Menschengerecht - Fastenserie 2012 | Teil 01
Als Volk Gottes unterwegs

Die Bewohner am Xingu-Strom leisten seit 20 Jahren Widerstand gegen die Errichtung des Belo-Monte-Staudammes. 300.000 Menschen würden ihre Heimat und ihre Lebensgrundlagen verlieren. | Foto: Fundação Viver, Produzir e Preservar-FVPP
  • Die Bewohner am Xingu-Strom leisten seit 20 Jahren Widerstand gegen die Errichtung des Belo-Monte-Staudammes. 300.000 Menschen würden ihre Heimat und ihre Lebensgrundlagen verlieren.
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Alle sollen Gottes Liebe erfahren

Oft fragen mich die Leute: „Wo wohnst du eigentlich?“ Sie wissen, dass Altamira der „Bischofssitz“ ist, wissen aber genauso, dass ich nicht immer in Altamira „sitze“, sondern von Gemeinde zu Gemeinde ziehe. Meine Antwort ist schon beinahe formelhaft: „Ich bin überall zu Hause!“, oder: „Wir sind alle unterwegs!“

Das hat zunächst mit der Diözese am Xingu zu tun, dem flächenmäßig größten Kirchengebiet Brasiliens. Über eine halbe Million Menschen leben in Städten, Dörfern, Weilern, am Fluss und an den Nebenflüssen, entlang der Überlandstraßen und deren Nebenstraßen. Priester, Ordensleute, Bischof, alle haben wir „keine bleibende Stadt“  (Hebr 13,14).

Aber nicht nur wir. Das Volk Gottes selbst ist auf dem Weg. Seit Jahrhunderten ist der Xingu Ziel immer neuer Migrationsschübe. Inmitten des Urwaldes hat die Regierung tausende Familien aus allen Bundesstaaten angesiedelt, weitere tausende kamen und vervielfachten die Einwohnerzahl in den Randbezirken der Städte. Und jetzt strömen wieder unzählige Leute an den Xingu und suchen Arbeit.

Gigantische Zuwanderung. In diesen Tagen und Wochen erleben wir eine Zuwanderung in einem bisher nie da gewesenen Ausmaß. Belo Monte ist die Ursache. Altamira wird zuerst von Menschen überflutet, erst später dann vom Wasser des geplanten Stausees. Alle kommen sie mit hohen Erwartungen und voller Hoffnung auf eine bessere Zukunft.

Jesus für Arme. Irgendwie sind Arme immer unterwegs und verstehen deshalb auch eher, was mit pilgerndem Gottesvolk (vgl. Lumen Gentium 9) gemeint ist. In den Basisgemeinden und Bibelrunden lernen sie die Geschichte des Jesus von Nazaret kennen, der von Ort zu Ort zieht und den Menschen vom Reich Gottes erzählt (vgl. Mt 4,23). Jesus wendet sich vor allem den Randgruppen zu und preist Arme, Trauernde, Landlose, Verfolgte selig (vgl. Mt 5,3–12; Lk 6,20–23), nicht weil es ihnen schlecht geht, sondern weil sie selbst in Not und Elend Töchter und Söhne Gottes sind und bleiben – und weil ihnen diese Identität und Würde niemand nehmen kann.

Jesus vermittelt ein ganz anderes Gottesbild als die Schriftgelehrten. Gott ist Abba, ein treuer Vater, eine liebende Mutter, er ist Vater Unser (Mt 6,9). Alle sind wir Geschwister, füreinander verantwortlich, miteinander unterwegs, aufeinander angewiesen. Und Gott ist mit auf dem Weg in unserem Einsatz für eine gerechte Welt, die hier und jetzt beginnt und einst im „neuen Jerusalem“ (Offb 21,2) die Vollendung findet. Jesu Frohe Botschaft an die Menschen ist die Utopie vom Reich Gottes.

Die Liebe Gottes erfahrbar machen. „Die Kirche ist von Christus gesandt, die Liebe Gottes allen Menschen und Völkern zu verkünden und mitzuteilen“ (Ad Gentes, 10). So steht es im Dekret des II. Vatikanischen Konzils über die Missionstätigkeit der Kirche.

Die Kirche hat also den Auftrag, die Liebe Gottes stets neu in Raum und Zeit, über alle Grenzen hinweg und in allen Kulturen erfahrbar zu machen. Als pilgernde Kirche soll sie eine arme Kirche sein. Jesus wollte keine bollwerkähnliche, von der Basis abgehobene, thronende Kirche mit komplizierten Strukturen. Christus nachfolgen heißt, die Nähe zu den Armen und zu den anderen suchen. Aber es geht nicht darum, andere zu erobern und zu bevormunden.

Die Entdeckung des Nächsten. Die Entdeckung des Nächsten und des anderen ist allemal eine Gotteserfahrung. Die Kirche Jesu darf sich niemals in einen abgeschirmten Raum zurückziehen. Sie lebt unter den Menschen. In ihr dürfen sich alle daheim fühlen. Sie soll eine liebende, solidarische, geschwisterliche Kirche sein, die die Menschen mit all ihren Hoffnungen und Sehnsüchten kennt und versteht und ein offenes Herz hat für ihre Nöte und Ängste.

„Ich habe Mitleid mit diesen Menschen“ (Mk 8,2), rief Jesus aus. Das Beispiel Jesu verpflichtet sogar, diese Liebe bis zum Äußersten zu leben (vgl. Joh 13,1 und Joh 19,30).

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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