sein, wie zerbrechlich die uns zugesagte Freiheit ist. In diesem Spannungsfeld erscheint die Debatte um eine Leitkultur in Europa durchaus wünschenswert.
4. These: Der Dialog ist ein wertvolles Werkzeug der Konfliktbewältigung.
Es erscheint völlig klar, dass es bei der Leitkultur-Debatte nicht um Blasmusik und Trachtenanzüge gehen kann. Wobei die Lederhose doch einen hilfreichen Hinweis liefern würde. An der Seite ist nämlich eine kleine Tasche für den „Taschenfeitl“ (ein klappbares Messer) vorgesehen. Also stimmt das Argument, dass es Messerstechereien immer gegeben habe. Bei genauerer Betrachtung stellt sich aber heraus, dass sich in der Kriminalstatistik die Anzahl der Delikte mit Messern von 100 pro Jahr in ganz Österreich, auf 400 pro Jahr vervierfacht hat. Da hilft kein Wegschauen!
Wie können wir von der Gewalt der Straße, wo die Messer sprechen, zu einer Gesprächskultur im Dialog gelangen? Zunächst dürfen uns „Killer-Phrasen“ nicht mundtot machen, und wir müssen Dinge beim Namen nennen. Im gegenseitigen Respekt ist ständig der Dialog zu suchen und auch vom Gegenüber einzufordern.
Gemeinsam müssen wir Fakten außer Streit stellen, weil: „Jeder Mensch hat das Recht auf eine eigene Meinung, aber kein Mensch hat das Recht auf eigene Fakten!“ (Psychiaterin Heidi Kastner) Und dann, möglicherweise unangenehm: Klar aussprechen, was im Europa des 21. Jahrhunderts nach Christus geht und erwünscht ist, und was eben nicht geht – ob man es nun Leitkultur nennt oder nicht, ist dabei nicht so wichtig.
Unverzichtbar allerdings ist es, die Freiheit zu bewahren. Im wertschätzenden Dialog wird manches – leider nicht alles – gelingen. Deswegen ist auch die Debatte über eine „Leitkultur“ ein weiterer Faden, den wir im Dialog vernetzen können. Nutzen wir die Chance, damit auch unsere Kinder und Enkel den Ausruf vom Balkon des Schlosses Belvedere aus dem Jahr 1955 weitertragen können: „Österreich ist frei!“
Autor:SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT |
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