Literatur
Mariazeller Bilderbuch

Mit der Steiermark verbunden: Am 
14. März 2014 erhielt Friederike Mayröcker von Reinhold Hartmann (im Bild links) in Anwesenheit von Bischof Egon Kapellari den Ehrenpreis der deutschen ökumenischen Stiftung „Bibel und Kultur“ im Kulturzentrum bei den Minoriten. | Foto: Neuhold
  • Mit der Steiermark verbunden: Am
    14. März 2014 erhielt Friederike Mayröcker von Reinhold Hartmann (im Bild links) in Anwesenheit von Bischof Egon Kapellari den Ehrenpreis der deutschen ökumenischen Stiftung „Bibel und Kultur“ im Kulturzentrum bei den Minoriten.
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Die verstorbene Friederike Mayröcker erinnerte in einem Text (1953) an ihre Besuche in Mariazell.

Dreimal war ich in Mariazell. Einmal in der Kindheit, und da habe ich außer der Erinnerung an eine gewisse Geschmacksempfindung nur das Bild eines grünen Hanges vor mir, der sich so hoch buchtete, dass ich nur in der Ferne darüber die Kirchturmspitze sehen konnte. Dazu die verblasste Erinnerung an ein dunkles Mädchen, das wir Trude nannten. Alles übrige bleibt versunken. Im heurigen Sommer war ich ein zweites und drittes Mal dort.
Man sitzt hinter der herabgezogenen Fensterscheibe, noch ein wenig belästigt von der allzu kühlen Zugluft, dann aber stellt man alles Störende bewusst ab, ist nur noch Auge, Empfindung und Ohr der Welt. Ich bin aus mir hinausgedreht, ungefähr so, wie man ein Fernglas in die möglichste Schärfe dreht, und da geschieht es, dass ich den Menschen, die vorübergehen, Gedanken ablese, und ich weiß, dass die beiden jungen Leute am Turmfenster oben fühlen, sie sind allein, niemand kann sie belauschen, und das Mädchen spürt den Aufwind im Haar, und sie schauen ins Land. Ein starker Regen fällt, und zwischen den immer wieder einsetzenden Regenfällen eilt eine junge Frau mit einem Brief zum Postkasten. Sie hält ihn wie schützend hoch und in der Nähe des Herzens, wohl ohne es zu wissen. Die kleinen Wasserspeier am Turm speien nicht, aber gerade dieses gleichsam unerfüllt gebliebene Leben der Figuren ist schön. …

Innen in der Kirche gibt es einen Marmorsockel für Kerzenopfer. Das Wachs rinnt über den Opfertisch und tropft auf das Fußende, und sogar dorthin stellen die Leute ihre Kerzen. Ein Kirchendiener kommt heran und entfernt die unteren Kerzen, als ob er in einem Garten Unkraut jätete, mit den hastigen und unwilligen Bewegungen von Menschen, die eine fruchtlose Arbeit verrichten müssen, die ihnen täglich wieder und wieder durch Unverstand oder Eigensinn anderer gegeben wird. Da ist eine brennende Kerze neben der andern – aber ich bin nicht beteiligt. Wo bleibt das Hingerissensein, die Traurigkeit, die mich fasst, wenn ich Opferkerzen abbrennen sehe? Es mag der vielbeschäftigte Kirchendiener schuld daran sein …

In den Gängen auf der Galerie sind die Wände behangen mit Bildern, Andenken und Briefen, Danksagungen und Anliegen in bittenden, flehenden und sehr gläubigen Worten. Von einer Bank aus sieht man, wie sich der Organist zum Spielen bereitet. Dann brausen die Klänge, und die Augen gehen von selber zu. Wenn man aufblickt, sieht man den Erzeuger der Töne wie einen kleinen Magier mit seltsam hüpfenden Bewegungen die Orgel bedienen. Passen seine unruhigen, auf dem Instrument auf und ab turnenden Beine wirklich zu dem wogenden Aufschwung, der durch die weite Kirche geht? Stellt man sich nicht vielmehr ein gelassen gebeugtes Haupt oder einen glühenden Engel vor, der das Instrument ohne Körperlichkeit beherrscht? …

Als ich die Kirche schon verlassen hatte, fiel mir ein, dass ich die Gelegenheit, einen Wunsch erfüllt zu bekommen, vertan hatte. Wer zum ersten Mal eine Gnadenkirche betritt, so sagte mir meine Mutter, und dort um die Erfüllung eines Wunsches bittet, wird Erhörung finden, wenn er sich nicht umwendet, solange er vor dem Hauptaltar steht. Was hätte ich mir auch wünschen sollen? Und kommen nicht alle oder fast alle Erfüllungen zu spät oder zu früh? …

Aus: Der Krystall, LiteraturbeIlage der Wiener Furche vom 3. Oktober 1953

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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