Familie
Wie Paare sich besser verstehen

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Im Gespräch mit Erwin Jäggle, Paartherapeut und Ehe- und Familienberater, über immer wieder ähnlich ablaufende Konflikte in Beziehungen und wie man sie lösen kann.

Konflikte von Paaren drehen sich oft um immer gleiche Themen: Du hörst mir nicht zu! Warum bleibt die Zahnpasta-Tube immer offen? Liebst du mich überhaupt noch? Die Reaktionen auf die allzu bekannten Worte und Eigenheiten sind bestens eingeübt, die Dialoge und Muster wiederholen sich mit fast schlafwandlerischer Sicherheit.
„Das hat mit unserer inneren Prägung zu tun“, erklärt Paartherapeut Erwin Jäggle, „also mit unseren Erfahrungen in der Kindheit.“ Bestimmte Themen und Verhaltensweisen berühren unsere – meist unbewussten – wunden Punk­te („Triggerpunkte“) und aktivieren das „Programm“, wie wir darauf reagieren. Jeder Mensch musste in der Kindheit belastende Situationen bestehen, so Jäggle, und entwickelte unbewusst individuelle Schutz- und Bewältigungsmuster. Einer zieht sich z. B. im Konflikt zurück, ein anderer schaltet auf Gegenwehr. Verletzungen, unter denen fast alle Menschen gelitten haben, seien: nicht gehört werden, nicht wahrgenommen oder zu wenig wertgeschätzt werden.

„Jeder bemüht sich, aber es wird immer schlimmer“

Diese Muster, die in der Kindheit geholfen haben, würden unbewusst ins Erwachsenenleben übernommen, wo sie jedoch unsere Beziehungen belasten. „Die unbewussten Reiz-Reaktions-Abläufe befeuern immer wieder dieselben Konflikte“, sagt der Psychotherapeut, der seit rund 40 Jahren mit Paaren und Familien arbeitet. „Jeder bemüht sich, aber es wird immer schlimmer.“
Jäggle sieht eine wichtige Aufgabe für Paare darin, sich diese Abwärts-Spirale bewusst zu machen (Was berührt mich unangenehm? Was könnte das mit meiner Kindheit zu tun haben?) und zu lernen, auf den „Trigger“ mit neuen konstruktiven Mustern zu antworten. Hilfreich sei dabei, so Jäggle, einmal tief durchatmen, nicht gleich zu urteilen und nicht sofort zu reagieren. „Einen Schluck Wasser nehmen – keinen Alkohol! Etwas Bewegung, ein Gespräch suchen (auch bei der Telefonseelsorge), den Frust niederschreiben oder einfach eine Nacht darüber schlafen …“
Die Ursache eines Konflikts bei sich selbst suchen, dagegen bäumen sich viele Menschen auf, weiß der Paartherapeut, der nach dem Therapiekonzept der so genannten Imago-Therapie arbeitet, aus Erfahrung und spricht von einem Paradigmenwechsel. So sieht er eine 90:10 Regel für Beziehungen: 90 Prozent des Frusts „gehören mir“, haben also mit mir selbst zu tun, nur 10 Prozent der Person, die bei mir negative Gefühle auslöst. Ausgenommen von dieser Regel sei rohe Gewalt in Wort und Tat.
Wenn Paare an ihrer Beziehung und an sich selbst arbeiten, dann sei eine Heilung des Kindheitsschmerzes möglich, ist Erwin Jäggle überzeugt. Dabei gehe es nicht darum, dass eine Person ihr frustrierendes Verhalten ändert (also z. B. die Zahnpastatube schließt), sondern dass sie über einen längeren Zeitraum ein regelmäßiges, für den anderen heilendes Verhalten setzt, das den Partner bzw. die Partnerin „nach-nährt“ und stärkt. Oft seien das kleine Dinge: dem anderen einen Kuchen backen oder Blumen schenken.
Die Haltung „Ändere dich, sonst distanziere ich mich“ funktioniert hingegen nicht. Die gute Nachricht: In Beziehungskonflikten genügt oft schon das Gespräch über den Konflikt, man braucht nicht eine ausdrückliche Lösung. Damit dieses Gespräch aber gelingt und nicht in destruktivem Streit endet, sollten Gesprächsregeln vereinbart und auch eingehalten werden (z. B. die Regeln des Imago-Dialogs). Zu einer solchen „sicheren“ Kommunikation gehört, den Partner spüren zu lassen: Ich höre dir zu. Ich nehme dich wichtig und ich nehme dich wahr. Ich lasse deine Sicht der Welt gelten, auch wenn ich es anders sehe. Ich verstehe dich aus deiner Geschichte heraus.
Jeder Mensch erlebt die Welt anders, jeder empfindet anders. „Es gibt so viele Wirklichkeiten, wie es Menschen gibt“, sagt Erwin Jäggle. Diese Unterschiede machen Angst. Um die Spannung loszuwerden, erklären viele Menschen ihrem Gegenüber: Deine Wirklichkeit ist falsch und meine richtig – Stoff für unendliche Streitereien! Das Ziel der Imago-Paartherapie besteht nun darin, mit unterschiedlichen Wirklichkeiten spannungsfrei leben zu lernen. Das beinhalte zuzuhören ohne zu werten, ohne zu kritisieren, ohne Ratschläge zu geben. „Es braucht eine große Zurückhaltung“, betont Jäggle, „und die muss man einüben.“

Streit besser vermeiden?

Soll man Streit überhaupt besser vermeiden? „Nein!“, sagt der Ehe- und Familienberater, „jedoch destruktives Streiten unbedingt lassen!“ Zu destruktiven Verhaltensweisen zählen z. B. Verdächtigungen, dem anderen generell eine Fähigkeit absprechen oder ihm etwas unterstellen, ihn lächerlich machen.
Konstruktives Streiten, bei dem es zwei (!) Gewinner gibt, will gelernt sein. Wichtig sei, so Jäggle, den anderen nicht zu verletzen, und es müsse klar sein: Auch wenn es Streit gibt, wird die Beziehung an sich nicht in Frage gestellt. Vorbilder wären wichtig, sind aber rar. Oft hilft es, jemand dritten dazu zu holen, der auf beide Partner beruhigend wirkt, sich inhaltlich nicht einmischt und auf die Einhaltung der Gesprächsregeln achtet.

Paar-Workshop

Erwin Jäggle bietet im Bildungshaus St. Benedikt in Seitenstetten einen Imago-Paar-Workshop mit dem Titel „So viel Liebe, wie du brauchst“ an, der eine Mischung aus Informationen über Beziehung, Selbsterfahrung und Arbeit mit dem Partner umfasst. Anmeldung und Auskunft: charisma-kbw St. Pölten, charisma@kirche.at, Tel. 02742/ 324 23 52, www.kbw-charisma.at.
20. 1., 14 Uhr, bis 22. 1., 16 Uhr

Autor:

Patricia Harant-Schagerl aus Niederösterreich | Kirche bunt

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