Interview
Krieg in Bildern
Interview mit Elmira Shemsedinova, einer ukrainischen Künstlerin.
Wegen des Krieges musstest du deine Heimat verlassen und versuchst nun, deine Erfahrungen künstlerisch zu verarbeiten.
Der Krieg in der Ukraine hat ja schon vor acht Jahren begonnen, was in Europa eigentlich fast unbemerkt geblieben ist. Damals hat meine Familie durch die russische Annexion der Krim ihr Haus dort verloren, das mein Großvater gebaut hatte. Dort hatte ich mit meiner Familie immer die Sommermonate verbracht. Meine Vorfahren sind Krimtataren. Meine Onkel und Tanten, die noch dort leben, sprechen die Sprache der Krimtataren. Sie haben die russische Staatsbürgerschaft, am Referendum zum Anschluss an Russland haben sie allerdings nicht teilgenommen,
weil sie sich nie als Russen empfunden haben.
Die Bilder, die in deiner Heimat entstanden, sind farbig. Die Bilder, die du hier in Österreich begonnen hast, sind fast monochrom. Was hat sich verändert?
Zwischen den farbigen Skizzen auf der Krim und den neuen Arbeiten liegen acht Jahre. Inzwischen sieht man am Horizont des Schwarzen Meeres die russischen Kriegsschiffe. Das geht mir einfach nicht aus dem Sinn, obwohl ich es nicht sehen kann und real auch nie gesehen habe. Die Horizontlinie, die für mich einmal für unendliche Weite, Schönheit und Freiheit gestanden
war, ist nun von Angst und Furcht besetzt.
Was bedeutet Frieden für dich?
Für mich persönlich ist Frieden, wenn jeder Mensch die Freiheit hat, seine Gefühle zu leben und frei ausdrücken zu können. Frieden bedeutet, sozial und physisch geschützt zu sein und in eine gesicherte Zukunft schauen zu können. Es ist für mich unglaublich schmerzhaft und auch unverständlich, warum dieser sinnlose Krieg in meiner Heimat im 21. Jahrhundert nach all den Erfahrungen des 20. Jahrhunderts beginnen konnte und noch immer weitergeht. Wir alle, die Menschen der europäischen Gemeinschaft, sind nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem Ruf „Nie wieder!“ aufgewachsen. Aber
es ist wieder passiert.
Bist du in Kontakt mit deinen Verwandten auf der Krim? Was hörst du von dort?
Die Situation dort ist sehr schwierig. Die Aussöhnung der Krimtataren mit Russland ist nicht möglich, da die Tataren die russische Regierung nicht unterstützen. Sie können aber auch ihren Protest nicht wirklich zum Ausdruck bringen, weil die Bevölkerungsgruppe sehr klein ist. Viele Aktivisten sind einfach verschwunden, und man weiß nicht, wo sie hingebracht wurden. Krimtatarische Schulen werden geschlossen oder auf die russische Sprache umgestellt. Das erzeugt einen immensen psychologischen Druck in der Bevölkerung. Aber die Heimat zu verlassen ist für die Tataren keine Option, denn die meisten von ihnen konnten erst nach dem Zusammenbruch der UdSSR in den 1990er Jahren aus
der Deportation in ihre Heimat zurückkehren.
Wie geht es dir hier in Österreich?
Ich bin sehr froh, hier in Österreich sein zu können. Ich fühle mich auch sehr gut aufgenommen. Vor allem aber fühlte ich mich nach meiner Ankunft in Österreich zum ersten Mal wieder sicher. Ich war ja in Kiew, als die Stadt bombardiert wurde. Als ich in Graz ankam, war ich sehr erschöpft! Immer in Sorge zu sein um meine Verwandten und Freunde, das belastet mich sehr. Die Vorstellung, als Künstlerin auch eine Botschafterin meines Landes und der Ungerechtigkeit, die dort passiert, sein zu können, hilft mir sehr.
DAS INTERVIEW FÜHRTE ALOIS KÖLBL
Veranstaltungstipp:„Tense Horizon“ – Eröffnung mit Performance im Rahmen der Galerientage: Samstag, 13. Mai, 11 Uhr, QL-Galerie, Leechgasse 24, Graz.
Autor:SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT |
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