Sehnsucht. Herbstserie 2016 | Teil 05
Den Bademantel hab’ ich immer in der Sakristei
In Loipersdorf, der einzigen Therme, die neben den vielen unterschiedlichen Wellnessangeboten auch über eine eigene Kapelle verfügt, feiert Johann Leopold jeden Samstag die Messe. Seit zehn Jahren ist er nun nach einer äußerst aktiven und beanspruchenden Zeit als Dechant von Feldbach Pfarrer von Loipersdorf. Von den Thermenbesuchern wird das geistliche Leben in der Kapelle freilich nicht getragen, sondern von Einheimischen, die es sich angewöhnt haben, hierher zur Messe zu kommen. Doch gibt es Erlebnisse, die den Priester immer wieder verwundern. „Ich habe hier schon Frauen beim Rosenkranzbeten angetroffen. Als ich fragte, woher sie kommen, war die Antwort: ‚Aus Tirol.‘“ Offensichtlich vermag dieser Gottesraum auch Menschen anzuziehen, die eigentlich lediglich herkommen, um etwas für ihre Gesundheit zu tun.
Hereinkommen, innehalten und vielleicht ein Kerzerl anzünden wollen aber viele Thermenbesucher, denn vor der Madonna brennen immer die Lichter. „Ja, das Kerzenanzünden stellt oft das letzte Bindungsglied zur Kirche dar, auch wenn die Menschen schon lange keine Gottesdienste mehr besuchen.“ Die Sehnsucht nach Gesundheit, nach Wohlbefinden ist der Hauptanziehungspunkt für einen Thermenbesuch – und das offenbart die ganze Gespaltenheit einer Gesellschaft, die Gesundheit vor allem auf den Körper bezogen begreift und kaum auf den Menschen in seiner Ganzheit. „Die Menschen wollen ihrem Körper etwas Gutes tun und bleiben oft doch geistig arm und bedürftig. Viele lassen die Seele verhungern, das ist eine große Gefahr in der heutigen Zeit.“
Was aber das Wasser allein schon bewirken kann, zeigt sich für den Thermenpfarrer ganz deutlich. Es sei einfach befreiend, in das Wasser zu steigen, tue wohl und befreie von Enge. „Hier gibt es keine grantigen Menschen, jeder hat eigentlich ein Lächeln auf dem Gesicht“, erklärt Johann Leopold an einem sonnigen Herbsttag auf einer Bank vor der Therme.
„Als Kind hab ich so etwas wie ein Bad natürlich nicht gekannt“, erzählt der heuer 86-jährige Priester. Freilich: „Im Sommer sind wir Kinder gerne hinunter zum Bach und haben dann im Wasser herumgeplanscht und dort gespielt, Dämme gebaut, versucht, Fische zu fangen.“ Gewaschen hat man sich natürlich auch damals in der Kriegs- und Nachkriegszeit. Aber nicht so wie heute in der Badewanne oder der Dusche. Das gab es einfach nicht, schon gar nicht auf einem Bauernhof in Graz-Umgebung, wo Johann Leopold mit seinen zehn Geschwistern aufgewachsen ist. Heute, so meint er – wie übrigens auch Hautärzte –, würden es die Menschen mit dem Duschen eher übertreiben.
Den Luxus des Bades habe er selbst sich angewöhnt, als er 1972 nach Feldbach kam. „Da bin ich dann schon einmal in der Woche nach Bad Gleichenberg.“ Er hat die Auszeit genossen, wenn der Alltag anstrengend war. Auch heute fährt er mit Priesterkollegen ein bis zwei Mal im Jahr nach Caorle. Das Meer ist eine Liebe von Johann Leopold – auch für das nächste Jahr ist eine Fahrt zur großen Badewanne geplant.
Autor:SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT |
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