Interview: MMag. Dr. Christian Lagger MBA
Dem Leben Hoffnung geben

Eine resiliente Gesellschaft muss eine solidarische sein. | Foto: Neuhold

Im Gespräch mit Christian Lagger, Geschäftsführer der Grazer Elisabethinen und neuer Vorsitzender der ARGE der österreichischen Ordensspitäler, über das Besondere von Ordenskrankenhäusern, ihre Haltung zur Sterbeverfügung und Lerneffekte der Pandemie.

Die Gesundheitsversorgung ist Aufgabe der öffentlichen Hand. Warum gibt es
also überhaupt Ordensspitäler?

Es gibt sie, weil es einen Auftrag dazu in der Bibel gibt. Bei Lukas steht: Verkündet das Evangelium, und heilt die Kranken. Die Zuwendung zu den Kranken und die Werke der Barmherzigkeit gehören im Grunde zum Setting eines jeden Christen und einer jeden Christin. Die Geschichte zeigt uns, dass sich Heilige und OrdensgründerInnen von diesem Auftrag oft besonders angesprochen gefühlt haben. Das sehen wir zum Beispiel bei Johannes von Gott, dem Gründer der Barmherzigen Brüder, bei der heiligen Elisabeth, dem Vorbild der Elisabethinen, und auch bei Vinzenz von Paul, in dessen Geist die Barmherzigen Schwestern ihr Tun stellen.

Was unterscheidet Ordenskrankenhäuser von anderen Krankenhäusern?
Der Unterschied liegt genau darin, dass hinter diesen Krankenhäusern Orden stehen. Es ist zwar nicht mehr so, dass überall Ordensschwestern und -brüder arbeiten, aber ihre Spiritualität, die Menschen dahinter, die Ordensfrauen und -männer und ihr Leben prägen die Unternehmenskultur der Häuser. Das ist mehr als ein Leitbild, das man sich selbst gibt, sondern eher vergleichbar
mit einer Blume – durch die Zeit hindurch organisch gewachsen.

Wie ist die Haltung der Ordensspitäler in Bezug auf das neue Gesetz zur Sterbeverfügung?
Der assistierte Suizid, um es beim Namen zu nennen, ist keine Option für uns. Dazu fühlen wir uns auf Grund unserer christlichen Grundeinstellung nicht befähigt. Das sage ich auf dem Hintergrund, dass wir als Ordenskrankenhäuser niemanden allein lassen. Für uns steht der Mensch, der in schwerer Krankheit, am Ende seines Lebens oder aus welchen Gründen auch immer mit psychischen und physischen Leiden konfrontiert ist, im Mittelpunkt. Wir sind ihm zugewandt, bieten medizinische, psychische und seelsorgliche Begleitung und so viel Schmerzfreiheit wie nur möglich. Dass er seinen Weg mit unserer Zuwendung gehen kann – bis zuletzt. Das ist die Alternative, die wir bieten.

Wie sieht die Realität am Lebensende in Ordenskrankenhäusern aus?
Mehr als ein Viertel der österreichischen Palliativ- und Hospizstationen werden von Orden getragen. Wir haben eine hohe Expertise in der Begleitung am Lebensende – in der Pflege, im medizinischen Bereich, im Bereich der Schmerzbehandlung, in der Psychotherapie, Sozialarbeit und Seelsorge. Ich habe selbst schon einige Menschen, die ich persönlich kannte, bei uns, auf der Palliativstation der Elisabethinen, ein Stück weit begleiten können und miterlebt, was dort geleistet wird und was das mit den Menschen macht.
Viele kommen mit schweren Leiden zu uns und sagen „Lasst mich sterben!“ oder „Gebt mir was – ich möchte sterben“. Aber wenn sie dann in dem Betreuungssetting sind, das sie bei uns zur Verfügung haben – da gab es Momente, wo sich Menschen für jede Minute Leben, die sie noch gut verbringen konnten, bedankt haben. Das ist sehr bewegend.
Ich kann nachfühlen, dass es Situationen gibt, wo Menschen als einzige Lösung den Suizid sehen. Für mich stellt sich dann immer die Frage: Was können wir in der Begleitung dieser Menschen tun, damit dieser Wunsch nicht so stark wird. Und weitergedacht frage ich mich auch, in welcher Gesellschaft wir letztlich leben möchten. In einer liebevollen und fürsorglichen, wo alles Menschenmögliche für mich getan wird? Oder in einer, wo
es für alles eine „einfache“ Lösung gibt?


Wo Menschen für jede Minute Leben, die sie noch gut verbringen konnten, dankbar sind.


Wie hat sich die Pandemie auf die Ordenskrankenhäuser ausgewirkt?

In den Ordensspitälern war die Pandemie seit 2020 natürlich auch voll da. Wir haben einen wesentlichen Beitrag für das Gesundheitssystem geleistet. Es gibt und gab in ganz Österreich Isolierstationen, in Wien haben wir jetzt eine Einrichtung für Long-Covid-PatientInnen, und auch an internationaler Forschungszusammenarbeit sind Ordenskrankenhäuser beteiligt.

Was mir sehr am Herzen liegt: Ich möchte an dieser Stelle einen Dank an alle MitarbeiterInnen aussprechen. Alle aus Medizin, Pflege, Therapie, Seelsorge und Verwaltung haben wirklich Großartiges geleistet und leisten es noch immer. Die Versorgung von Kranken und Schwerkranken ist für das Gesundheits-
personal Alltag. Aber durch Covid-19 hat das ganz andere Ausmaße angenommen. Besonders weil ja auch alle privat von der Pandemie betroffen waren und sind. Eine Krankenpflegerin kann nun mal nicht ins Homeoffice gehen. Für diesen Einsatz – oft unter härtesten Bedingungen: Danke!

Wie stehen Sie zu einer Impfpflicht für Gesundheitspersonal, und wie sieht es in Ihren Häusern aus?
Unsere Mitarbeitenden spiegeln natürlich die Gesellschaft wider. Auch bei uns gibt es der Impfung gegenüber zurückhaltendere Personen. Wir liegen österreichweit bei einer Durchimpfungsrate von ca. 85 bis 90%. Genau genommen gibt es die Impfpflicht im Gesundheitsbereich schon lange – z. B. bei Masern oder Hepatitis. Auch gesellschaftlich war das bis vor kurzem weitestgehend unhinterfragt. Jeder, der in die Tropen reisen wollte, wusste, dass er sich impfen lassen muss.

Jetzt bei der Corona-Impfung kam natürlich auch die Neuartigkeit des Impfstoffes dazu, was Ressentiments verstärkt hat. Aber auch unter ImpfskeptikerInnen gibt es solche und solche. Ich kenne Menschen, die alle Schutzmaßnahmen annehmen, sich testen und ihre sozialen Kontakte reduzieren.
Die kann man nicht gleich bewerten wie Menschen, die Corona herunterspielen und sich nicht an Vorgaben halten.

Wie ist die aktuelle Situation in den Krankenhäusern im Blick auf Covid-19?
Es ist in ganz Österreich ähnlich: Die Infektionszahlen sind hoch, aber in den Krankenhäusern ist es ruhiger als bei der Delta-Welle. Die Dramatik im medizinischen Bereich hat sich inzwischen etwas gelegt. Das große Unbekannte ist jetzt im dritten Pandemiejahr schon ein Stück bekannter. Es gibt eine Impfung, die sichtlich Wirkung zeigt. Es wird bald auch Medikamente geben, wie das zum Beispiel auch bei der Grippe der Fall ist.
Wir werden lernen, damit zu leben.

Meinen Sie, dass wir etwas aus dieserPandemie gelernt haben?

Ja, ich denke schon. Krisen wie diese Pandemie zeigen die Haarrisse einer Gesellschaft auf. Unsere Schwachpunkte sind zum Vorschein gekommen. Der Gedanke „To be in solidarity or not to be“ (In Solidarität sein oder nicht sein) hat sich für mich bestätigt. Wir haben gesehen, dass es nur durch einen gemeinsamen gesamtgesellschaftlichen Akt möglich ist, sich der Pandemie entgegenzustellen und diese Herausforderung auch zu meistern. Das hat uns Covid-19 gelehrt: Dass eine resiliente, widerstandsfähige Gesellschaft eine solidarische sein muss.

Katharina Grager

Zur Person
MMag. Dr. Christian Lagger MBA, geboren 1967 in Kärnten, Studium der Theologie, Philosophie und Business Administration, von 2001–2009 Bischöflicher Sekretär bei Bischof Dr. Egon Kapellari, seit 2010 Geschäftsführer des Krankenhauses der Elisabethinen in Graz, Präsident des Internationalen Forschungszentrums für soziale und ethische Fragen in Salzburg, seit 2021 auch Vorsitzender der ARGE Ordensspitäler, dabei koordiniert und vertritt er zwei Jahre lang 23 heimische Ordenskrankenhäuser mit 26.500 MitarbeiterInnen.

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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