Zeitdiagnose | Teil 07
Von Augen, Splittern und Balken
Erst vor wenigen Tagen hat der Ökumenische Rat der Kirchen im Zusammenhang mit dem beginnenden Wahlkampf zur Bundespräsidentschaft und der aktuellen Flüchtlingsdebatte für eine „Abrüstung der Sprache“ plädiert.
Der „Aufbau untergriffiger Feindbilder“ sei einer Demokratie ebenso unwürdig wie die „Instrumentalisierung“ religiös konnotierter Begriffe für Wahlkampfzwecke.
Man wird wohl nicht ganz falsch liegen, letzteres als Anspielung auf die „Reichweitendimension“ der von Andreas Khol ins Gespräch gebrachten Nächstenliebe, die übrigens regelmäßig Gegenstand des politischen Diskurses ist, zu verstehen.
Was ist eine Krise?
Lassen wir die Bundespräsidentenwahl beiseite, das Thema „Flüchtlinge“ ist in der Tat das wichtigere. Antonio Gramsci, ein in diesem Zusammenhang unverdächtiger Philosoph, hat es vor rund 90 Jahren schon gewusst: „Eine Krise besteht darin, dass das Alte stirbt und das Neue nicht geboren werden kann.“
Realistisch betrachtet ist dies eine exakte Beschreibung der aktuellen Flüchtlingskrise. Niemand im europäischen politischen Spek- trum, von ganz rechts bis ganz links, hat bisher hier ein auch nur einigermaßen praktika- bles Modell zur Bewältigung dieser Herausforderung gefunden. Vielleicht gibt es dieses auch gar nicht. Unbestritten bleibt aber, dass eine große Mehrheit der Bevölkerung in diesen Flüchtlingsströmen eine Bedrohung – ob berechtigt oder unberechtigt, ist letztlich irrelevant – sieht und von der Politik eine Antwort erwartet. Nicht unbedingt die Lösung, aber zumindest ein Handeln.
Schon im Oktober des letzten Jahres haben „Die Presse“ und „Der Standard“, beide wohl kaum Alarmisten des Boulevards, übereinstimmend berichtet, dass rund 80 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher der Flüchtlinge wegen in Sorge leben. Weitere Umfragen seither zeigen, dass eine solide Mehrheit eine Obergrenze bei der Aufnahme von Flüchtlingen begrüßt. Hubert Patterer hat sich in der „Kleinen Zeitung“ in dieser Frage zu Recht auf die Seite der Politik gestellt. Wer, wenn nicht die Mehrheit, sollte in einer Demokratie schließlich gehört werden?
Wertschätzung für Politik
Bischof Wilhelm Krautwaschl hat sich in einem seiner letzten Interviews – wie auch sein Vorgänger Egon Kapellari – für eine große Wertschätzung jener ausgesprochen, die politische Verantwortung übernehmen. Wenn nun von manchen Gruppierungen der Politik pauschal „klägliches Versagen“ vorgeworfen wird, so hilft zum einen diese „Aufrüstung der Worte“ niemandem, zum anderen wird aber gerade der sonst aus diesen Kreisen allgegenwärtig beklagten Politik(er)verdrossenheit einmal mehr Vorschub geleistet.
Man muss nicht Max Weber bemühen, um den Unterschied zwischen einer politisch notwendigen Verantwortungsethik und einer idealistischeren Gesinnungsethik zu erkennen.
Wir sollten auch ein Stück weit die Bemühungen der Politik würdigen. Das stünde uns als Kirche wohl besser an.
Hans Putzer
Autor:SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT |
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