Gefängnisseelsorger Leszek Urbanowicz
Seelsorger einer Gemeinde hinter Gittern

Blick auf die Justizanstalt Stein.
 | Foto: Gemeinfrei
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Wer gegen Gesetze verstößt, muss damit rechnen, vor Gericht gestellt und möglicherweise zu einer Haftstrafe verurteilt zu werden. In ganz Österreich sind derzeit etwa 8.000 Menschen inhaftiert, davon etwa sechs Prozent Frauen und 94 Prozent Männer. Wenn sie es wünschen, steht ihnen seelsorgerische Unterstützung zur Verfügung, wie etwa durch den katholischen Priester Leszek Urbanowicz in der Justizanstalt Stein.

An diesem brütend heißen Sommertag ist Leszek Urbanowicz seit dem frühen Morgen unterwegs für seine Schützlinge. Flott und entschlossen durchquert er Gänge, Schleusen und Stiegen des gewaltigen Bauwerklabyrinths. In seinem weißen T-Shirt und der schwarzen Jeans wirkt der drahtige 65-Jährige ein wenig wie ein Fußballtrainer. Er beobachtet das Geschehen rund um ihn aufmerksam. Er verkörpert Entschlossenheit und Kampfgeist. Doch sein Kampf ist ein friedliches Ringen um das Seelenheil der ihm Anvertrauten. Leszek Urbanowicz ist Seelsorger einer Gemeinde hinter dicken Gefängnismauern und seit fast 30 Jahren in der Justizanstalt Stein tätig.

Als Seelsorger den Menschen sehen

Heute ist er unterwegs, um einen Gefangenen zu besuchen, der erstmals inhaftiert ist. Auf dem Weg dorthin begegnet er immer wieder Gefangenen. Jeden von ihnen scheint er zu kennen, wenn er sich freundlich nach dem Befinden erkundigt, einige Worte wechselt und dann weitergeht. Er begegnet den Inhaftierten nicht von oben herab, agiert nicht steif oder reserviert. Auch wenn er mit jedem per du ist, vermeidet er Kumpanei und Verbrüderung. Als Seelsorger sehe er den Menschen, nicht den Kriminellen und seine Tat, sagt Urbanowicz.
„Man muss ein Gespür für die Menschen haben, wenn man hier tätig ist“, sagt der Seelsorger.

Und eine dicke Haut brauche man auch. Vor allem aber müsse man die Situation der Gefangenen, ihre Verlassenheit und ihre Sehnsucht nach Geborgenheit verstehen. Dieses seelische Leid ist ihm nicht fremd, denn Urbanowicz war selbst einmal im Gefängnis. Vor 42 Jahren in Polen. Damals nahm er als gebürtiger Pole an Aufmärschen der Gewerkschaft Solidarnosc gegen die Ausrufung des Kriegsrechtes teil. Dabei wurden auch Parolen gegen General Wojciech Jaruzelski skandiert. Urbanowicz wurde festgenommen und dann wegen Beleidigung des Staatsoberhauptes und Herabwürdigung der polnischen Fahne zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt. „Im Gefängnis habe ich dann die Not und die Verzweiflung von Inhaftierten am eigenen Leib verspürt. Das Eingesperrtsein in einer überfüllten Massenzelle. Den Sadismus der betrunkenen kommunistischen Gefängniswärter.“ Damals habe er verstanden, dass für Inhaftierte Gespräche lebenswichtig sein können.

„Zuhören ist das Wichtigste, was der Seelsorger einem Gefangenen bieten kann.“

Urbanowicz hatte Glück. Er musste nur einen Teil der Strafe absitzen, wurde bald auf Bewährung entlassen. Er trat 1985 in das Priesterseminar ein und kam nach der Priesterweihe als Kaplan nach Österreich, konkret nach Haag ins Mostviertel. „Im Jahr 1996 hat mich Weihbischof Heinrich Fasching gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, wieder ins Gefängnis zu gehen. Vielleicht lebenslänglich. Ich habe weiche Knie bekommen, dann aber zugesagt und später dann Haag schweren Herzens verlassen.“

Seit damals ist er in Stein als Seelsorger tätig. Seine wichtigste Aufgabe ist die Begleitung von Inhaftierten. „Zuhören ist das Wichtigste, was der Seelsorger einem Gefangenen bieten kann.“ Solche Gespräche können lang sein, manchmal dauern sie Stunden. Vor allem dann, wenn Urbanovicz am Bett von Sterbenden sitzt. „Bis jetzt haben sich noch alle vor ihrem Tod mit Gott versöhnt. Oft war das ein langer, harter, schmerzhafter Weg.“

Die Suche nach dem verlorenen Schaf

Jeden Sonntag feiert er mit seiner Gemeinde in der Kirche der Justizanstalt die Messe. Dort gibt es ein wunderschönes Altarbild: Dargestellt ist Jesus als guter Hirte mit einem Lamm auf den Schultern. Die Suche nach dem verlorenen Schaf als Auftrag von Jesus – nichts könnte das Anliegen der Gefängnisseelsorge und das von Leszek Urbanowicz besser zum Ausdruck bringen. Seine Entscheidung für die Arbeit im Gefängnis habe er nie bereut, sagt der Seelsorger. Daher hätte er auch nichts dagegen noch länger in Stein zu arbeiten. Zwar nicht lebenslänglich, aber eine Zeitlang. „Gefängnisseelsorger dürfen bis zum Alter von 70 Jahren Dienst machen.“ Wenn es sich so ergibt, dann wird er seine Gemeinde hinter Gittern noch weitere fünf Jahre führen. Mit Verständnis und mit strenger Liebe. Karl Vogd

Seelsorge im Gefängnis

Papst Franziskus besucht immer wieder Gefängnisse, um auf die von Überbelegung und Personalmangel geprägten schlechten Zustände in italienischen Haftanstalten aufmerksam zu machen. Allein in diesem Jahr haben sich dort über 70 Gefangene das Leben genommen, und mehrere Justizbeamte begingen aus Verzweiflung Suizid. Eine Strafe könne nur dann gerecht sein, wenn sie Hoffnung biete, sagt der Papst und betont: „Eine Strafe ohne Hoffnung, ohne die Aussicht auf Besserung und Erneuerung, ist unchristlich, ja unmenschlich.“
Die Situation in den österreichischen Justizanstalten ist nicht ganz so dramatisch wie im Nachbarland, dennoch zählt Österreich zu den Ländern mit den höchsten Suizidraten in europäischen Gefängnissen. Besonders gefährdet sind Menschen, die zum ersten Mal inhaftiert werden, etwa in Untersuchungshaft. „Der Normalbürger kann sich kaum vorstellen, wie schlimm das Eingesperrtsein tatsächlich ist“, sagt der Linzer Gefangenenseelsorger Hans Gruber. „Für die meisten ist die Überstellung ins Gefängnis ein Schock, der oft zu tiefer Niedergeschlagenheit führt.“ In solchen Momenten kann die Unterstützung eines Seelsorgers lebensrettend sein. „Der Pfarrer ist im Gefängnis einer der wenigen, die keine Uniform tragen.“ Im Gegensatz zu anderen Betreuungsdiensten im Gefängnis muss der Seelsorger keine Aufzeichnungen über Gespräche mit Gefangenen führen. Im Gegenteil, das Beichtgeheimnis gilt auch hier. „Es tut den Gefangenen gut, sich alles von der Seele zu sprechen, sei es, was ihnen widerfahren ist oder was sie selbst getan haben“, erklärt Gruber. Zuversicht und Kraft können die Inhaftierten auch bei den Gottesdiensten schöpfen. Nicht alle kommen aus religiösen Gründen, sagt Gruber. „Für manche ist der Gottesdienst eine willkommene Abwechslung im eintönigen Gefängnisalltag.“ Dennoch könne man alle Anwesenden mit ansprechender Musik und einer guten, humorvollen Predigt erreichen.

Gott im Gefängnis begegnen

Die Messe im Gefängnis ist ein Weg, um Gott zu begegnen. „Die Liturgie ist dabei quasi das Zugpferd“, sagt Jonathan Werner, leitender Gefängnisseelsorger in der Justizanstalt Josefstadt in Wien, dem größten Gefängnis Österreichs. „Rituale helfen, Gott ins Spiel zu bringen.“ Das Vertrauen auf die göttliche Barmherzigkeit könne einen Weg öffnen, um mit eigenem Versagen und Schuld umzugehen, ohne sich selbst abzulehnen. Der Gottesdienst könne auch einen Anstoß geben, um Abstand von destruktiven Lebensmustern zu gewinnen. So werde ein realistischer Neuanfang leichter möglich. Der Ordensmann und Rektor des Innsbrucker Jesuitenkollegs, P. Christian Marte, der neben seinen Aufgaben auch als Gefängnisseelsorger in der Justizanstalt Innsbruck tätig ist, meinte in einem Interview mit Kathpress: „In Gefängnissen wird wahrscheinlich genauso viel gebetet wie in Kirchen oder Krankenhäusern. Man hat unendlich viel Zeit. Da kommt man ins Nachdenken und dann tauchen ganz grundsätzliche Fragen auf.“

Hans Gruber, Jonathan Werner und P. Christian Marte sind drei von 28 katholischen Seelsorgern, die haupt- und nebenberuflich in den österreichischen Gefängnissen tätig sind. Sie helfen mit, das Zerbrechen von Persönlichkeiten zu verhindern und bauen Brücken zu einer Welt, von der die meisten kaum etwas wissen.

Blick auf die Justizanstalt Stein.
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Gefängnisseelsorger Leszek Urbanowicz: "Man muss ein Gespür für die Menschen haben, wenn man hier tätig ist." | Foto: zVg
Autor:

Kirche bunt Redaktion aus Niederösterreich | Kirche bunt

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