Mutworte - Ruth Zenkert
Selbst die Schnecken

Foto: privat

Mit den Schnecken hat alles angefangen. Wenn im Frühjahr der Regen kommt, rücken Frauen und Kinder mit Eimern aus in die Wiesen und Wälder, um Weinbergschnecken einzusammeln. Die geben sie dann ab bei „Onkel Remus“, der sie in zwei alten Badewannen im Hof sammelt. Pro Kilo bekommen sie 50 Cent. Bald kommt der LKW in die Dörfer. Er bringt die Tiere nach Frankreich. Remus verkauft sie um das Dreifache, da er die Schnecken schließlich beherbergen und den Ausreißern nachjagen muss.

Da bei ihm viele Leute ein- und ausgehen, bringt der Bäcker sein Brot zu ihm, Remus verkauft es an die Dorfbevölkerung. Dazu Kaffee, Zigaretten, Bier, Käse und Seife. Remus ist ein geschickter Geschäftsmann, er schlägt bei allem etwas für sich heraus. Der Minikonzern „Zwei Schritte“ nimmt ihn in Vertrag und bringt eine breite Auswahl an Waren. Remus fährt inzwischen ein dickes Auto und trägt auch an trüben Tagen eine Sonnenbrille. Man darf ihn nicht mehr „Onkel Remus“ nennen, sondern siezt ihn mit „Herr Popescu“.

Er kann sich alles leisten, was er will. Die jungen Mädchen laufen ihm nach, nicht weil er so schön wäre, sondern weil er allerlei Möglichkeiten bietet. Allerdings nicht lange. Seine Familie zerbricht. Eines Nachts fährt er betrunken mit zu hoher Geschwindigkeit. Er verliert die Kontrolle, der Wagen überschlägt sich. Monatelang liegt er schwer verletzt im Spital. Alle Geschäftspartner ziehen sich zurück. Keiner macht einen Krankenbesuch beim Herrn Popescu. Selbst die Schnecken laufen ihm davon.

Ruth Zenkertist Mitarbeiterin der von P. Georg Sporschill, SJ., gegründeten sozialen Werke in Rumänien. Aus: elijah.ro/bimail

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.

Powered by PEIQ