Kultur
Bezirke des Heiligen

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Harald Haslmayr folgt Willibald Hopfgartners „Annäherungen“ in „Das Heilige im Werk Peter Handkes“.

Palmsonntag Morgen 2012, Korsika: Strahlender Sonnenschein, noch klarer Schneewind von den Bergen her, unten vom Meer der Duft nach Schaumkronen, Zitronen und Macchie, all dies unter stahlblauem und gleichzeitig mildem Himmel – mit Peter Handke bin ich die letzten Kilometer zu Fuß unterwegs hinauf zur Palmprozession in einem kleinen Bergdorf.

Auf dem Platz vor dem Kirchlein haben sich bereits die Gläubigen versammelt, da treten aus dem Inneren die Ministranten ganz in Weiß mit rauchenden Weihrauchfässern und Palmzweigen heraus, gefolgt von einem Priester aus Zentralafrika in seinem leuchtend märtyrerroten liturgischen Gewand.
In diesem flüchtigen Augenblick des Anschauens dieser liturgischen Szene ereignete sich eine jähe Erfahrung des Heiligen in österlicher Vorahnung!

Seit diesem unvergesslichen korsischen Sonntag kreisen viele Gespräche zwischen Peter Handke und mir immer wieder um das Heilige, die Erzählungen der Bibel, die Heilige Messe der katholischen Kirche und vor allem deren Sieben Sakramente.

Der Franziskanerpater, Germanist und Pädagoge Dr. Willibald Hopfgartner unternimmt in den neun Kapiteln seines Buches, das getrost als die Summe eines lebenslangen kundigen Lesens und geduldigen Studierens gelten kann, den Versuch, diese einzelnen Themenkreise im Werk Peter Handkes zu beleuchten.
Er wählt keinen chronologischen Weg durch das Schaffen des Nobelpreisträgers, sondern gestaltet die Anordnung der „Bezirke“ des Heiligen aus der Perspektive seines Priesteramtes.

Seine „Annäherung“ an das Heilige ist zwar in der Handkeforschung nicht die erste, doch ist Hopfgartner bisher der einzige Buchautor, der als Priester tausende Male gerade jenes Altarsakrament vollzogen hat, das eine so wichtige Rolle in Werk und Leben Peter Handkes spielt.

Hopfgartner schöpft aus seiner Erfahrung von Sprachstudium und Sakramentsvollzug zugleich, was den Text davor bewahrt, in devote Frömmelei abzugleiten.

Doch geht es keineswegs um ein Niederreißen der Schwelle zwischen „Heiligem“ und „Profanem“, sondern um den Akt der WANDLUNG, zu dem sowohl Sprache als auch Sakrament berufen sind – im ursprünglich katholischen Sinn unvermischt und ungetrennt!

Harald Haslmayr

Handke. Heilig.
Das Heilige ist der geläufigen Wahrnehmung der Menschen weitgehend entschwunden. Umso erstaunlicher, dass im Werk Peter Handkes das Heilige ein strukturbildendes Element darstellt. Harald Haslmayr, Professor für Musikästhetik an der Kunstuniversität Graz, folgt Willibald Hopfgartners „Annäherungen“ in „Das Heilige im Werk Peter Handkes“ mit einem erstaunlich frischen und persönlichen Blick.

O-Ton
Von der Ich-Sorge zur Aufmerksamkeit
»Sorger ging noch in eine Kirche und nahm, von einem schwarzgekleideten Mann mit weißer Nelke im Knopfloch (›Wo wünschen Sie zu beten?‹) eigens zur Bank hinbegleitet, an der Sonntagsmesse teil. (…)
Ein Schwanken ging durch die Welt, als das Brot in den göttlichen Leib und ›simili modo‹, der Wein in göttliches Blut verwandelt wurde. ›ln ähnlicher Weise‹ ging das Volk zur Kommunion. In ähnlicher Weise stolperte ›ich, Sorger‹ wieder als Ministrant über den Teppichrand. Entschlossen kniete der Erwachsene nieder. In ähnlicher Weise wurde er von Unbekannten gegrüßt; ging auf der vormittagshellen Straße an einer fröhlichen Begräbnisgesellschaft vorbei, besichtigte an der benachbarten Avenue eine ziemlich militärisch kostümierte Parade einer südslawischen Volksgruppe, zu der sich seine Vorfahren noch dazugerechnet hatten (…).«
Sorger erlebt die Wandlung als ein heiliges Geschehen, das vom Altar aus an die Grundfesten der Erde rührt.
Es ist die Erfahrung von etwas Heiligem in der Form des tremendum, das ihn sofort niederknien lässt. Mit beglückender Wucht ist in ihm das heilige Geschehen wieder da, wie er es als Ministrant erlebt hat. Doch es geschieht noch mehr: »Simili modo«, in ähnlicher Weise wie in der Wandlung Brot und Wein verwandelt werden, erlebt er sich selbst verwandelt zur Teilnahmefähigkeit und die Menschen in der Kirche als ihm zugehörig.
Als Verwandelter tritt er aus der Kirche, wo er jetzt als freundlicher Passant am Leben der Straße teilnimmt. Es ist, wie wenn das letzte Wort des Priesters in der lateinischen Messe: lte, missa est, sinngemäß: »Geht, ihr seid gesendet«, nun sein Herz erfüllte. Aus der Ich-Sorge wurde eine neue Aufmerksamkeit für die Menschen. Ein neues Band zwischen Ich und Welt ist entstanden.

Aus: Hopfgartner, Das Heilige, 15f.

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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