Interview mit Bischof Dr. Egon Kapellari
"Ich helfe, wo ich noch kann"
Bischof Dr. Egon Kapellari vollendet am 12. Jänner sein 85. Lebensjahr. Aus diesem Anlass führte Alfred Jokesch mit ihm für das Sonntagsblatt ein ausführliches Interview.Dankbar und kritisch hält Bischof Kapellari Rückschau und gibt Impulse für eine nüchterne und wetterfeste Hoffnung.
Herr Bischof, das Jahr 2021 ist für Sie durch drei Jubiläumstermine ein besonderes: 85 Lebensjahre, 60 Jahre als Priester und 40 Jahre als Bischof.
Bischof Kapellari: Das sind für mich nur Wegmarken auf meinem bisherigen Lebens- und Glaubensweg. Das Wort Jubiläum wäre dafür gerade in diesem Jahr großer Schwierigkeiten für Gesellschaft und Kirche überzogen. Es geht mir nur um eine dankbare und zugleich kritische, auch selbstkritische Rückschau und um einen Impuls für eine nüchterne und wetterfeste Hoffnung.
Wie soll diese Rückschau gestaltet werden?
Möglichst bescheiden, also nicht bei einem Gottesdienst im Dom, sondern nahe dem 9. Juli bei einem Gottesdienst mit meinen noch lebenden Studien- und Weihekollegen in der Kapelle des Priesterseminars. Und zeitnahe zum 7. Dezember, also 40 Jahre nach meiner Ernennung zum Kärntner Diözesanbischof, möchte ich mit den jetzigen Diözesanbischöfen von Steiermark und Kärnten, also mit Wilhelm Krautwaschl und Josef Marketz, im steirischen Benediktinerstift St. Lambrecht, dem ja beide Diözesen besonders viel verdanken, einige Stunden zu gemeinsamem Gebet und Gespräch verbringen und dafür um die Gastfreundschaft des Abtes Benedikt und seiner Mönche bitten.
Eine öffentliche Feier wird es aber seitens der Zivilgesellschaft im Jahr 2021 dennoch geben, weil die Stadt Graz Ihnen die Ehrenbürgerschaft verliehen hat.
Die Initiative dazu von Herrn Bürgermeister Siegfried Nagl hat mich überrascht. Ich bin dankbar für diese Ehrung durch die Regierung der Landeshauptstadt, hoffe aber, dass die Feier der Dekretüberreichung, eventuell gemeinsam mit Herrn Landeshauptmann Schützenhöfer, der ebenfalls einen Dank aussprechen will, sehr schlicht und in kleinem Rahmen stattfinden wird.
Vor fast genau sechs Jahren hat Papst Franziskus Ihrem schon vier Jahre vorher aus Anlass Ihres damaligen 75. Geburtstages eingereichten Gesuch um Emeritierung entsprochen. Einige Tage vorher, exakt am 33. Jahrestag Ihrer Bischofsweihe im Dom von Klagenfurt, haben Sie einen Hirtenbrief unter dem Titel „Ein Wort zum Abschied“ veröffentlicht.
Dieser Hirtenbrief war mit Rom, mit dem Nuntius und mit Kardinal Schönborn abgesprochen. Er sollte zu einem Klima der Entspannung beitragen, weil ja bei meiner ein paar Tage später erfolgten Emeritierung noch nichts über meine Nachfolge als steirischer Diözesanbischof entschieden war.
In diesem Hirtenbrief haben Sie wörtlich gesagt: „Ich werde in der Diözese bleiben und helfen, wo ich noch kann und gebraucht werde. Ich werde mich aber keineswegs in Entscheidungen irgendwelcher Art einmengen.“
Daran habe ich mich seither strikt gehalten und werde es auch weiterhin tun. Was das Helfen betrifft: Ich habe, wie auch andere emeritierte Bischöfe es tun, durch Seelsorgeaushilfen in Pfarren, durch Firmungen, Weihen von Diakonen und einem Priester im Einvernehmen mit dem Diözesanbischof, durch Exerzitien und durch Vorträge geholfen. Das tue ich jetzt altersbedingt seltener, kann dadurch aber mehr von dem tun, was ich seit 2015 immer schon getan habe in sehr vielen Begegnungen und Gesprächen mit Christen, Juden und Muslimen, mit Bischöfen, Priestern, Laienchristen, Politikern und mit Frauen und Männern, die in Kunst, Medien und Wissenschaft tätig sind. Unter ihnen sind auch Menschen, die sich als Agnostiker oder Atheisten verstehen. In diesem weitmaschigen Netz wird niemand vereinnahmt, aber ich bin dabei immer klar ein Mann der katholischen Kirche, ein Zeuge für Jesus Christus.
Die Weite dieses Horizonts konnten Sie schon in Ihren achtzehn Jahren als Grazer Hochschulseelsorger einüben. Sie wurde dann in Ihren 33 Jahren als Diözesanbischof durch Zusatzaufgaben für die Bischofskonferenz und für die Weltkirche in Wien, Rom und Brüssel immer mehr ausgedehnt.
Diese Weite, wie Sie es nennen, wächst immer noch. Ich informiere mich ständig über die globale Situation der Menschheit, der Religionen, des Christentums in deren Mitte und zumal der katholischen Kirche. Dies besonders betreffend Europa und den deutschsprachigen Raum. Das hilft mir, in hunderten Gesprächen und Briefen ein wenig zur Entwirrung der überaus komplexen Gesamtsituation beizutragen. Publizistisch bin ich sehr zurückhaltend. Ob ich noch ein Buch schreiben wolle, werde ich oft gefragt. Ich glaube, dass es höchstens ein Buch über Humor geben könnte. Christen haben ja auch immer etwas zu lachen gehabt, auch wenn die jeweiligen Zustände eher zum Weinen gedrängt haben. So ist es auch heute.
In den letzten Jahren haben Sie oft ein Sprichwort aus Portugal zitiert, das der große französische Dichter und Katholik Paul Claudel seinem Weltdrama „Der Seidene Schuh“ als Leitwort vorangestellt hat. Es lautet: „Gott schreibt gerade (auch) auf krummen Zeilen.“
Ja, ich halte daran unbeirrt fest. Aber von welchem Gott ist da die Rede? Im deutschen Sprachraum redet man heute kirchlich vor allem von einem lieben Gott. Das ist in dieser Ausschließlichkeit zu flach. Der Gott der Bibel, der Gott und Vater Jesu Christi, ist zutiefst zwar Liebe, aber er hat sich in Jesus Christus am Karfreitag als gescheiterte, weil gekreuzigte Liebe offenbart und erst am dritten Tag in der Auferstehung Christi als siegreiche Liebe. „Gott ist nicht nett“ lautet dementsprechend der Titel eines neuen Buches des Bischofs Heiner Wilmer von Hildesheim.
In den letzten Monaten wird in führenden deutschsprachigen Printmedien mit neuer Intensität das Christentum, zumal das katholische Christentum, als überholt erklärt. Dies manchmal ironisch und manchmal ein wenig melancholisch.
Das ist in der Geschichte des Christentums nicht neu. Viele Christen, und zumal auch Päpste, haben es freilich manchmal ihren Kritikern leicht gemacht, das komplementäre Positive zu übersehen, zu verdrängen. Aber gerade in der Geschichte des Papsttums zeigt sich, dass Gott oft auch auf krummen Zeilen gerade schreibt. Manche Menschen im 20. Jahrhundert glaubten zwar, dass er nicht schreiben könne, weil es ihn nicht gibt. Das Ringen um Gott und mit Gott kommt in der ganzen Bibel immer wieder zur Sprache.
In der katholischen Christenheit Europas ringt man eher nur in der Auseinandersetzung zwischen Progressiv und Konservativ. Das ist zu flach. Man müsste darüber hinaus tiefer denken und tiefer graben, um wirklich zu den tiefen strömenden Wassern des Glaubens zu kommen. Manche Deuter der Epoche sagen das schon immer wieder, auch in Zeitungen und Büchern, aber das sind Einzelstimmen und noch kein Chor.
Sie haben im Lauf von Jahrzehnten sehr unterschiedliche Päpste erlebt, die auf je ihre Weise die Kirche geprägt haben. Worin sehen Sie die besondere Bedeutung von Papst Franziskus?
Am Abend nach der Papstwahl habe ich in der ZIB 2 dem Journalisten Armin Wolf gesagt: „Dieser Papst gleicht in vielem einem biblischen Propheten.“ Und am nächsten Tag habe ich dies für Zeitungen wiederholt und hinzugefügt: „Der emeritierte Papst Benedikt gleicht in vielem einem biblischen Weisheitslehrer. Beide Päpste wurzeln im selben Quellgrund des biblischen Glaubens.“
Den Papst Franziskus sehe ich als einen großen Segen für die Kirche und für die ganze Menschheit. Er ist weltweit so etwas wie ein „Big Player“. Aber er ist zugleich zutiefst fromm, wie auch in jüngsten Entscheidungen immer wieder deutlich wird. Themen wie die weltweite Sorge auch der Kirche betreffend Klima und soziale Gerechtigkeit müssen aber auch auf dem Tisch der katholischen Kirche bleiben. Dies sollten auch konservative Kreise erkennen, indem sie versuchen, ihren Blick für das Ganze der heutigen Weltwirklichkeit zu öffnen.
Das Corona-Jahr war für uns alle sehr herausfordernd. Wie haben Sie es persönlich in aller Zuspitzung erlebt?
Ich bin mit den Einschränkungen gut zurechtgekommen und konnte dadurch, wie vorhin gesagt, vielen Menschen hilfreich sein. Was ich aber in den sechs Jahren seit meiner Emeritierung ohne jedes öffentliche Aufsehen noch viel mehr tun konnte als vorher, kann und darf ich derzeit nicht tun: Besuche bei kranken und auch bei sterbenden Menschen, etwa in der Grazer Albert-Schweitzer-Klinik und dem dazugehörigen Hospiz. Ich hoffe, dass diese Grenze bald wieder offen sein wird.
In der katholischen Christenheit Europas ringt man eher nur in der Auseinandersetzung zwischen Progressiv und Konservativ. Das ist zu flach.
Man müsste darüber hinaus tiefer denken und tiefer graben, um wirklich zu den tiefen strömenden Wassern des Glaubens zu kommen.
Bischof Egon Kapellari
Autor:SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT |
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