Interview
Himmel und Licht

Zu einem Atelier-Besuch lud Edith Temmel (l.) Gertraud Schaller-Pressler (r.) und Sonntagsblatt-Fotograf Gerd 
Neuhold. Dabei gab sie sehr persönliche und 
spannende Einblicke in ihr umfassendes Schaffen im Bereich Malerei, Glaskunst und Objekte.
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  • Zu einem Atelier-Besuch lud Edith Temmel (l.) Gertraud Schaller-Pressler (r.) und Sonntagsblatt-Fotograf Gerd
    Neuhold. Dabei gab sie sehr persönliche und
    spannende Einblicke in ihr umfassendes Schaffen im Bereich Malerei, Glaskunst und Objekte.
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Die Künstlerin Prof. Edith Temmel (80) ist durch bedeutende Arbeiten in steirischen Kirchen und ihre Künstlerklausuren im Stift Rein bekannt. Im Gespräch mit Gertraud Schaller-Pressler erzählt sie von ihrem Werdegang, was sie inspiriert und wofür sie kämpft.

Sie zählen zu den bedeutendsten KünstlerInnen der Steiermark. Wie sind Sie aufgewachsen?
Meine Eltern waren im familieneigenen Annenhofkino tätig, das mein Großvater 1909 als erstes Kino in Graz gegründet hatte. Davor ist er mit einem mechanischen Theater in der Monarchie herumgezogen.

Wann haben Sie Ihr kreatives Potenzial entdeckt?
Da meine Mutter immer an der Kinokassa sitzen musste, habe ich als kleines Kind einmal gedacht, sie hätte auf mich vergessen. Da fand ich auf dem Dachboden alte, farbige Weihnachtskerzen, die ich so lange in den Händen hielt, bis sie weich geworden sind. Daraus hab‘ ich dann Zwergerl, Körberl mit kleinen Sachen drinnen und anderes geformt, und meiner Mutter auf den Kopfpolster gelegt. Sie war darüber so gerührt, dass sie diese kleinen Andenken in einen Glaskasten gestellt und Besuchen immer gezeigt hat. Damals entdeckte ich die Möglichkeit,mit meinen Händen etwas zu gestalten und auszudrücken.

Welche Ausbildungen haben Sie absolviert?
Ich bin in die sehr strenge Klosterschule des Sacre Coeur gegangen, zuerst in Graz und dann in Pressbaum bei Wien. Anschließend besuchte ich die Frauenoberschule in Graz und hab‘ sehr früh geheiratet. An der Akademie konnte ich nicht studieren, denn man brauchte damals eine Unterschrift vom Ehemann, wenn man berufstätig sein oder eine Ausbildung machen wollte. Gott sei Dank fand ich in Elga Maly, Mitbegründerin des Forums Stadtpark, eine Lehrerin, die mich ermutigte, auf der Urania Kurse zu belegen. Und schon bald hatte ich meine ersten Ausstellungen und war erfolgreich. Auch der Priester Josef Fink hat mich sehr unterstützt und zu seinen Künstlerklausuren sowie ins Kulturzentrum bei den Minoriten eingeladen.

Wie entstanden Ihre Glasfenster in steirischen Kirchen?
Meinen ersten großen Glasfensterauftrag habe ich für die Pfarrkirche Hönigsberg gewonnen. Das waren 120 m² Echt-Antikglas verbleit! Ich bin damals monatelang zwischen Graz und der Glasmanufaktur Schlierbach hin- und hergefahren und habe dort von Odilo Kurka von der Pike auf gelernt, wie man Glasfenster gestaltet.

Was inspirierte Sie zu den Glasfenstern in der evangelischen Heilandskirche und der Franziskanerkirche in Graz?
Bei der Heilandskirche war es das Wort „apokalyptein“: Es bedeutet, eine Decke oder einen Vorhang wegzuziehen, das Licht hereinzulassen. Und das hängt ja mit Wahrheitsfindung zusammen! Das Fenstermotiv ist eigentlich ein Vorhang, der das Licht hereinlässt, der Klarheit schafft. Bei der Franziskanerkirche war das Thema von den Ordensbrüdern vorgegeben – und zwar das wunderschöne Kirchenlied „Der Geist des Herrn erfüllt das All“.

Papst Benedikts Messgewand für seinen Mariazell-Besuch 2007 entwarf Temmel in den Farben von Himmel und Licht. | Foto: Schiffer
  • Papst Benedikts Messgewand für seinen Mariazell-Besuch 2007 entwarf Temmel in den Farben von Himmel und Licht.
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Wie kam es zur Lichtwand in der Grazer Schutzengelkirche?
Zu diesem Fresko hat mich eine faszinierende Schilderung Marc Chagalls inspiriert: Er sitzt in Paris bei Dämmerung in seinem Atelier, und auf einmal wird es so hell im Raum, dass er die Augen zumachen muss, weil er die Helligkeit nicht aushalten kann. Und er spürt, es ist ein Engel im Raum. Dieser Engel geht durchs Atelier, schaut alles an und entschwindet dann durch die Wand, nimmt alles Blau mit sich, und er hört noch das Schweifen der Flügel …

Wie entstanden Ihre Messgewänder für den Papstbesuch in Mariazell?
Der Auftrag war ein neues Messkleid für Mariazell in Blau. Zuerst habe ich Entwürfe zum Thema Maria gemacht. Aber mit den Symbolen ist es nicht so einfach. Sobald Maria einen Sternenkranz bekommt, wird man an die EU erinnert. Und auch dieses M mit dem A und dem I in der Mitte ist schon so oft verwendet worden, dass ich auf Symbole schließlich ganz verzichtet habe. Ich habe bei den Farben an Himmel und Licht gedacht. Weil der blaue Umhang von Maria eigentlich ein Symbol für das Universum ist. Und das Blau geht in die Tiefe.

Sie gelten auch als Synästhetin, die Musik in Farben hört.
Ich arbeite überhaupt nur mit Musik, vor allem sehr gerne mit orthodoxer Liturgie, ich kann gar nicht anders! Und ich habe in Klangbildern ganze Serien von Musik in Malerei umgesetzt, weil ich wissen wollte, wie die Musik ausschaut. Der Künstler Wassily Kandinsy hat einmal das grelle Zitronengelb als einen hohen Trompetenton beschrieben. Das kann ich bestätigen, das ist so!

Wann finden Sie Ihre Werke gelungen?
Meine Lehrerin Elga Maly hat immer gesagt: Schön oder nicht schön, das sind Schönheitsbegriffe. Die verändern sich mit jeder Generation und sind nicht wichtig. Wichtig ist: Stimmen muss es! Und sie meinte damit, es muss wahrhaftig sein.

Welchen Bezug haben Sie zu Engeln?
Ich mache mit Vorliebe Flügelobjekte und schwebende Sachen. Du kannst einen Geist, der eine Energieform ist, nicht mit einem Körper versehen, weil sich das wandeln und alles sein kann. Mich fasziniert der Gedanke von der Erhaltung der Energie und dass nichts verloren geht. Man sollte deshalb immer positive und keine negative Energie entwickeln. Einem Kind würde ich erklären: „Pass auf mit allem, was du denkst, denn der liebe Gott hört deine Gedanken.“

In der Schutzengelkirche in Graz gestaltete Edith Temmel die nordseitige Lichtwand, inspiriert von einer Vision des Künstlers Marc Chagall: Schleifende goldgelbe Flügel vor blauem Grund lassen an einen durchziehenden Engel denken. | Foto: Neuhold
  • In der Schutzengelkirche in Graz gestaltete Edith Temmel die nordseitige Lichtwand, inspiriert von einer Vision des Künstlers Marc Chagall: Schleifende goldgelbe Flügel vor blauem Grund lassen an einen durchziehenden Engel denken.
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Was regt Sie trotzdem auf?
Es hat mich immer sehr gestört, dass die Theologie so einen Respektabstand zur Naturwissenschaft und zur Anthropologie als der Wissenschaft vom Menschen gehalten hat. Wie die ältesten Funde des Homo sapiens aus Afrika zeigen, waren die ersten Menschen – und damit auch Adam und Eva – sicher schwarz. Wie wir mit Zuwanderern und andersfarbigen Menschen umgehen, ist ein Skandal! In allen Menschen fließt das gleiche Blut – und das ist rot!

Glasfenster in der Pfarrkirche Hönigsberg (2009).

Haben Sie einen Lieblingsheiligen?
Der heilige Franz von Assisi ist für mich ganz wichtig, weil er so menschlich und nicht abgehoben ist. Ich habe einen Zyklus zum Sonnengesang gemalt und für den Salzburger Erzbischof ein Messkleid mit der Vogelpredigt gestaltet. Was mir in der Bibel sehr abgeht, ist, dass die Schöpfung schutzbedürftig ist. Und ich habe ein großes Problem mit dem Satz „Macht euch die Erde untertan“. Man kann sich nicht etwas untertan machen, unterjochen, ausnützen.

Wie drücken Sie diese Ausbeutung der Erde aus?
Als 2010 im Golf von Mexiko diese große Ölkatastrophe passiert ist, habe ich einen Hausaltar gemacht: Außen ist das Paradies zu sehen, innen ein Kreuz aus den Worten Gier, Dummheit und Größenwahn, dahinter der brennende Golf von Mexiko und ein total ölverklebter Pelikan, Symbol für Christus.

Welches Gottesbild haben Sie?
Eine Vorstellung vom lieben Gott ist – glaub ich – nicht möglich. Aber man kann sich herantasten. Ein Franziskanerbruder sagte mir einmal, man muss sich Gott vorstellen wie das Wasser für einen Fisch – nicht fassbar, aber existenziell. Ohne Wasser kann der Fisch nicht leben.

Wie sehen Sie die Menschen?
Man muss mit Urteilen sehr vorsichtig sein. Weil ich in meinem langen, langen Leben wirklich zu der Überzeugung gekommen bin: Jede Ursache hat eine Ursache hat eine Ursache. Menschen handeln oft unbewusst aus – auf den ersten Blick – nicht erkennbaren Gründen. Und man soll die Menschen so nehmen, wie sie sind, und nicht, wie sie sein sollen. Das ist das Wichtigste. Jeder Mensch ist ein Kunstwerk.

Zur Künstlerin:
www.edith-temmel.at

Interview: Gertraud Schaller-Pressler

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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