Wem schreibt Paulus seine Briefe? | Teil 04
Der Knotenpunkt im Netzwerk der jungen Kirche
Als Paulus nach Ephesus kommt, kann die Stadt bereits auf eine tausendjährige glanzvolle Geschichte zurückschauen. Der legendäre König Krösus aus Sardes zog ebenso hier ein wie der Perserkönig Kyros und Alexander der Große. Die Stadt war die bedeutendste Brücke zwischen West und Ost. Von hier aus führte im Reich Alexanders die Königsstraße bis an den persischen Golf. Die Römer machten Ephesus zur Hauptstadt der Provinz Asien, nachdem es Pergamon als führende Stadt überflügelt hatte. Mit geschätzten 300.000 Einwohnern war Ephesus die viertgrößte Stadt im Römischen Reich.
Diesen Aufstieg verdankt die Stadt nicht nur ihrer günstigen Handelslage an einem geschützten Hafenbecken, sondern sehr wesentlich auch dem viel besuchten Heiligtum ihrer Mutter- und Fruchtbarkeitsgottheit, der die Griechen den Namen Artemis zuwiesen. Die Tochter des Zeus wurde als Ernährerin in einem vielbrüstigen – angeblich vom Himmel gefallenen – Bildnis verehrt. Ihr prächtiger Tempel wurde als eines der sieben Weltwunder bestaunt.
Wie ein Geschenk des Himmels war der Artemiskult für die Epheser allemal. Von weither kamen Pilger und Touristen, der Fremdenverkehr blühte ebenso wie der Handel mit Souvenirs. Religion ist immer auch ein Wirtschaftsfaktor. Diese Vermengung bekommt Paulus zu spüren, als er in Konflikt mit einem Silberschmied gerät, der Devotionalien anfertigt. Der fürchtet um sein Geschäft, wenn der Apostel gegen die Artemis-Verehrung eintritt.
Paulus verfasst hier die meisten seiner Briefe, manche aus dem Gefängnis. Immer wieder betont er darin seine existenzielle Bedrohung, dass er dem Tod ins Auge gesehen und „mit wilden Tieren gekämpft“ habe. Hier entfaltet er seine Christus-Mystik. Durch die mystische Gemeinschaft mit Christus – besonders die Gemeinschaft im Leiden – kann der Mensch mit Gott in Beziehung treten.
Die wirtschaftliche, politische und religiöse Bedeutung der Stadt lassen Ephesus auch im Netzwerk der frühen Kirche zum Dreh- und Angelpunkt werden. Im Jahr 431 findet hier das dritte ökumenische Konzil statt. Ist es als Zugeständnis an den früheren Artemiskult zu werten, dass gerade an diesem Ort Maria besonders verehrt und beim Konzil als „Gottesgebärerin“ bezeichnet wird?
Autor:SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT |
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