Schöpfung im Klimawandel | Teil 2
„Ich muss trotz allem optimistisch bleiben“
In einer mehrteiligen Serie widmet sich das SONNTAGSBLATT den brennenden Fragen der Schöpfungsverantwortung.
Markus A. Langer.
In Folge 2 weist der Klimatologe Harald Rieder darauf hin, dass die Temperaturzunahme in Österreich doppelt so stark ist wie im weltweiten Mittel. Der Wissenschaftler gibt aber die Hoffnung nicht auf. Für ihn ist es nun höchste Zeit für die Anstrengungen zur Reduktion der Treibhausgasemissionen.
In der Erdgeschichte kam es immer wieder zu Klimaänderungen. Es gab wärmere und kältere Perioden. Was sind die natürlichen Einflussfaktoren auf das Klima?
Harald Rieder: Auf sehr langen geologischen Zeitskalen bestimmen die Plattentektonik und auch unsere Position im Sonnensystem, die Änderung des Abstands zwischen Erde und Sonne, die klimatischen Schwankungen. Jetzt befinden wir uns in einer neuen Phase, im Anthropozän, wo der Mensch die maßgebliche treibende Kraft des Klimawandels ist.
In welcher Form beeinflussen wir Menschen das Klima?
Die allerwichtigste Einflussgröße ist unsere Emission von Treibhausgasen, allen voran Kohlendioxid, aber auch Methan, Lachgas oder bodennahes Ozon. Die atmosphärische Konzentration dieser Treibhausgase hat über die letzten Jahrzehnte ganz deutlich zugenommen. Wir verzeichnen heute eine Konzentration von Kohlendioxid und anderen Treibhausgasen, die wir zumindest die letzten 800.000 Jahre in der Erdgeschichte nicht vorgefunden haben.
Im vergangenen März wurde der Synthesereport „Climate Change 2023“ des Sechsten Sachstandsberichts des Weltklimarats IPCC präsentiert. Die große Frage, die darin gestellt wird: Kann das 1,5-Grad-Ziel noch erreicht werden?
Rein rechnerisch kann das 1,5-Grad-Ziel noch erreicht werden. Rein realistisch betrachtet muss man sagen, das wird schon sehr, sehr knapp. Man muss wirklich alle Anstrengungen massiv intensivieren, dass sich das noch ausgeht. Nach momentanem Stand der politischen Entscheidungen und Zusagen bewegen wir uns auf eine Erwärmung von über 2,5 bis 2,7 Grad Celsius über dem vorindustriellen
Niveau von 1850 zu.
Wenn wir ab sofort klimaneutral wären, wie würde sich das jetzt auswirken?
Die momentane Erderwärmung hinkt unseren Emissionen sogar hinten nach. Selbst wenn wir alle Emissionen heute auf Null stellen, würde sich die Erde noch um 0,1 oder 0,2 Grad weiter erwärmen, weil das Klimasystem träge ist. Würden wir heute wirklich Netto-Null-Emissionen auf der globalen Skala einführen, dann würde es uns gelingen, das Erdklima innerhalb der Schranken des Pariser Klimazieles (Anm.: Begrenzung der Erd-
erwärmung auf möglichst 1,5 °C und deutlich unter 2 °C) zu stabilisieren.
2014 wurde der erste österreichische Sachstandsbericht zum Klimawandel veröffentlicht. Was sind die Kernaussagen?
Österreich ist bereits ganz maßgeblich vom Fortschreiten des Klimawandels betroffen. Die Temperaturzunahme in Österreich (+2 °C) ist deutlich größer als im globalen Mittel (+1,1 °C), also quasi doppelt so stark. Wir verzeichnen eine ganze Reihe von Änderungen im Klimasystem, auch in Österreich: nicht nur eine Zunahme der Durchschnittstemperaturen, sondern vor allem Zunahme von Hitzewellen, Dürren, Starkniederschlägen, des Abschmelzens der Gletscher.
Auf Österreichs höchstgelegener Forschungsstation Sonnblick haben die gemessenen Konzentrationen von Kohlendioxid und Methan einen neuen Höchststand im April 2023 erreicht. Wie sehen Sie diese Entwicklung?
Das ist insgesamt sehr besorgniserregend, weil wir für alle diese Treibhausgase eine stetige Zunahme in ihrer atmosphärischen Konzentration verzeichnen, und das schon die letzten 100 bis 150 Jahre hindurch. Das Tragische bei den Treibhausgasen ist auch, dass diese global gut gemischt sind. Das heißt, hier kommt es auf die globalen Netto-Null-Emissionen an, da muss Österreich natürlich seinen Beitrag leisten, aber wir sitzen international alle im selben Boot.
Noch nie haben sich die oberen Schichten der Weltmeere so stark und so schnell erwärmt.
Die Ozeane erwärmen sich ähnlich wie die Landmassen durch die generelle Erwärmung des Klimasystems. Aber die Ozeane weisen eine größere Wärmekapazität auf. Dadurch erwärmen sich die Ozeane langsamer als die Landmassen. Wenn man sich die globale Mitteltemperaturänderung jetzt unterteilt für die Kontinente versus die Ozeane anschaut, dann sehen wir bei den Kontinentalmassen bereits eine durchschnittliche Erwärmung von circa 1,6 Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit, bei den Ozeanen nur eine von circa 0,8 Grad.
Welche wirksamen Maßnahmen müssen von der Politik gesetzt werden?
Ganz wichtig ist, eine langfristige Rahmenplanung aufzulegen, die vorschreibt, in welchen Bereichen bis zu welchem Zeitpunkt die Emissionen von Treibhausgasen gesenkt werden müssen. Es muss eine dezidierte Änderung in der Raumplanung geben, um die fortschreitende Flächenversiegelung aufzuhalten und den Erhalt von natürlichen Kohlenstoffsenkern zu unterstützen. Ohne eine nachhaltige Transformation des Verkehrssektors, des Industriesektors und des Energiesektors wird es uns nicht gelingen, die Klimaziele auch nur annähernd zu erreichen. Wenn es einen entschlossenen politischen Willen gibt und das entsprechende Kapital mobilisiert wird, dann kann vieles auch sehr rasch gehen. Entscheidend ist wirklich nur, dass man einen klaren Weg einschlägt, dass man ein Konzept entwickelt, wie ein klimaneutrales Wirtschafts- und Gesellschaftssystem funktionieren soll und kann, und dass man diesen Weg entschlossen zu Ende geht.
Ohne eine nachhaltige Transformation von Gesellschaft und Wirtschaft wird es uns nicht gelingen, die Klimaziele auch nur annähernd zu erreichen.
Harald Rieder
Welche Hoffnungen setzen Sie in die UN-Klimakonferenz in Dubai am Ende des Jahres?
Die UN-Klimakonferenzen geben den internationalen Rahmen vor. Die letzten waren teilweise durchaus durchwachsen und ernüchternd, aber es hat auch Fortschritte gegeben. Wir waren, vor allem, wenn man sich die Projektionen der internationalen Treibhausgas-Agentur ansieht, schon einmal noch deutlicher von den Pariser Klimazielen entfernt als wir das heute sind. In Dubai könnte es schon noch weitere Fortschritte geben. Damit wir zumindest das 2-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens noch gut erreichen, müssen einfach Maßnahmen nachgezogen und nachgeschärft werden.
Von der heimischen Politik gab es zuletzt Aussagen, durch Innovation und Technologie ließe sich die Klimakrise schon bewältigen. Was sagen Sie dazu?
Technologien sind gut und wichtig. Aber wir werden gut beraten sein, wenn wir auf die Technologien setzen, die heute schon einsatzbereit sind. Es ist uns einfach bereits die Zeit davongelaufen. Wir müssen Emissionsreduktionen in den nächsten Jahren ganz drastisch vorantreiben, und da können wir nicht auf neue Technologien warten, die vielleicht noch entwickelt werden, sondern wir müssen einfach jene Technologien, etwa Solar- und Windenergie, die uns alternative Antriebsmöglichkeiten ermöglichen, zügiger ausbauen, um die Dekarbonisierung – den Umstieg von der Nutzung fossiler Brennstoffe auf kohlenstofffreie Energiequellen – voranzutreiben.
Manche Prognosen sind düster, was das Fortschreiten der Klimakrise angeht. Bleiben Sie trotzdem optimistisch?
Bei all der Dramatik, wie sich die Klimakrise in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat und wie düster so manche Prognose ist, so zeigen die Vorhersagen des Weltklimarats IPCC auch ganz deutlich auf, dass ein Umbau hin zu einer klimaneutralen Gesellschaft funktionieren kann. Wenn eine vernünftige CO2-Bepreisung eingeführt wird, werden ganz einfach andere Technologien wettbewerbsfähiger als die fossilen Technologien. Ich muss den Zweckoptimismus behalten, denn letztendlich geht es um unsere Lebensgrundlage. Wir Menschen müssen einfach alles daransetzen, dass wir uns aus dieser Klimakrise hinausnavigieren, schlussendlich die Kurve kratzen und einen klimaneutralen Weg einschlagen.
Autor:SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT |
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