In Europa zu Hause | Teil 02
Ein Münchner dirigiert in Linz
Das Geheimnis der Musik liegt zwischen den Noten
Der Wechsel von der bayerischen auf die oberösterreichische Seite fiel ihm nicht schwer, denn er ortet viele Gemeinsamkeiten zwischen beiden Bevölkerungsgruppen.
Die Liebe zur sinfonischen Musik zeichnet den 1971 in München geborenen Musiker und Dirigenten aus. Doch er kennt auch andere Traditionen: „Ich bin eigentlich auf der Orgelbank meines Vaters aufgewachsen, habe die Noten für ihn umgeblättert und die Register gezogen“, erzählt Poschner.
Das verbindet den neuen Chefdirigenten des Bruckner-Orchesters mit dessen Namensgeber Joseph Anton Bruckner. Poschner ist überzeugt davon, dass Bruckner ein sehr radikaler Mensch war, denn, so meint der Chefdirigent: „Bruckner hat seinen eigenen musikalischen Zugang zu Gott gesucht, ohne Hilfe der Institution, sozusagen im persönlichen Gespräch. Er war in diesem Sinne wie ein Ketzer, so wie alle Mystiker Ketzer waren, die auf der Suche nach dem Geheimnis Gottes sind und die wissen, dass man nicht alles mit dem Verstand begreifen kann. Nur so ist zu erklären, warum er seinen Weg der Annäherung über die Symphonie wählte – das weltliche Genre schlechthin.“
Musik überschreitet Grenzen. Als Chefdirigent arbeitet Poschner mit 130 Musikern aus über 20 Nationen. Doch: „Musik kennt keinen Reisepass, keine Religion und keine Hautfarbe“, hält der Dirigent fest. Im Gegenteil. „Kunst ist ein öffnendes System“, weiß Poschner aus seiner täglichen Arbeit. In Linz hat sich Poschner rasch eingelebt. Eine gewisse Sturheit könne man weder Bayern noch Oberösterreichern absprechen, auch wenn der Musiker nicht in Allgemeinplätze abgleiten will. „Der ,Münchner Grant‘ ist legendär. Ich interpretiere diesen aber eigentlich als Unlust der Bayern, der Welt ständig sämtliche Gedankengänge und Herleitungen mitteilen zu müssen. Bayern und Oberösterreicher geben am liebsten das Ergebnis bekannt, Diskussionen werden da eher als überflüssig und hinderlich betrachtet.“
Auch vor den Wienern hat man ihn rechtzeitig gewarnt: „Irrtümlich wird ja der Wiener Schmäh oft mit Humor verwechselt. Wenn der Wiener zu jemandem plötzlich richtig freundlich ist, sollte man lieber schnell das Weite suchen, vor allen Dingen als Nicht-Wiener“, analysiert Poschner.
Auf der Sinnsuche. Sich selbst bezeichnet er als Suchender, sowohl in religiöser wie in musikalischer Hinsicht. Poschner verrät über sich selbst: „Auf vorgegebenen Trampelpfaden fühle ich mich nicht gut aufgehoben. Ich habe viele tolle Gespräche mit dem Theologen Paul Zulehner geführt, aber die religiöse Sinnsuche ist für mich ein Thema, das noch nicht ausgestanden ist.“
Diese Sinnsuche beschäftigt den Dirigenten aber auch, wenn er Musikstücke erarbeitet. Poschner ist überzeugt davon: „Das ist das Gleiche, wie große, heilige Texte zu deuten und zu verstehen. Der Zweck dieses Vorganges ist, zum Ursinn durchzudringen. Denn beide Werke, sei es eine Notenpartitur oder ein Text aus der Bibel, erzählen von Dingen, die größer sind als wir selbst. Das Geheimnis liegt in den Zwischenräumen – egal, ob es sich um Noten oder um Buchstaben handelt.“
Judith Jandrinitsch
Autor:SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT |
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