Zeitdiagnose | Teil 05
Die Würde der Gläubigen ist unantastbar

Die auf dem Palatin in Rom gefundene Ritz-Zeichnung (um 230 n. Chr.) dokumentiert eine frühe Herabwürdigung des christlichen Glaubens. Die Zeichnung zeigt ein Mischwesen zwischen Esel und Mensch am Kreuz und davor einen Mann, von dem die griechische Umsch | Foto: Archiv
  • Die auf dem Palatin in Rom gefundene Ritz-Zeichnung (um 230 n. Chr.) dokumentiert eine frühe Herabwürdigung des christlichen Glaubens. Die Zeichnung zeigt ein Mischwesen zwischen Esel und Mensch am Kreuz und davor einen Mann, von dem die griechische Umsch
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Der Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 lässt kaum Fragen offen: Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren, sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geist der Brüderlichkeit – heute würden wir wohl eher von Geschwisterlichkeit sprechen – begegnen.

Und es besteht zumindest in den so genannten westlichen Demokratien auch ein breiter Konsens darüber, dass die Menschenwürde und die daraus abgeleiteten Menschenrechte unteilbar und unantastbar sind; zumindest in der Theorie.

Historisch ebenso wenig zu bestreiten ist allerdings, dass es ständig Gruppen innerhalb der Gesellschaft gegeben hat und gibt, die anderen diese Würde nicht uneingeschränkt zugestehen. So hat der Europarat schon in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts mit einer weiteren „Konvention“ insbesondere auf unterschiedliche Formen der Diskriminierung hingewiesen und diese unmissverständlich als Menschenrechtsverletzungen aufgezählt. Dieser Artikel ergreift explizit Partei für jene, die gefährdet sind, gesellschaftlich kollektiv in ihrer Würde verletzt zu werden. Wenn wir uns die Entwicklung der letzten Jahrzehnte vergegenwärtigen, kann diese Konvention durchaus als Erfolgsgeschichte gesehen werden. Frauen, oder überhaupt Menschen ihrer Herkunft oder ihrer sexuellen Orientierung wegen zu diskriminieren ist – zumindest im öffentlich sanktionierenden Rahmen – eine Unmöglichkeit ge-worden. Und das ist mehr als gut so!

Für sich als religiös Bekennende scheint das alles nicht in dieser Weise zu gelten. Vom Kabarett bis hin zum medialen Diskurs werden Gläubige oft undifferenziert als sonderliche vormoderne Wesen ihrer Würde beraubt. Moslems, die nach ihrem Glauben zu leben versuchen, gelten rasch als fundamentalistisch, Christinnen und Christen werden bestenfalls mit gönnerhafter Scheinüberlegenheit auf eine nicht näher differenzierte Privatheit verwiesen.

Niemand wird die Anschläge auf Charly Hebdo auch nur in irgendeiner Weise anders als ein grausames kriminelles Verbrechen beurteilen, und dennoch muss auch über die Grenzen der Zumutbarkeit in der Verächtlichmachung von Menschen welcher Provenienz auch immer geredet werden dürfen. Religionskritik muss sein, sie sollte insbesondere auch ein Anliegen der Gläubigen selbst werden, doch Respektlosigkeit und Verachtung mit Kritik zu verwechseln gefährdet letztlich die Gesellschaft insgesamt.

Dass am „Jubiläumscover“ von Charly Hebdo ein Jahr danach nun Gott in der Tradition der jüdisch-christlichen Ikonografie als „Mörder“ ge- und bezeichnet wird, blieb bemerkenswert weitgehend unkommentiert.

Bei einer Veranstaltung im Afro-Asiatischen Institut zur Religion im öffentlichen Raum ist eine junge Muslima aufgestanden und hat sich massiv darüber beschwert, dass sie sich permanent wegen völlig unwissender Fremdzuschreibungen ihren Glauben betreffend rechtfertigen müsse. Vielen Christinnen und Christen geht es kaum anders. Wenn das ihr Glaube wäre, wie er von gewissen Seiten dargestellt wird, sie hätten ihrer Religion wohl schon längst den Rücken zugekehrt.


Hans Putzer

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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