75 Jahre SONNTAGSBLATT
Jeden Sonntag neuer Lesestoff
Das Sonntagsblatt und die schöne Literatur. Ein kleiner Streifzug zum 75. Geburtstag.
CHRISTIAN TEISSL
Zuerst war es der Roman, der mich im Sonntagsblatt interessierte“, bekennt eine Leserin der frühen Jahre. Als 1952 der Umfang der Zeitung von bescheidenen vier auf großzügige acht Seiten anwuchs, war plötzlich Raum für neue Rubriken. Man führte einen Filmratgeber ein, einen Steirischen Monatsspiegel mit Kurznachrichten aus allen Regionen der Diözese und, nicht zuletzt, einen Fortsetzungsroman. Ihn fand man im Sonntagsblatt verlässlich bis herauf ins Frühjahr 1998, bis zur großen Blattreform, die der Zeitung ihr heutiges Gepräge gab.
Aushängeschild Fortsetzungsromane
Zuletzt ein liebenswürdiger Anachronismus, zählte der Fortsetzungsroman in den Anfangs- und Aufbaujahren des Sonntagsblatts zu seinen besonderen Aushängeschildern. „Heute neuer Roman!“ stand in großen Lettern auf der Titelseite, wenn wieder eine neue Serie zu laufen begann. Man pflegte sie anzukündigen wie eine große, fieberhaft erwartete Premiere.
Als man etwa zu Allerheiligen 1953 der Leserschaft den „Bettler von Granada“, einen Roman des deutschen Priesterdichters Wilhelm Hünermann, präsentierte, tat man das mit den folgenden Worten: „Unser neuer Fortsetzungsroman […] führt seine Leser in das glutheiße Spanien mit seinen bunten leuchtenden Farben und erzählt einen bunten Reigen von hochgemuten Taten und schurkischen Streichen um einen großen Mann der Geschichte, dessen Namen wir vorerst nicht verraten … Man kann sich also mit Recht auf das Kommende freuen.“
Gelegentlich waren in dieser Sparte klassische Texte des österreichischen Literaturkanons zu finden – etwa Novellen der Marie von Ebner-Eschenbach –, vorwiegend aber die Werke seinerzeit populärer Jugendbuchautoren wie des Salzburgers Franz Braumann, der während der 1950er Jahre eine ungemein starke Präsenz im Sonntagsblatt entfaltete.
Es gibt Ausgaben, in denen er gleich zweimal zu Wort kommt; so enthält beispielsweise die Nummer vom 31. August 1958 eine dramatische Ministrantengeschichte unter dem Titel „Der Riß im Turm“ und eine weitere Folge des Fortsetzungsromans „Blutsbrüder“ – beides aus der flinken Feder Franz Braumanns.
Unterhaltsam, ohne seicht zu sein
Im Bemühen, dem Publikum Lesestoff zu bieten, der spannend war, ohne allzu reißerisch zu sein, unterhaltsam, ohne allzu seicht zu werden und gegen christliche Moralvorstellungen zu verstoßen, schöpfte man aus vielen Quellen, vor allem – was nicht weiter überrascht – aus dem Reservoir kirchennaher Verlage wie Tyrolia, Herder, St. Gabriel oder des Fährmann-Verlags, die damals noch alle über ein umfangreiches belletristisches Programm verfügten.
In späteren Jahren schweifte man nicht mehr so sehr in die Ferne, in andere Bundesländer oder gar zu deutschen Romanfabrikanten wie Jo Hanns Rösler, man fand das Gute in nächster Nähe: im Hause Styria. Ein Großteil der Fortsetzungsromane und -geschichten der 1980er und 1990er Jahre stammte aus dem jeweils aktuellen literarischen Programm des Styria-Verlags. So brachte man etwa Nachdrucke von Büchern wie „Der Königstiger“ von Jeannie Ebner, „Fremder Strand“ von Ilse Tielsch, „Jirschi oder Die Flucht ins Pianino“ von Gertrud Fussenegger, einzelne Erzählungen aus dem autobiographisch gefärbten Erzählband „Der Mond im Apfelgarten“ des steirischen Lyrikers Alois Hergouth und das Alterswerk von Wolfgang Arnold, den bekenntnishaften Roman „… der hebe den ersten Stein auf“. Für Arnold schloss sich damit ein Kreis, hatte er doch als junger Mann 1948 im Sonntagsblatt seine ersten Talentproben veröffentlicht.
Bühne für junge Dichter
Arnold kam aus der Katholischen Jugend, als Diözesanjugendführer war er ein Schützling von Georg Hansemann, dem er später eine schöne Biographie widmen würde. Mit seiner Lyrik zählte er zu den veritablen Nachwuchshoffnungen der heimischen Literatur. „Herr, wohin sollten wir gehen“ heißt sein Erstlingswerk von 1953. Das Eingangsgedicht, inspiriert durch eine Stelle des Johannesevangeliums, erschien zuerst im Sonntagsblatt, unter dem Titel „Stimme der Apostel“.
Darin finden sich die schönen Verse: „Wir haben die Netze verlassen, / Den See kennst du besser als wir. / Im Strand liegen schief die Barkassen. / Nun leben wir einzig von dir.“ Das Gedicht schließt mit den Worten: „Wir haben es nie ganz begriffen, / Wir schöpften es nie völlig aus. / Doch wir wären bei Netzen und Schiffen / – Versuchten wir’s – nimmer zu Haus.“
Was von Arnold in Erinnerung blieb, ist seine Tätigkeit als streitbarer Kritiker in der Grazer Südost-Tagespost in den 1960er und 70er Jahren, seine erbitterte Gegnerschaft zu den Aufbrüchen und Tabubrüchen der damals jungen Generation, seine Polemiken gegen den „steirischen herbst“, sein jahrelanger Streit mit dem Grazer Forum Stadtpark und dessen literarischen Vertretern, der teils in der Zeitungsspalte, teils im Gerichtssaal ausgetragen wurde. Sein Ruf hat darunter sehr gelitten, seine hoffnungsvollen Anfänge als junger, jugendbewegter christlicher Dichter gerieten darüber völlig in Vergessenheit.
Heimatkunde im Sonntagsblatt
Ein langjähriger Redaktionskollege Arnolds in der Südost-Tagespost und wie dieser ein Dichter, den es früh bereits in den Journalismus verschlagen hatte, war der aus Leoben gebürtige Rudolf List. Zehn Jahre lang, von 1968 bis kurz vor seinem Tod im Jahre 1979, verfasste er regelmäßig Reportagen über soeben renovierte steirische Kirchen, stets liebevoll bebildert vom Sonntagsblatt-Redakteur Gerhard Ohrt. „Dort drüben waren wir mit Professor List …“, erinnert sich Ohrt wehmütig noch viele Jahre später. „Immer wieder, wenn das Sonntagsblatt-Team unterwegs ist im Lande, fällt eine solche Bemerkung. Und die Erinnerung wird wach, wie Rudolf List auf unseren vielen Fahrten zu restaurierten Kirchen uns die seltenen Tiere einer Gegend vorstellte, die Spuren der Eiszeit in der Landschaft zeigte oder bunte Episoden aus der Vergangenheit einer Gemeinde zu berichten wusste.“
Inzwischen wurde Lists eigene Vergangenheit als Journalist im Dritten Reich, als Redakteur der Brünner Zeitung, wo er ein williges Rädchen war in einer riesigen Propagandamaschine, Gegenstand kritischer Nachfragen. Die von der Stadt Graz eingesetzte Historiker-Kommission zählt die Rudolf-List-Gasse in Graz-Waltendorf zu den „sehr problematischen Straßennamen“. Wie auch immer man sein Verhalten zwischen 1938 und 1945 einschätzen mag, dem umfangreichen Werk, das er in den Jahrzehnten nach dem Krieg geschaffen hat – neben einer Fülle kleinerer heimatkundlicher Publikationen etwa das „Steirische Künstlerlexikon“ oder den „Steirischen Kirchenführer“ –, und die zahlreichen Anregungen, die er, aufgeschlossen für das Neue, gegeben hat, gerade im Bereich moderner Sakralkunst, wird man den Respekt nicht versagen.
Kleine Sonntagsblatt-Anthologie
Lyrik und Prosa aus 75 Jahren. Ausgewählt von Christian Teissl.
Wolfgang Arnold
Der Gruß
Den fremden Flüchtling
hat ein Gruß getroffen
Und er, der alle Menschen abgetan,
War wie von einem Gastgeschenk betroffen
Und sah das Land mit andern Augen an:
Ein Raum, an dessen Schwelle er getreten,
Kärglicher Hoffnung voll auf kurze Rast.
Er aber wurde an den Tisch gebeten
Und war auf einmal Gast.
(Sonntagsblatt vom 7. August 1949)
Felicitas Frischmuth-Riedl
Vorstadtkirche (Auszug)
Neben mir kniete hager und grau
eine einfach gekleidete Frau
mit gefalteten Händen: man sah ihnen an,
sie hatten im Leben viel Arbeit getan.
Über den Händen ein Lippenpaar,
leise betend; und abendklar
gütige Augen. Die blickten weit,
weit über Armut, Sorge und Leid
in des Gekreuzigten Angesicht …
Tröstlich brannte das ewige Licht.
(Sonntagsblatt vom 22. Juli 1956)
Andrea Sailer
Der Nächste
Wie weit ist der Nächste
von uns entfernt?
Ein Gebet weit?
Ein Lächeln weit?
Einen Schritt weit?
Einen Gedanken weit?
Ein Vorurteil weit?
Eine Hemmung weit?
Einen Zweifel weit?
Eine Unsicherheit weit?
Eine Entschuldigung weit?
Einen Vorsatz weit?
Eine Patrone weit?
Eine Geste weit?
Eine Überwindung weit?
Eine Träne weit?
Vermutlich.
Also genauso weit wie Gott?
(Sonntagsblatt vom 26. August 2001)
Autor:SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT |
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