"Alzheimer und wir"
Was die Demenz meiner Mutter mich gelehrt hat
Mit 55 Jahren denkt niemand an Alzheimer. Auch Peggy Elfmann nicht, als ihre Mutter in diesem Alter immer vergesslicher wird. Mit der Diagnose beginnt eine Reise ins Ungewisse.
Als meine Mutter vor 13 Jahren die Diagnose Alzheimer erhielt, war das ein Schock, auch weil wir nicht damit gerechnet hatten. Vorab war uns aufgefallen, dass sie sich mit alltäglichen Dingen schwer tat. Sie war eine erfahrene Lehrerin und doch hatte sie Probleme bei der Unterrichtsvorbereitung. Sie hatte immer viel und gerne gebacken, aber nun gelangen ihr selbst einfache Rezepte nicht. Mama wirkte müde und erschöpft. An gemeinsamen Aktivitäten und Gesprächen zeigte sie kaum Interesse und zog sich zurück. Ich dachte, Mama hat viel Stress und ist im Beruf als Lehrerin für Geografie und Sport überfordert. Dass da Alzheimer dahintersteckt, hatten wir nicht in Betracht gezogen, denn sie war erst 55 Jahre alt. Der Hausarzt überwies sie ins Krankenhaus zu einer umfassenden Untersuchung.Wir alle in der Familie hatten Angst
Als die Diagnose Alzheimer-Demenz feststand, dachte ich sofort: Mama braucht jetzt Pflege. In meinem Kopf sah ich sie einsam und verlassen in einem Pflegeheim sitzen. Das löste Angst in mir aus. Wir alle in der Familie hatten Angst. Ich erinnere mich, dass wir im Wohnzimmer zusammen saßen und Papa fragte: „Wie geht es nun weiter?“ Wir wollten diese Frage beantworten, aber niemand von uns wusste, was die Krankheit mit sich bringen würde. Ich fragte mich, ob ich zu meinen Eltern ziehen müsste. Dürfte ich ein zweites Kind bekommen? Wie könnte ich das Pflegen mit meinem Job vereinbaren? Da waren so viele Fragen und niemand hatte eine Antwort.
Mit der Diagnose änderte sich alles – und doch wieder nicht.
Mit der Diagnose änderte sich alles – und doch wieder nicht. Mama konnte ihren Beruf nicht mehr ausüben. Meine Eltern entwickelten einen wohltuenden Tagesablauf und unternahmen täglich lange Spaziergänge. Sie taten das, weil es ihnen gut tat, ohne zu wissen, dass Fachleute dies mittlerweile empfehlen. Denn Bewegung, das zeigen Studien, fördert die Lebensqualität von Menschen mit Demenz.
Mama hat recht früh aufgehört zu sprechen, weil das Sprachzentrum betroffen war. Kommunikation wurde schwierig, aber sie war noch flott zu Fuß. Sie hat, wie vor ihrer Erkrankung, beim Spazierengehen gern Blätter abgezupft, eine Blüte oder einen Stein mit nach Hause genommen. Die Freude an der Natur, die hat sie sich bewahrt. Das hat mich irgendwie getröstet.
Es war für mich nicht mehr so wichtig, ob sie mich erkennt.
Anfangs hatte ich Angst, dass Mama mich mal nicht mehr erkennt. Aber später merkte ich, dass das egal war. Sie konnte meinen Namen nicht mehr sagen, aber schaute mich immer mit diesem Lächeln an. Wenn wir Zeit miteinander verbrachten, waren wir uns nah. Es war für mich nicht mehr so wichtig zu wissen, ob sie mich erkennt. Ich wusste ja, dass sie meine Mama war.Lange war mein Papa der Meinung, er könnte sich alleine kümmern
Mama brauchte immer mehr Unterstützung. Mein Papa war im Alltag für sie da, mein Bruder und ich reisten so oft es ging zu meinen Eltern, um sie zu unterstützen. Schritt für Schritt haben wir ein Netzwerk aus Helfenden aufgebaut. Lange war mein Papa der Meinung, er könnte sich alleine kümmern. Vielleicht war es für ihn auch so etwas wie ein Zeichen der Schwäche. Aber Hilfe anzunehmen, das ist nicht schwach, sondern stark und das Beste, was wir für Mama tun konnten.
Zwölfeinhalb Jahre nach der Diagnose ist Mama friedlich eingeschlafen. Die letzten Wochen war es zu Hause schwierig geworden. Weil sie mehr Unterstützung brauchte und wir die Pflege zuhause nicht leisten konnten, haben wir beschlossen, dass sie ins Pflegeheim zieht. Dort wurde sie mit Herzenswärme versorgt.
Als Angehörige nimmt man immer wieder Abschied, aber kann sich nicht verabschieden. Das macht traurig, und diese Traurigkeit schwingt irgendwie immer mit. Dazu kommt die Anstrengung der körperlichen Pflege. Es war wichtig, dass wir Hilfe hatten. Zu unserem Netzwerk zählten die Ärztin, die Tagespflege und der Pflegedienst, aber auch Nachbarn, Freunde und Familie. Es ist gut, wenn man Aufgaben auf mehrere Schultern verteilen kann. Denn es braucht ein Dorf, um einen Menschen mit Demenz gut zu begleiten.
Die Autorin
Peggy Elfmann ist Journalistin und schreibt über Gesundheit, Familie und Pflege. Auf ihrem Blog „Alzheimer und wir“ teilt sie ihre Erfahrungen, um andere Angehörige zu unterstützen und über Demenz aufzuklären. Mit ihrem neuen Buch „Meine Eltern werden alt. 50 Ideen für ein gutes Miteinander“ (hanserblau) möchte sie motivieren, das Thema Pflege frühzeitig anzugehen und gibt Anregungen für hilfreiche Gespräche, gemeinsame Aktivitäten und praktische Veränderungen.
Autor:Kirche bunt Redaktion aus Niederösterreich | Kirche bunt |
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