Positionen - Elisabeth Wimmer
Vor Sonnenaufgang

Jeder Mensch, der Geschichten erzählen will, müsse „an Außerirdische predigen können“. Das sagte der steirische Büchner-Preis-Träger Clemens J. Setz in der Dankesrede bei der Preisverleihung. Er nennt das, was erzählt wird, „das Unübertragbare“. Wohl weil Erfahrungen, von denen ein erzählender, verkündender Zeuge spricht, von anderen Menschen nicht in gleicher Weise gemacht und deshalb nur eingeschränkt verstanden, eben nicht einfach auf ein anderes Leben „übertragen“ werden können. Das hörende Gegenüber kommt aus seinem eigenen Universum mit dessen Rhythmus von Tag und Nacht, je eigener Geschichte und Verstehenslandschaft.

Es ist Osterzeit, und ich Außerirdische bekomme einige Begegnungen mit dem Auferstandenen erzählt – „unübertragbare“ Zeugnisse jenseits meiner Erfahrungen. Denn wie soll ich einen ewig lebendigen Friedensbringer verstehen, wo doch diesseits der zwei Grabesnächte Teile der Welt vor Unfrieden rauchen, wo manch geharnischter Arm Urteile über Wahrheit und Freiheit erzwingt, wo man auch im kleinen Leben am eigenen Siegeswillen scheitert und wo weiterhin wirklich tot ist, wer starb? – Ratlos stehe ich Außerirdische vor der vertrauten Nachricht „Auferstanden!“. Ein rasches „Halleluja“ ruft da noch keine Morgensonne herbei.

Uns bleibt, die Gärten rund um die Grabmäler unser kleinen und großen Welt zu durchpflügen. Hier liegen blühende Liebesgärten neben Schlachtfeldern, Gärten für Einsame und Irrläufer, für ringende Menschen, von denen vielleicht ab und zu einer – kann es wirklich geschehen? – den Finger in eine Wunde legt und zum Zeugen wird …

Elisabeth Wimmer

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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