Litanei

Griffen: Westfassade der Stiftskirche mit Portal. | Foto: wmc/Johann Jaritz
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Harald Haslmayr folgt Willibald Hopfgartners „Annäherungen“ in „Das Heilige im Werk Peter Handkes“.

Posoda duhovna – Gefäß des Geistes: Zum Erstaunen der wohltemperiert laizistischen Weltöffentlichkeit zitierte Peter Handke am Schluss seiner am 7. Dezember 2019 gehaltenen Dankesrede zur Verleihung des Nobelpreises einige Anrufungen aus der Lauretanischen Marienlitanei in slowenischer Sprache, seiner Mutter-Sprache im doppelten Sinn des Wortes. Die Wurzeln dieser so überraschenden Entscheidung für dieses Gebet liegen in der Gottesdienstordnung von Stift Griffen.

Zum Fest Mariä Himmelfahrt gibt es dort nach dem Hochamt um 10:15 Uhr noch eine weitere Messfeier, und während sich die Kirche leert und gleichzeitig wieder füllt, rezitiert ein slowenischsprachiger Kantor genau jene etwa eine Viertelstunde lang dauernde Litanei mit den entsprechenden Antworten der Gemeinde. Während der zweiten Hl. Messe – zweisprachig auch sie! – ist draußen im Stiftshof bereits das Volksfest im Gang, und so ereignet sich beim Verlassen der Kirche stets ein einzigartiger, geradezu mystischer Zusammenfall: Von der Empore herab brausen noch solenne Orgelklänge und ZUGLEICH ist vom Hof herüber bereits die Volks- und Tanzmusik zu vernehmen! Genau einen solchen Kontrapunkt hat Anton Bruckner im Finale seiner 3. Symphonie komponiert, wenn zum kirchlichen Posaunenchoral GLEICHZEITIG in den Violinen eine burschikos tänzerische Polka erklingt.

Von Zeit zu Zeit besucht Peter Handke seine Heimatgemeinde Griffen, und meist geschieht dies um den 15. August. Ich meine öfters beobachtet zu haben, dass der so anrührende leiernde Singsang der Litanei zwischen den beiden hl. Messen eine ganz besonders innige Bedeutung für Peter Handke hat, auch deshalb, weil sich schräg gegenüber vom Kirchausgang das Grab seiner Mutter befindet, deren Schicksal er in seinem Buch Wunschloses Unglück erzählt hat.

So mündet diese marianische Litanei, vorgetragen in der Mutter-Sprache, in einen Blick auf Jesus Christus, wie Hopfgartner im gewiss nicht zufällig siebenten Kapitel Die Christus-Gestalt darlegt. In unserem Bild aus Stift Griffen überkreuzen sich das Leid der Mutter Maria angesichts des gekreuzigten Sohnes mit dem erzählenden Andenken des Sohnes an die Lebenswunden der Mutter, eine compassio, ein Mit-Leiden hier wie da.

Ist dies Theologie? Ist eine von Cézanne gemalte Schale mit Früchten eine sakrale Darstellung? Mündet die Darstellung solcher Epiphanien nicht schließlich in einen Pantheismus? Als katholischer Priester franziskanischer Spiritualität und homme de lettres ist Willibald Hopfgartner ein so sanftmütiger wie kundiger Begleiter durch das sprachliche Universum von Peter Handke, das stetig durchzittert ist von einer christlich geprägten Erfahrung des HEILIGEN.

Harald Haslmayr

O-Ton

Die Christus-Gestalt

Handkes Tagebuchnotizen verraten auch immer wieder eine überraschend persönliche Chris-
tus-Frömmigkeit. Er notiert sich das Paulus-Wort „Christus in ihm“. „Die Glocken, vor allem die am Freitag um drei, bestärken mich in meiner Schwachheit (,commune dolor‘ ist Petrarcas Wort für den Karfreitag)“. Er bekennt sich hier zum Glauben, dass Jesus pro nobis, zur Vergebung der Sünden den Kreuzestod erlitten hat und dass deshalb die eigene Sündigkeit niemals das letzte Wort über das Leben eines Menschen sein kann. „Das Gefühl für den leidenden Christus wappnet mich mit Zorn gegen die Vernünftler“. Man kann dieses Wort am besten verstehen, wenn man an die Kreuzwegandachten denkt, die der Autor von seiner Kindheit her kennt und die in den Gläubigen die compassio mit dem Kreuzesleiden Jesu erwecken sollen. Wo eine solche Anteilnahme herrscht, ist kein Platz für die Diskussion über theologische Thesen der „Vernünftler“, wie z. B. darüber, ob Jesus Gottes Sohn war, oder ob er sein Leiden als Sühneleiden verstanden hat.

Aus: Hopfgartner, Das Heilige, 63f.

Handke. Heilig3/3
Das Heilige ist der geläufigen Wahrnehmung der Menschen weitgehend entschwunden. Umso erstaunlicher, dass im Werk von Peter Handke (im Bild) das Heilige ein strukturbildendes Element darstellt. Harald Haslmayr, Professor für Musikästhetik an der Kunstuniversität Graz, folgt Willibald Hopfgartners „Annäherungen“ in „Das Heilige im Werk Peter Handkes“ mit einem erstaunlich frischen und persönlichen Blick.

Willibald Hopfgartner, Das Heilige im Werk Peter Handkes. Eine Annäherung, Die ULTRAMARIN-REIHE im Wieser Verlag,
ISBN: 978-3-99029-644-8,
EUR 15,50

Buchpräsentation:
Samstag, 19. Oktober 10 Uhr, Buchhandlung MOSER,
Am Eisernen Tor 1.

Griffen: Westfassade der Stiftskirche mit Portal. | Foto: wmc/Johann Jaritz
Peter Handke
Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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