GEISTES.Gaben aus FRAUEN.Sicht | Teil 01

RAT - lernfähig bleiben

Keine Schläge verteilen

Mit der Geistesgabe „Rat“ startet unsere neue Serie zwischen Ostern und Pfingsten. Diesmal über Rat geben und annehmen.

Ratschläge sind auch Schläge.“ Mit dieser Aussage überraschte mich eine Freundin mitten im Gespräch. Ich hatte ihr offenbar gerade implizit einen Rat erteilt. Ungefragt. Der Satz ging mir zu Herzen. Seither begleitet mich eine Befangenheit, wenn es darum geht, einer anderen Person etwas zu raten – die „Schläge“ immer im Hinterkopf.

Der rabiate deutsche Begriff heißt im Englischen „advice“. Das Wort leitet sich unter anderem von der Formulierung „in my view“ also „aus meiner Sicht“ ab und trifft etwas sehr Bedeutendes: Ein Rat kommt immer aus der Perspektive der Rat gebenden Person. Er ist gefärbt vom jeweiligen Leben, dem Wissen und den Erfahrungen. „Before you judge someone walk a mile in her shoes.“ Also: Bevor du eine be- oder gar verurteilst, gehe eine Meile in ihren Schuhen. Ein starkes Bild, das viel über die Notwendigkeit von Mitfühlen aussagt. Aber es ist so nicht bis ins letzte umsetzbar. Ich kann eine Person empathisch begleiten. Doch auch bei größtmöglicher Nähe trennt uns die unüberwindbare Distanz des Individuums, sodass wir einander niemals gänzlich von innen verstehen können.

Gleichzeitig weiß ich, dass ich auch Rat brauche. Um aus meinem Blickwinkel heraustreten zu können. Um die eigene Enge überhaupt erst zu bemerken. Um Weitung zu erfahren. Und das kann auch weh tun. Als mir einmal etwas sehr misslang, kaufte ich ein Ratgeberbuch. Ich kannte die Autorin und schätzte ihre Meinung. Also las ich vertrauensvoll. Nach wenigen Seiten vergrub ich es wütend in den Tiefen meines Bücherregals. Damals dachte ich nur widerwillig: „Was für ein Topfen!“ Heute weiß ich: Das Buch war nicht das Problem. Zu klar hatte mir die Autorin den Spiegel vorgehalten. Der Blick auf meine Unzulänglichkeiten tat zu weh.
Einen Rat annehmen zu können braucht Vertrauen in die Rat gebende Person. Und den Willen und den Mut, über sich selbst und das eigene Verhalten nachzudenken, und gegebenenfalls die Courage, etwas daran zu ändern.

Katharina Grager

Rat:konkret
Was ich raten kann: Lernfähig bleiben! Höchste Zeit, etwas Neues zu lernen oder Gelerntes aufzufrischen!
Was könnte ich (vielleicht bis Pfingsten?) üben? Eine Fremdsprache?
Ein Stück am Klavier oder auf der Gitarre?
Ein Handwerk oder eine Sportart?

wünschen
möchte ich lernen
mit dir
und gegen dich
dasein
möchte ich für dich
ohne mich
aufzulösen
dein bin ich
und nicht dein
aber immer noch vielmehr dein
als ich je mein war
was man genau genommen
für einen gottes-beweis halten kann
Dorothee Sölle
feministische deutsche evangelische Theologin und Dichterin.
Zitat aus dem Gedicht
„genauer wünschen lernen"

Dorothee Sölle 
feministische deutsche evangelische Theologin und Dichterin.
Zitat aus dem Gedicht „genauer wünschen lernen" aus: fliegen lernen – gedichte, 1979.