Rosa Zangerle und ihr bewegtes Leben
Offenes Herz, wacher Geist
Sie ist wohl die älteste ehrenamtliche Pfarrmitarbeiterin in Tirol: Rosa Zangerle, 99 Jahre alt und bekennende „Nachteule“, schließt treu abends die Pforten ihrer Pfarre zur Hl. Familie in Wilten-West ab. Bis vor kurzem war sie Caritas-Haussammlerin, leitete Wortgottesdienste und kümmerte sich um den Pfarrgarten. Jahrzehntelang prägte sie die Arbeit im Katholischen Bildungswerk (kbw). Humor und ein kritischer Geist blitzen aus ihren klugen Augen.
Es ist eine der Wohnungen, die Geschichte atmen. Jedes Möbelstück hat seinen angestammten Platz, kein Gegenstand, kein Bild ist ohne Bedeutung. Rosa Zangerle öffnet neugierig die Tür. Über 80 Jahre ihres fast hundert Jahre währenden Lebens hat sie hier verbracht, immer in Innsbruck-Wilten gelebt. Sie ist verwoben mit ihrem Viertel, ein „Urgewächs“. „Die Kindheit war ein Paradies, wir hatten einen großen Garten, es war immer jemand zum Spielen da“, erinnert sie sich. Kaum vier Jahre alt, verstarb der Vater, eine schwierige Zeit begann.
Von der Liturgie bewegt. Rosa fand durch den Besuch der Kinderkongregation in Wilten eine bleibende Heimat im Glauben, der für sie bis heute „die Grundlage für alles“ ist. Mit 14 Jahren wechselte sie in eine von der Liturgischen Bewegung getragene Mädchengruppe, der sie sehr viel verdanke. „Der Geist, den der Leiter, ein junger Prämonstratenser, vermittelte, hat auch die Pfarre geprägt. Wilten-West war liturgisch immer weit vorn. Als das 2. Vatikanum kam, fühlten wir uns ein bisschen wie Vorreiter.“ Sie hat die Zeit der Notkirche miterlebt, in einer Trafohalle in der Karwendelstraße. „Es war eine schöne, sehr lebendige Zeit“, gern denkt sie an den „gehobenen Volksgesang“ zurück. Liturgisch aufgeschlossen ist Rosa Zangerle bis heute: „Altweiberandachten sind nichts für mich!“, stellt sie klar, und lenkt ein: „Frauenandachten werden es ja nur dadurch, dass die Männer nicht hingehen.“ Als Rosa, die auch priesterlose Begräbnisse begleitete, 2008 noch die Ausbildung zur Wortgottesdienstleiterin machte, kannte sie „das alles schon ewig“. Wichtig ist ihr, dass das „Volk“ bei Gottesdiensten „Mitgestalter ist, nicht bloß Konsument“.
Herr im Haus. Zurück in die Jugend: Als ausgebildete Buchhalterin war die junge Rosa Hauptverdienerin. „Ich war der Herr im Haus“, sagt sie selbstbewusst. In der Pfarre leitete Rosa selbst eine Jugendgruppe – als der Krieg kam, bei sich zu Hause, später „frecherweise“ auch in einer fremden Wohnung – „so lange es irgendwie ging“. Als die Bomben fielen, suchten sie Zuflucht im Keller des Hauses, Luftschutzraum gab es keinen. Rosa spürte, dass sie in den kirchlichen Dienst wollte, um 1940 begann sie als Sekretärin in der Katholischen Männerbewegung. Später wechselte sie ins Katholische Bildungswerk (kbw), dessen Leiter Dr. Ignaz Zangerle sie nach vielen Jahren der Zusammenarbeit heiratete. Sie hat das kbw in Tirol mitgeprägt, erzählt von den angeregten Diskussionen, ob auch Frauen Zweigstellenleiterinnen sein könnten, als wäre es gestern gewesen. „Es war eine sehr reiche Zeit. Für mich war es wirklich eine Lebensaufgabe“, hält sie fest. „Wir haben versucht, die Welt mit hineinzunehmen, uns mit den Problemen von heute zu beschäftigen. Ich habe viel gelernt und auch Manches kritisch gesehen. Gut katholisch bin ich trotzdem!“
Dankbare Nüchternheit. Ein Rezept fürs Altwerden hat sie nicht. Ihre robuste Gesundheit sieht sie voll Dankbarkeit als Wunder an. „Es ist wichtig, sich immer für Neues zu interessieren und einen kritischen Geist zu bewahren.“ Auf ihrem Schreibtisch liegt ein Laptop, daneben stapeln sich die Zeitungen. Nach ihrer Sicht auf die Kirche gefragt, fällt die Antwort so entschieden wie nüchtern aus: „Die katholische Kirche war mein Schicksal“. Überhaupt ist Rosa Zangerle eine sachliche Frau. Ausufernde Lebensweisheiten sind ihre Sache nicht. „Hart in der Sache, mit besten Umgangsformen“, charakterisiert sie ein ehemaliger PGR-Kollege. „Die Kirche muss mit den Menschen weiterwandern“, ist Rosa Zangerle überzeugt. Was sie dabei hält? „Eine nicht ganz unkritische Liebe zur Kirche!“ Sie trägt schon sehr lang.
Autor:Lydia Kaltenhauser aus Tirol | TIROLER Sonntag |
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