Medizin-Mensch-Moral | Teil 06
Menschliche Leiblichkeit auf dem medizinischen Prüfstand

Das menschliche Herz. Bloß ein Muskel, oder doch mehr? | Foto: Fotolia

Das ist nur ein Muskel

Der Körper ein Objekt, der Mensch eine Maschine und der Operationssaal eine Werkstätte, in der Ärzte Ersatzteile fast beliebig tauschen – das sind intensive Bilder, die häufig durch die Medien geistern. Und sie treffen den Nerv der Zeit. Viele Menschen betrachten ihren Körper als beliebig veränderbares Objekt, ihr Ich dagegen als etwas rein Geistiges, Immaterielles. Diese Annahmen haben eine lange Tradition in der abendländischen Geschichte, und auf eben dieser historischen Basis operiert mitunter auch die Transplantationsmedizin.

Doch der Körper scheint sich gegen seine vollständige Vereinnahmung und Manipulation durch medizinische Techniken zu wehren. Besonders in Bezug auf die Transplantationsmedizin gibt es drängende Fragen: Ist das menschliche Herz tatsächlich „bloß ein Muskel“, den man austauschen kann? Wann ist ein Mensch wirklich tot? Sind hirntote Menschen nur mehr „Organlager“? Und verändert ein neues, fremdes Transplantat nicht auch das Selbstbild? Nicht wenige Empfänger eines Spenderorgans empfinden neben Dankbarkeit auch Schuldgefühle und stellen sich quälende Fragen über den Spender, der ihnen dieses neue Leben geschenkt hat. Die Integration eines fremden Organs ist für die Mehrheit der Patienten ein langwieriger und problematischer Prozess. Transplantation als bloßer „Ersatzteilwechsel“? – Fehlanzeige!

Der Körper ist eben nicht allein das formbare Objekt unserer Vorstellungen, Wünsche und Bedürfnisse. Vielmehr sind einzelne Organe metaphorisch stark besetzt: Wir fühlen Liebe in der Gegend unseres Herzens, und „etwas geht uns an die Nieren“, wenn wir emotional berührt sind.

Angesichts der Grenzen, an die eine distanzierte Sichtweise des Körpers stößt, wird heutzutage der Begriff des Leibes stark gemacht. Leib meint dabei eine besondere Art und Weise, wie wir uns zu unserem Körper verhalten, oder besser gesagt: wie wir unser Körper sind. Es bedeutet, dass wir unseren Körper nie nur „haben“ – vielmehr sind wir eins mit ihm. Niemand sagt: Meinem Körper ist kalt, sondern immer: Mir ist kalt.

Fakt ist, dass das Leib-Sein heute vielfach von einer distanzierten Sicht auf den Körper verdrängt wird. Den Leib als Fundament unseres Selbst anzunehmen, kann jedoch helfen, dem menschlichen Körper wieder mit mehr Achtung zu begegnen. Darüber hinaus lassen sich mit einem solchen Körperverständnis auch problematische Erfahrungen im Vor- oder Nachfeld einer Transplantation – wie beispielsweise Schmerzen oder Ängste – besser verarbeiten.

Julia Pia Zaunschirm

 

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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