Positionen - Leopold Neuhold
Die lieben Prozeduren

Eine Krankenschwester schüttelt einen schlafenden Patienten. Der anwesende Arzt fragt, was sie da tue. Die Schwester antwortet: „Ich muss den Patienten wach kriegen.“ Auf die folgende Frage „Warum?“ lautet die Antwort der Schwester: „Damit er das verschriebene Schlafmittel einnehmen kann.“

Weil es verschrieben ist, muss das Schlafmittel eingenommen werden, auch dann, wenn schon der Zustand eingetreten ist, den das Medikament bewirken soll. Wir gehen oft davon aus, dass etwas einem bestimmten Muster folgen muss, und wir legen uns dazu gewisse Prozeduren fest, denen wir dann ungeschaut folgen:
So ist es! Der Patient kann doch nicht schlafen, ohne dass er das Schlafmittel nimmt! Es geht nur so – auch wenn es offensichtlich ist, dass es auch anders geht. Wir legen uns oft fest oder lassen uns festlegen, wir leben in Routinen, aus denen wir uns nicht rausbringen lassen. Das gibt Sicherheit, bewirkt aber auch, dass wir übersehen, dass eine andere Lösung angebracht wäre oder dass es schon eine Lösung gibt.

Als Christen sollten wir damit rechnen, dass Gott dazwischenkommen kann und uns aus unseren festgefahrenen Wegen herausführt. In der Lesung vom Sonntag hören wir: „Zur Freiheit hat uns Christus befreit!“ Freiheit besteht nun nicht darin, „dass jeder tun kann, wie ich will“, wie der asiatische Eroberer Timur der Schreckliche Freiheit verstanden haben wollte. Im Brief an die Galater hält Paulus fest, dass Freiheit darin besteht, dem anderen in Liebe zu dienen. Das bedeutet, den anderen in den Mittelpunkt zu stellen, nicht das Medikament.

Leopold Neuhold

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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