Sehnsucht. Herbstserie 2016 | Teil 07
Es dauert lange, bis man die Kraft hat zu gehen
Nach einer gewissen Zeit liefen die Tage bei Monika immer gleich ab. „Zuerst hab’ ich den Kleinen in die Schule gebracht, dann war ich einkaufen – natürlich immer in einem anderen Geschäft – und hab’ mir meine Flasche geholt.“ Mit dieser leicht durchschaubaren Strategie meinte sie verhindern zu können, dass die Nachbarn etwas mitbekommen. Ihr Mann hat angerufen und gefragt: „Hast du eh nichts getrunken?“ Ihre immer gleiche Antwort: „Natürlich nicht, was glaubst du denn?“ Er hat aufgelegt, weil ihm die Sinnlosigkeit der Aktion klar war.
Zu Mittag war sie „schon weggetreten“. Ihre große Tochter hat ihr Wasser ins Gesicht geschüttet, wenn sie von der Schule heimgekommen ist, und es ist dann eben wieder ein neuer Tag gekommen. Einer nach dem anderen. Die vielen Versuche, es zu lassen, das gute Zureden von Freunden und von ihrer Mutter, die ernsten Blicke beim Arzt, es hat alles nichts gebracht. Es kam nur ein neuer Tag und wieder ein neuer Versuch, es zu lassen, verbunden mit der tiefen Scham, es nicht geschafft zu haben.
„Jetzt trinkst du entweder ein Bier und fährst nach Haus zurück, oder du trinkst einen Kaffee, setzt dich in den Zug nach Graz, ins Landeskrankenhaus!“ Ihre große Entscheidung traf Monika am Bahnhof, als sie wieder einmal überlegte, endlich einen wirklichen Entzug zu machen und sich in Behandlung zu begeben. „Ich bin mitten drin gestanden und hab’ nicht gewusst, wie ich mich entscheiden soll. Aber ich bin in den Zug gestiegen.“ Die Entgiftung war eine Marter, nichts als Schmerzen vier Wochen lang. Einer von den Pflegern hat im Spital eine Laufgruppe gegründet, und da hat Monika mitgemacht. „Ich hab’ einfach hinaus müssen ins Freie. Ich hätte nie gedacht, dass Bewegung so viel bewirken kann.“
Mit der Zigarette in der Hand streicht sie sich das Haar aus dem Gesicht, stützt den Kopf auf, den Blick gesenkt und die Augen fast geschlossen, und ringt sich ein schweres Geständnis ab. Man dürfe sich nichts vormachen. Wunder geschehen nicht. „Der Rückfall ist ein Teil der Krankheit, aber damit geht es mir inzwischen auch besser. Bevor ich weiter grüble und zu trinken anfange, geh’ ich schon laufen, bevor ich zum Glaserl greif’. Man bekommt einfach andere Gedanken.“
„Trink ma was, dann ist es leichter“, heißt es. Die gesellschaftlich anerkannte Form des Verdrängens wird ständig verharmlost. Frauen werden oft geschickt im Verstecken des Stoffs. Die Schnäpse, die vor dem Servieren in der Küche gekippt werden, die Flasche hinter dem Regal sieht ja keiner.
Monika ist jetzt eineinhalb Jahre trocken und hat immer noch Probleme. „Wenn im Kaffeehaus jemand mit einem Glas Bier vorbeigeht, kann das schlimm für mich sein.“ Man lerne insgesamt aber, mit Situationen anders umzugehen, denke zwar noch wie früher, jetzt muss ich etwas trinken, dann kann ich das Problem lösen, aber: „Jetzt ist das anders, dieser Weg steht mir nicht mehr offen“, meint Monika, „ich will dem Leben ins Gesicht sehen. Manchmal zeigt es doch ein Lächeln.“
Autor:SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT |
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