Mit dem Pilgern ins Heilige Land wieder anfangen

- Handschlag in der deutschen Schmidt-Schule in Jerusalem mit Bischof Tiran Petrosyan, dem Vorsitzenden des Ökumenischen Rats der Kirchen in Österreich (links). Auch Bischof Manfred Scheuer (Mitte) war Teil der österreichischen Reisedelegation.
- Foto: Georg Pulling
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Eine Delegation des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich (ÖRKÖ) war zu Besuch in Jerusalem, Bethlehem und Nazareth.
Von 10. bis 15. Februar besuchten hochrangige Vertreter des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich (ÖRKÖ) das Heilige Land. Ihre Reise diente der Unterstützung der dort beheimateten Christ:innen sowie der Begegnung mit Organisationen, die sich für Frieden und Versöhnung einsetzen.
Zur Delegation aus Österreich gehörten der armenisch-apostolische Bischof und ÖRKÖ-Vorsitzende Tiran Petrosyan, der rö-misch-katholische Linzer Bischof Manfred Scheuer, der reformierte Landessuperintendent Thomas Hennefeld sowie der rumänisch-orthodoxe Bischofsvikar Nicolae Dura.
INS HEILIGE LAND REISEN
Ein Fazit der Reise: Solidarität mit den Christen im Heiligen Land können die Christen im Westen vor allem dadurch zeigen, dass sie wieder als Pilger und Pilgerinnen ins Land kommen. Die Zahl der Pilger beläuft sich derzeit noch gegen null. Die Heiligen Stätten könnten aber gefahrlos besichtigt werden. In diesem Sinne äußerte sich etwa der Lateinische (römisch-katholische) Patriarch Kardinal Pierbattista Pizzaballa, der die Delegation empfing. Aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen und politischen Umstände hätten seit dem 7. Oktober 2023 tausend christliche Familien das Heilige Land verlassen, berichtete der Patriarch. Ein dramatischer Aderlass für die kleine christliche Minderheit in der Region. Da viele christliche Palästinenser im Tourismus arbeiten würden, hätten sie durch den Krieg ihre Existenzgrundlage verloren. Deshalb appellierte der Patriarch eindringlich an die Christen im Westen, zu kommen. Und auf die Rolle der Kirche vor Ort angesprochen, meinte der Patriarch: „Die Kirche kann die Situation nicht lösen, aber sie kann helfen, diese auszuhalten.“
JÜDISCHE FRIEDENSBEWEGUNG
In der benediktinischen Dormitio-Abtei in Jerusalem fanden nicht nur eine Begegnung und ein Gottesdienst mit Abt Nikodemus Schnabel und den Mönchen der Abtei statt, sondern die ÖRKÖ-Delegation traf auch mit Mitgliedern der Organisation „Tag Meir“ zusammen. Der 2011 gegründete Dachverband von knapp 50 Organisationen hat es sich zur Aufgabe gemacht, aus einem tiefen jüdischen Glauben heraus alle Formen von Rassismus, Hetze und Hassverbrechen in der israelischen und palästinensischen Gesellschaft zu bekämpfen und die Werte der Toleranz, des gegenseitigen Verständnisses und des Respekts vor dem Anderen als authentische, jüdische Werte zu fördern. Die meisten Menschen auf beiden Seiten wollen einfach in Frieden leben, zeigte sich der Leiter von „Tag Meir“, Gadi Gvaryahu, im Gespräch mit der ökumenischen Delegation aus Österreich überzeugt. Und er fügte hinzu: „Wir sind religiöse Menschen und sprechen uns gegen jeden Missbrauch von Religion aus.“ Die Freiwilligen von „Tag Meir“ besuchen Palästinenser, die Opfer von Israelis wurden, und Israelis, die Opfer von Palästinensern wurden.
HOFFNUNG FÄLLT NICHT VOM HIMMEL
Alle Menschen hätten das Recht, in Israel zu leben, so der jüdische Friedensaktivist Gvaryahu. Er lebe und arbeite jedenfalls für ein anderes Israel, als dies den jüdischen Extremisten in Israel vorschwebt. Einfach hat es eine Organisation wie „Tag Meir“ unter den aktuellen gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen freilich nicht. Dazu sagt Gadi Gvaryahu aber: „Verzweiflung können wir uns nicht leisten. Wir müssen Hoffnung vermitteln.“ Es gebe sowohl auf israelischer wie auch auf palästinensischer Seite Geschichten der Hoffnung, des Respekts und Miteinanders. Gvaryahu: „Für die Hoffnung muss man arbeiten und sich einsetzen. Die fällt nicht einfach vom Himmel.“
MANCHE ÜBERWINDEN DEN HASS
Tief bewegte die österreichische Delegation das Zeugnis einer jüdischen Mutter, die am 7. Oktober 2023 beim Terrorangriff der Hamas ihren Sohn verlor. Trotzdem wolle sie sich für Respekt und Versöhnung einsetzen. Sie erzählt, dass am 7. Oktober auch viele Palästinenser mitgeholfen hätten, Israelis vor der Hamas zu retten. Die Mutter, die um ihren Sohn trauert, erzählte vom Fall einer palästinensischen Familie, deren Auto 2018 von israelischen Siedlern angegriffen wurde. Die Mutter kam dabei ums Leben, der Vater blieb mit neun Kindern zurück. „Zwei Wochen nach dem Attentat haben wir ihn besucht. Er hat uns die Tür geöffnet und uns willkommen geheißen. Er ging nicht zu den palästinensischen Extremisten, um Israel zu bekämpfen, sondern er wählte den Weg zu ‚Tag Meir‘ und wurde unser Freund“. Das Leid werde damit nicht ausgelöscht, aber es lasse sich verwandeln und gebe Kraft zur Veränderung zu einer besseren Welt.
GEORG PULLING
Nicht einfach zu lösen
Ohne die Anerkennung des Leidens der jeweils anderen Seite und die Überwindung von Schwarz-Weiß-Schemata kann es keinen Frieden im Nahen Osten geben. Vermeintlich einfache Antworten seien jedenfalls kontraproduktiv, das betont der Linzer Bischof Manfred Scheuer. Nach seinem Besuch im Heiligen Land formuliert er seine persönliche Reflexion.
„Die Erfahrungen, Begegnungen und Eindrücke unserer Reise in das Heilige Land lassen sich für mich nicht auf einen Nenner oder eine einzige Überschrift bringen. Der barbarische Terror der Hamas, die unerträgliche Situation der israelischen Geiseln, die seelischen Traumata, von denen wir gehört haben, die Verletzungen, der Krieg, die Existenzbedrohung, der Hass und die Suche nach Sicherheit und Frieden sind nicht einfach zu vermitteln oder zu ordnen und schon gar nicht zu lösen.
Die Realität der konkreten Menschen, der Juden, Muslime und Christen, ist eine andere als die medial oder digital in Europa vermittelte. Es scheint eine Verlierer-Verlierer-Konstellation zu sein. Es versagen bloße Postulate oder Beschwörungsformeln, wenn und weil sie nicht aus der Wahrnehmung der Leidenden, Opfer und Kinder, aus der Anerkennung des Leidens der anderen kommen.
Ich habe gelernt, dass Schwarz-Weiß-Schemata, Freund-Feind-Denken, Abstraktionen und Generalisierungen kein Weg zur Heilung der Wunden, kein Pfad zum Frieden sind. Es führt in keine gute Zukunft, wenn alle ins Lager der Feinde geworfen werden, die nicht den eigenen Interessen und Strategien entsprechen.
Terror, Krieg, Misstrauen und Hass haben sehr viele seelisch und körperlich krank und sehr müde gemacht. Europa und dem Westen wird von Israelis und Palästinensern Doppelmoral vorgeworfen, weil die bloße Rede von den Menschenrechten und vom Frieden die dämonische Abgründigkeit der Gewalt nicht ausloten und den Kindern nicht sagen kann, dass es wieder gut wird ...
Es bewegt mich die bleibende Spannung zwischen der notwendigen Empathie für die Opfer, der berechtigten Suche nach Sicherheit und einer universalen Ethik der Menschenrechte und der Menschenwürde. Es bewegt, berührt und beschämt mich das Zeugnis einer jüdischen Frau, deren Sohn am 7. Oktober 2023 durch die Hamas ermordet wurde ... Sie engagiert sich gegen Hassverbrechen und setzt durch Begegnungen Zeichen der Hoffnung in der Ausweglosigkeit. In allem und trotz allem ist sie getragen von der Hoffnung, dass Israelis und Araber, Juden, Muslime, Christen und Drusen zusammenleben können. Viele, zu viele sind schon ausgewandert. Viele, denen wir begegnet sind, sind dankbar für unseren Besuch und für unsere Präsenz. Sie bitten auch um unser Gebet. Das erinnert mich an Psalm 122: „Erbittet für Jerusalem Frieden! Wer dich liebt, sei in dir geborgen. Friede wohne in deinen Mauern, in deinen Häusern Geborgenheit. Wegen meiner Brüder und Freunde will ich sagen: In dir sei Friede.“
BISCHOF MANFRED SCHEUER
Autor:martinus Redaktion aus Burgenland | martinus |
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