Alles bleibt anders

Ob Rollenbilder angeboren sind oder erlernt werden, ist ein Streitpunkt. | Foto: Sbytova
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Was „Gendern“ soll, will, kann – und was nicht.

Durch eine Vorwahlkampfrede von Bundeskanzler Karl Nehammer kam es wieder ins Gespräch – das sogenannte „Gendern“. Was es genau ist, wozu es gut sein soll und wofür es nicht da ist, darüber wird selten gesprochen. Mehr als die Hälfte der Menschen in Österreich ärgert sich darüber. Die meisten davon finden, dass es die Sprache ruiniert. Andere halten es für überflüssig – es sei ohnehin alles bestens und brauche keine Veränderung. Dabei ist unklar, worum es eigentlich geht: dass die Sprache nicht verändert wird oder dass die gesellschaftlichen Umstände nicht verändert werden. Oder vielleicht beides?

Zeiten ändern sich
Dass Papa gern den Kinderwagen schiebt, das Baby in der Bauchtrage bei sich hat oder den ganzen Tag mit dem Kleinkind verbringt, weil er gerade in Karenz ist, wäre noch vor 50 Jahren undenkbar gewesen.
Es war auch die Zeit, in der Männer bei der Geburt ihres Kindes nicht dabei sein durften. Was damals selbstverständlich war, wirkt heute längst vergangen. Das Verständnis von den Rollen und Kompetenzen in der Familie verändert sich, ebenso wie die Rollenbilder in der Gesellschaft. Ob diese Entwicklung gerade zu langsam oder zu schnell geht, ist Ansichtssache. Tatsächlich gibt es immer mehr Kindergärtner (Elementarpädagogen), Diplomkrankenpfleger und Busfahrerinnen. Manche finden das seltsam, andere hätten gern schon mehr männliche Friseure und weibliche Kfz-Mechanikerinnen.

Wir brauchen ein gewisses Ordnungsdenken: oben – unten, links – rechts, Mann – Frau ...
Aber Ordnung ist nur das halbe Leben.

Gerhard Marschütz

Macht der Gewohnheit
Eines zeigt sich: Veränderung braucht Zeit. Denn die Macht der Gewohnheit ist stark, besonders, was die Erwartungen der Gesellschaft an junge Frauen und Männer betrifft. Ja, bereits Kinder hören unterschiedliche Zuschreibungen, je nachdem, ob sie Mädchen oder Bub sind. Mädchen werden zum Beispiel eher als „so lieb!“ bezeichnet, während Buben häufiger „so stark!“ genannt werden. Wie viel Einfluss solche Bezeichnungen und die Art der Zuwendung, die sich spätestens von Geburt an unterscheidet, auf die Entwicklung nehmen, führt in eine Kernfrage der Genderforschung.

Das englische Wort „Gender“ (sprich: „Dschender“) heißt auf Deutsch „Geschlecht“. Dieses Wort betont nicht die körperliche Geschlechtlichkeit (engl. „sex“), sondern die Geschlechterrolle. Es geht um das sogenannte soziale Geschlecht – um die Summe der Erwartungen, die eine Gesellschaft bezogen auf das Geschlecht an eine Person hat.

Wie viel Biologie
Der Moraltheologe Gerhard Marschütz, der bis 2021 an der Universität Wien lehrte, hat sich intensiv mit Geschlechterrollen und Genderfragen auseinandergesetzt. „Die Genderforschung analysiert soziale Formen der Ungleichheit zwischen den Geschlechtern, um mehr Gerechtigkeit zu erreichen.“ Was ihn als katholischen Theologen stört und er zu ändern versucht, ist ein Grundmisstrauen katholischer Kreise bis hin zum Vatikan gegen die sozialwissenschaftlich fundierte Genderforschung.

So erwähnte Papst Franziskus in seiner Neujahrsansprache vor Vatikanbotschaftern und -botschafterinnen am 8. Jänner, dass die Gender-Theorie „sehr gefährlich ist, weil sie mit ihrem Anspruch, alle gleich zu machen, die Unterschiede auslöscht“. Das stimmt so nicht, sagt der Theologe Gerhard Marschütz. „Der Papst nimmt hier ein Verständnis von Gender an, das die Gender-Philosophin Judith Butler selbst als unannehmbar bezeichnen würde. Er meint, dass Gender das biologische Geschlecht auslöscht und rein sozial verstanden wird, und dass es jederzeit frei wählbar ist, jenseits der Biologie. Aber wo hat er das gelesen? Keine Genderforschung vertritt das so.“

Allerdings sehe die Genderforschung die Ungleichheit der Geschlechter tatsächlich weniger in der Biologie begründet als im sozialen Gefüge. Demgegenüber sei das traditionelle katholische Menschenbild noch stark von biologistischen Auffassungen vergangener Jahrhunderte geprägt. „Man meinte, dass Frauen für Innerlichkeit und Wohnlichkeit zuständig wären, weil ihre Geschlechtsorgane auch innen liegen würden, wohingegen der Mann für den Außenbereich zuständig sei.“

Ordnung – das halbe Leben
Das katholische Menschenbild ist stark von der Gegenüberstellung Mann – Frau geprägt, die einander ergänzen. Man nennt das: binäre Komplementarität. „Wir brauchen ein gewisses Ordnungsdenken“, meint Gerhard Marschütz dazu. „Oben – unten, links – rechts, Mann – Frau … Aber Ordnung ist nur das halbe Leben. Was ist die zweite Hälfte?“ Papst Franziskus selbst schreibt in „Evangelii Gaudium“, dass das Leben wunderbar komplex werde, wenn man mit dem konkreten Leben anderer Menschen ernsthaft in Berührung komme.
Der Moraltheologe Gerhard Marschütz zitiert sozialwissenschaftliche Studien, nach denen sich 90 Prozent der Menschen im heterosexuellen, komplementären Schema Mann – Frau wiederfinden würden, während das bis zu zehn Prozent aus unterschiedlichen Gründen nicht könnten. Erst in den vergangenen Jahrzehnten sei die gesellschaftliche Überzeugung gereift, dass diese nicht „krank“ seien, „sondern im Bereich der Normalität gesehen werden müssen, auch wenn sie statistisch gesehen in der Minderheit sind.“ Der Anspruch sei, so Marschütz, „dass wir unseren Normalitätsbegriff erweitern.“

Und was heißt das für die Sprache? „Man kann nicht nicht gendern“, meint Marschütz. „Egal, in welcher Form ich spreche, habe ich immer ein bestimmtes Verständnis von Geschlecht, das ich auch in die Sprache einbringe.“ Eine neutrale Sprache gibt es so gesehen nicht.

Monika Slouk

Buchtipp
Die katholische Kirche lehnt „Gender“ als Ideologie ab. Der Ideologievorwurf sei jedoch nicht haltbar, so Marschütz. Vielmehr treffe zu: Was Kirche über Gender sagt, sage viel mehr über die Kirche aus als über Gender.
Gerhard Marschütz: Gender-Ideologie!? Eine katholische Kritik. 240 S., ISBN 978-3-429-05841-8.

Ob Rollenbilder angeboren sind oder erlernt werden, ist ein Streitpunkt. | Foto: Sbytova
Gerhard Marschütz war bis 2011 Professor für Theologische Ethik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien.  | Foto: Krpelan
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SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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