Stichwort: Lukasevangelium
Das Fett der Geschichten

Das ganze Drama des Menschen, seiner Entfremdung und seines Heimfindens, verdichtet Lukas im Gleichnis vom verlorenen Sohn. Rembrandt hält den Moment der Heimkehr zum liebenden Vater bewegend fest. | Foto: Wikimedia
  • Das ganze Drama des Menschen, seiner Entfremdung und seines Heimfindens, verdichtet Lukas im Gleichnis vom verlorenen Sohn. Rembrandt hält den Moment der Heimkehr zum liebenden Vater bewegend fest.
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Dem Evangelisten Lukas ist das liturgische Lesejahr C gewidmet, das mit dem 1. Adventsonntag beginnt. Worin liegen die Besonderheiten des dritten Evangeliums?

Die österreichische Altphilologin und Schriftstellerin Inge Merkel lässt in ihrem Roman Die letzte Posaune einen launischen Stoßseufzer fallen, den ich mir beim Lesen dick angestrichen habe: „Theologie! Diese Magerform der Religion, der das Fett der Geschichten fehlt. Zu fein ist sie sich für Geschichten! Das hab ich schon gern. Wo es doch immer wieder die Geschichten sind, die einen auf die Spur bringen, wenn Gottes Wege undurchschaubar werden.“
Der Evangelist Lukas ist sich nicht zu fein dafür, er ist ein Meister im Geschichtenerzählen. Lukas lässt sehr wohl hohe Bildung erkennen. Der wahrscheinlich aus Syrien stammende Heidenchrist ist mit der Denkart und Ausdrucksweise der hellenistischen Philosophie und Geschichtsschreibung bestens vertraut, lehnt sich aber auch an die jüdische Erzähltradition an, um die Kontinuität der biblischen Botschaft zu unterstreichen. Er entwickelt keine mageren theologischen Traktate, sondern erzählt Geschichten mit Fett und Mark.
Lukas lässt uns lebhaft teilhaben an der größten Geschichte aller Zeiten. Schwierige Themen verpackt er in anschauliche Inszenierungen und einprägsame Beispiele. Die schönsten Geschichten im Neuen Testament finden wir bei Lukas. Denken wir nur an die Verkündigung des Engels Gabriel an Maria sowie die ausführlich erzählte Geburts- und Kindheitsgeschichte Jesu, oder an die Gleichnisse vom barmherzigen Samariter und vom verlorenen Sohn.

Das erdige Evangelium
Die Tradition sieht in Lukas einen Maler. Das ist zwar historisch nicht belegbar, aber gut verständlich. Denn Lukas malt mit der Sprache. Seine Erzählungen lassen innere Bilder entstehen, eine virtuelle Ikone Christi. Er beschreibt Jesus so, dass der göttliche Glanz in seinem Wesen aufstrahlt.
Von den vier Elementen würde ich dem Lukas die Erde zuordnen. Sein Symbol ist der Stier. Er lässt Gott im Stall zur Welt kommen, um ihm von Anfang an die entsprechende Erdung zu geben. Lukas nimmt es mit der Menschwerdung besonders ernst. Jesus ist für ihn der vollkommene Mensch, das Idealbild des Menschen. In der Begegnung mit Jesus entdecken Menschen ihr ganzes Menschsein, ihre Würde und ihre Berufung. Er ist der Heiland, der Menschen umfassend heil werden lässt.
Lukas war Arzt – sofern der Verfasser dieses Evangeliums mit jenem Lukas ident ist, der den Apostel Paulus auf seinen Reisen begleitet hat. Dass Lukas etwas von Krankheiten und von Heilung versteht, ist in seinen Heilungsgeschichten deutlich zu spüren, die er anschaulich und detailgetreu beschreibt. Lukas entwirft ein bejahendes und zugleich realistisches Menschenbild, ein ebenso himmlisches wie erdiges.

Vom „Es geschah …“ zum „Heute“
Im Vergleich zur hölzernen, archaischen Sprache des Markusevangeliums, das ihm als Grundlage dient, variiert Lukas die Stilmittel virtuos. Besonders gerne mag er die typisch jüdische Redewendung „Es geschah aber …“. Damit deutet er an, dass hier keine profane sondern heilige Geschichte erzählt wird. Nicht, was Menschen tun und vollbringen, ist das Entscheidende, sondern was geschieht, was Gott bewirkt. Es ist Gottes Geschichte mit den Menschen, Gottes Handeln macht sie zur Heilsgeschichte.
Damit kontrastiert ein weiteres Schlüsselwort bei Lukas: „Heute“. Wenn Jesus Menschen begegnet, wird spürbar, dass Gott präsent ist, dass in diesem Augenblick Heil geschieht. Und dieses „Heute“ nimmt uns mit hinein in das Evangelium, es erleichtert uns die Begegnung mit Jesus und bringt uns mit der heilsamen Gegenwart Gottes in Berührung. Heute handelt Jesus als Auferstandener an uns und durch uns.

Zuwendung zu den Verlorenen
Das Lukasevangelium versteht sich in besonderer Weise als eine gute Nachricht für die Armen. Die ganz besondere Zuwendung Jesu gilt den Verlorenen und den Sündern. Sein Jesus verkündet einen Gott, der Menschen in ihrer Verlorenheit sucht, heilt, heimführt und aufrichtet.
Hohe Aufmerksamkeit schenkt Lukas den Frauen. Als einziger schreibt er von Frauen in der Gefolgschaft Jesu. Oft „verdoppelt“ er Episoden – einmal mit männlichem, einmal mit weiblichem Protagonisten. So streicht der Evangelist den ganz anderen Umgang Jesu mit Frauen heraus.
Ganz große Bedeutung hat das Motiv des Weges. Vieles und Wichtiges passiert bei Lukas „auf dem Weg“. Sein Evangelium kann als Geschichte des Unterwegsseins mit Jesus gelesen werden. So ist etwa der Weg nach Emmaus Schauplatz einer der berührendsten Geschichten der Bibel. Jüngerschaft bedeutet, sich dem Weg Jesu anzuschließen, der zum wahren Menschsein führt. Und dieser Weg setzt sich fort. Daher lässt Lukas seinem Evangelium die Apostelgeschichte folgen. Kirche ist Weggemeinschaft mit Jesus.

Alfred Jokesch

Buchtipp:
Alfred Jokesch: Lukas und ich.
Kommentare zum Lukasevan­gelium, erhältlich um 18,90 € beim Sonntagsblatt.

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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