Film
Jeder ist Christus

Großartig: Bartosz Bielenia als „Daniel“, der in dem Film „Corpus Christi“ vorgibt, ein Priester zu sein, und Menschen begeistert. | Foto: Arsenal
  • Großartig: Bartosz Bielenia als „Daniel“, der in dem Film „Corpus Christi“ vorgibt, ein Priester zu sein, und Menschen begeistert.
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Verstörend schön, spannend wie ein Thriller und gewohnte Sichtweisen aufbrechend: das ist der preisgekrönte polnische Film „Corpus Christi“ über einen jungen Mann, der sich als Priester ausgibt.

Daniel wirkt wie ein Asket. Kurz vor seinem 21. Geburtstag auf Bewährung aus dem Gefängnis entlassen, will er Priester werden. Der Funke des Glaubens, der durch den Gefängnispriester Tomasz entfacht wurde, hat sich entzündet. Daniel ist der Alte – und doch ist da etwas ganz Neues in ihm gewachsen. Im Rucksack hat er schon die Ausrüstung für sein neues Leben: Kolar, schwarzes Hemd. Und anstatt ein Wiedereingliederungsprogramm in einem Sägewerk zu absolvieren, stürzt er sich zunächst ins Nachtleben und danach ins nächste Dorf. Dort stolpert er von einem Malheur ins nächste.
Geht es in „Corpus Christi“ um den jungen vermeintlichen Priester oder um Schuld, Sühne und Rache? Oder nicht vielmehr um die Frage: Was macht den Kern des christlichen Glaubens aus? Wer darf in Gottes Namen sprechen? – Schon der Titel „Corpus Christi“ lässt Bilder im Kopf entstehen, die bei kirchlich Engagierten und Fernstehenden unterschiedliche Erwartungen wecken. Daniels Geschichte, die auf einer wahren Begebenheit beruht, berührt auf vielen Ebenen. Großartig die schauspielerische Leistung von Bartosz Bielenia unter der strengen Regie von Jan Komasa. Wunderbar, wie die Kamera Stimmungen, Landschaften, Szenen aus dem Alltag ohne Kitsch und Pathos einfängt.

Unorthodox geht Daniel mit der traditionell geprägten Kirchengemeinde um. „Jeder von uns ist Christus! Gott ist nicht hier vorne, er ist mitten unter uns, jetzt, hier!“, predigt er und gewinnt zusehends die Herzen der Gemeindemitglieder. Diese haben – so wie er – ein dunkles Geheimnis: Ein Autounfall mit sieben Toten treibt einen Keil in das Dorf. War es Mord, ein Unfall? Vergebung für den verstorbenen Lenker und seine Frau scheint nicht möglich. Ein Häfenbruder enttarnt und erpresst ihn, die emotionale Nähe zur Tochter der Mesnerin, die durch den Autounfall ihren Bruder verloren hat, führt zur körperlichen Begegnung. Tomasz findet ihn und will ihn abholen. Der Weg zurück führt zum Ausgangsort der Geschichte, dem Jugendgefängnis. Daniel wird von einem Mithäftling zum Kampf gezwungen. Die letzten Bilder von ihm: verstörend, gewaltvoll. Sein Gesicht gleicht einem Totenkopf. Der Film lässt das Publikum zurück mit großartigen, dramatischen Bildern – vieles bleibt bewusst offen.

Elisabeth Leitner

Corpus Christi
Ein in der Haft bekehrter junger Mann wird nach Ostpolen aufs Land geschickt, wo er sich in einem Sägewerk bewähren soll. In dem fremden Dorf gibt er sich als Priester aus und übernimmt die Stelle des erkrankten Pfarrers, was sich als Glücksfall entpuppt, da er nach einem tragischen Unglück die aufgebrachte Atmosphäre mit unkonventionellen Mitteln zu befrieden versucht.
Das mit kühler Sachlichkeit inszenierte Drama erinnert an die Filme von Robert Bresson und entwirft ein differenziertes Zeitbild der polnischen Gesellschaft, die mit moralisch-ethischen Herausforderungen ringt.

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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