Sr. Elija Boßler über ihr Leben im Karmel Dachau
„Ich bin das, was ich vor Gott bin.“

- Sr. Elija Boßler 2015 im Film „Dachauer Dialoge“ mit dem
KZ-Überlebenden Max Mannheimer (1920-2016). - Foto: Michael Bernstein, Marina Meisel
- hochgeladen von Lydia Kaltenhauser
Sr. Elija Boßler lebt seit fast 60 Jahren im Karmel Dachau, direkt neben der dortigen KZ-Gedenkstätte. Jahrzehntelang hat sie Überlebende fotografiert und war in engem Kontakt mit ihnen. Ein Gespräch über ihren Zugang zum Glauben, Hoffen und Leben.
Sr. Elija scheint erst überrascht über das Interesse an ihrer Person, sagt dann aber zu. Wir führen das Gespräch am Telefon. Sie spricht klar und entschieden.
Sie leben seit fast 60 Jahren im Karmel Dachau. Warum haben Sie sich genau diesen Karmel ausgesucht?
Sr. Elija Boßler: Das ist nicht ganz einfach. Ich besichtigte Dachau, als der Karmel neu gegründet war. Ich wusste nur Oberflächliches über das Leben der Karmelitinnen. Und ich wusste aus der Schule einiges aus der Zeit des Nationalsozialismus, aber gefühlt ohne Konturen. In Dachau konnte ich plötzlich erahnen, was geschehen war. Ich habe sofort begriffen, wie dieser schreckliche Ort und eine Gebetsstätte zusammengehören: dass hier Gebet nötig ist und hingehört. Das hat mich nicht losgelassen. Ich war dann immer wieder hier, bis ich 1966 eingetreten bin.
Aus den Klosterfenstern schauen Sie direkt auf das ehemalige KZ. Wie ist es, so zu wohnen?
Boßler: Über die Jahre habe ich eine starke Beziehung zur Gedenkstätte entwickelt, weil ich viele ehemalige Häftlinge kennengelernt habe. Umgekehrt hat die Nähe zur Gedenkstätte auch großen Einfluss auf unser Leben gehabt. Viele ehemalige Häftlinge und ihre Angehörigen, aber auch Besucher:innen nahmen Kontakt auf, wohnten bei uns. Der Anspruch von außen an uns war ein anderer als an andere Klöster. Viele waren persönlich schwer betroffen, es kamen Geschichten zutage, die wir nie erwartet hätten. Wir mussten auf diese Anfragen der Menschen eingehen. Wir können doch nicht sagen: „Wir beten für euch, aber lasst uns in Ruhe.“ Gebet heißt, für die Menschen da sein, sich mit ihnen verbinden, nicht, sich zurückziehen. Wir leben unser Karmel-
leben genauso wie andere Gemeinschaften, aber durch die Nähe zur Gedenkstätte mit anderen Akzenten.
Sie haben viele Überlebende kennengelernt, später auch fotografiert. Wie kam es dazu?
Boßler: Mit den Jahren habe ich gemerkt, dass die Besuche ehemaliger Häftlinge weniger
wurden. Da dachte ich mir, ich möchte ihre Geschichten lebendig erhalten. Ich habe den Kontakt gesucht, wir sind ins Gespräch gekommen, es war Raum für Begegnung, für die je eigene Geschichte. Und wenn die Beziehung zueinander gewachsen war, habe ich irgendwann gesagt: „Jetzt würde ich Sie gern auch fotografieren.“
Wie waren diese Begegnungen für Sie?
Boßler: Es waren sehr respektvolle, herzliche Begegnungen, ob mit Einzelnen oder Gruppen. Letztens habe ich eine ganze Schachtel mit Briefen von damals gefunden. Es war eine sehr volle, reiche Zeit. Oft wird einem die Kostbarkeit erst im Nachhinein bewusst.
Woraus haben die Überlebenden die Hoffnung genommen, weiterzuleben nach allem Schrecklichen, was sie erlebt haben?
Boßler: Von außen ist das schwer zu beurteilen. Aber ich denke, bei vielen Menschen überwiegt doch die Hoffnung, das Positive. Das heißt nicht, dass alle Tage gut oder heil sind. Das Dunkle, das gewesen ist, wird immer eine Rolle spielen. Aber ich habe erlebt, dass manche fröhlich waren, dass sie wie Max Mannheimer Humor hatten, positiv auf die Menschen zugingen, auf ein gutes Leben ausgerichtet waren, trotz allem.
Wie beantworten Sie für sich die Frage, wo Gott in Dachau war?
Boßler: Früher habe ich das so zu erklären versucht, dass Gott uns den Geist und die Freiheit gegeben hat, wie wir mit seiner Schöpfung und dem Geschöpf umgehen. Aber heute denke ich, dass diese Frage offen bleiben muss, weil wir es eben mit Gott zu tun haben. Ihn kann man nicht einfach erklären.
Viele Menschen haben Angst vor der Zukunft. Haben Sie Hoffnung für diese Welt?
Boßler: Hoffnung habe ich immer. Das ist für mich keine Frage. Ich bin ein Stehaufmännchen. An und für sich sagt uns das Kreuz alles: Nach jedem Untergang kommt eine andere Zeit, kommt eine Auferstehung. Für mich ist die Emmaus-Geschichte ganz wichtig: Das Bewusstsein, dass Jesus immer bei uns ist. Die Jünger erklären, erzählen, reden. Jesus weiß es besser, hat ja alles selbst erlebt, worüber sie reden. Aber er geht einfach mit, hört ihnen zu. Das ist einmalig und enorm wichtig. Er, dieser menschgewordene Gott, ist da, auch wenn ich es nicht merke. Die Nähe des mitgehenden Gottes gibt mir Hoffnung und Mut. Sie tröstet mich, ich kann mich fallenlassen.
Sr. Elijas Handy läutet. Sie hebt kurz ab, erklärt dann: „Das waren die Angehörigen eines Überlebenden. Ich rufe nachher zurück.“ Die Vergangenheit ist hier gegenwärtig.
Sie leben seit Jahrzehnten aufs Wesentliche reduziert, haben viel Zeit im Gebet verbracht. Was ist das Wichtigste, das Sie weitergeben wollen?
Boßler: (überlegt lange)Mich prägt seit langer Zeit der Spruch einer altmodischen Postkarte, die mir als Jugendliche in die Hände fiel. Darauf stand: „Ich bin das, was ich vor Gott bin. Nicht mehr und nicht weniger.“ Ich glaube, das ist vom Pfarrer von Ars. Das stellt mich in aller Ehrlichkeit auf den Boden der Wirklichkeit: Ich muss mich nicht weniger machen als ich bin, und nicht mehr. Es gibt mir einen gesunden Stolz – ohne Eitelkeit: Ich bin wer vor Gott, ich habe einen Wert. Gott, der die Liebe ist, kann mich ja nur lieben, wie ich bin und kann nicht darauf warten, bis ich perfekt bin. Dieses Gleichgewicht hat mir immer geholfen, mich vor den Menschen nicht kleinzumachen, denn mir war bewusst: Darüber steht ein anderer, dem muss ich mal mein Gewissen zeigen. Das hat mir Freiheit gegeben und einen gewissen Trotz, mich nicht in ein Schema pressen zu lassen. Da haben die Oberen schon auch mal dran geknabbert(lacht).
Über die KZ-Gedenkstätte Dachau
Das Konzentrationslager in Dachau wurde 1933 nach der Machtübernahme Hitlers errichtet und bestand bis zur Befreiung durch die US-Armee am 29. April 1945.
Dachau liegt ca. 20 Kilometer nordwestlich von München. Heinrich Himmler, Polizeipräsident von München und ab 1934 „Reichsführer SS“, ließ das KZ auf dem Gelände einer ehemaligen Munitionsfabrik errichten. Anfangs waren vor allem politische Gegner des Nationalsozialismus inhaftiert, nach 1938 vermehrt auch Juden und andere Verfolgte. In Dachau wurde auch Personal für andere Konzentrations- und Vernichtungslager ausgebildet. Von den über 200.000 Gefangenen aus 40 Nationen starben mindestens 41.500 in Dachau. Viele wurden in andere Lager deportiert und dort ermordet.
Im „Priesterblock“ waren Carl Lampert, Otto Neururer und Josef Steinkelderer aus Tirol interniert. Ein Teil des Buches „Trotzdem Ja zum Leben sagen“ von Viktor Frankl bezieht sich auf seine Zeit in Dachau.
Unmittelbar nach der Befreiung wurden die Zustände durch Filmaufnahmen dokumentiert. Seit 1965 befindet sich auf dem Gelände die KZ-Gedenkstätte Dachau, die jährlich von ca. einer Million Menschen besucht wird. Ziel der KZ-Gedenkstätte Dachau ist es bis heute, an das Leiden und Sterben der Häftlinge zu erinnern und eine Auseinandersetzung mit den nationalsozialistischen Verbrechen zu fördern.
Neben einer jüdischen, katholischen, evangelischen und russisch-orthodoxen Gebetsstätte besteht seit 1964 der Karmel Dachau, in dem zur Zeit 13 Schwestern leben.
kz-gedenkstaette-dachau.de


Autor:Lydia Kaltenhauser aus Tirol | TIROLER Sonntag |
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