Vor den Vorhang - Das Interview der Woche
Der Stille Raum geben
Kirchenmusik – nur schöne Untermalung? Was tun, wenn sich keine MusikerInnen finden? Wie neue Lieder mit der Gemeinde lernen? Eine Organistin und unser Kirchenmusik-Referent geben Antwort.
Kirchenmusik ist ein fixer Bestandteil der Liturgie und mehr als „nur“ schöne Untermalung – warum ist das so?
Michael Schadler: Ich denke, Augustinus liefert eine gute Begründung dafür, wenn er sagt: „Den Liebenden drängt es zum Singen.“ Wie recht er hat, wird uns deutlich, wenn wir an frisch Verliebte denken. Da wird auf einmal selbst der Nüchternste und Coolste musikalisch, beginnt zu tanzen und lernt Gedichte. Die Liturgie will ein Raum sein, der es uns ermöglicht, immer tiefer in die Liebe hineinzuwachsen, welche Gott selber ist. Dort, wo uns dies geschenkt wird, spüren wir sehr deutlich, dass bloßes Sprechen und Denken als Antwort auf diese Gnade nicht genügt. Um auf seine Gnade antworten zu können, hat Gott uns die Kunst, die Poesie und die Musik geschenkt. Ein Gottesdienst, wo dies nicht spürbar ist, läuft Gefahr, dass wir wieder nur um uns selber kreisen. In Bezug auf die Musik heißt das nicht primär die korrekten Lieder zu singen oder musikalische Perfektion zu erreichen, sondern vor allem der Stille Raum zu geben, wodurch Musik überhaupt erst möglich wird.
Orgel und Volksgesang aus dem Gotteslob – hat das noch Zukunft?
Kathrin Müllerferli: Meiner Meinung nach, ja. Gottesdienst ist im Sinne der participatio actuosa (tätige Teilnahme) ein aktives Tun der gesamten Gemeinde. Dies sollte sich auch in der Kirchenmusik widerspiegeln. Der Einsatz von Orgel und Volksgesang ist aber nicht nur sinnvoll, um vorhandenen Richtlinien Genüge zu tun, sondern bringt auch einige Gewinne mit sich. So sehe ich das gemeinsame Singen von Liedern als eine gemeinschaftsstiftende Aktivität, an der jede und jeder, egal ob begnadete Sängerin, begnadeter Sänger oder nicht, teilnehmen darf und soll. Der Volksgesang ist eine praxistaugliche Form der musikalischen Gestaltung, die wenig bis gar keine Probenarbeit fordert. Außerdem sind die Lieder Teile der Liturgie und betreffen alle Mitfeiernden. Aber auch Gruppen, die sich auf andere Weise musikalisch einbringen, sind auf keinen Fall unwichtig. Ich empfinde besonders diese Vielfalt in der Kirchenmusik als sehr bereichernd.
Gibt es genug OrganistInnen bzw. MusikerInnen für die Gottesdienste? Was, wenn nicht?
Müllerferli: In unserem Seelsorgeraum sind wir in der glücklichen Lage, noch genügend Menschen zu haben, die sich gerne und mit großer Hingabe musikalisch in die Liturgie einbringen, sowohl OrganistInnen, als auch andere MusikerInnen. Außerdem gibt es viele außerkirchliche Gruppierungen, wie beispielsweise Blaskapellen oder Musikschulen, die sich im Jahreslauf an der Kirchenmusik beteiligen. Das Konservatorium für Kirchenmusik ist ein gutes Beispiel dafür, dass sich heute noch viele und vor allem auch junge Menschen für das musikalische Gestalten von Gottesdiensten begeistern lassen.
Natürlich gibt es Alternativen für die Musik in der Liturgie, wie beispielsweise das Wiedergeben von Aufnahmen oder ein unbegleiteter Volksgesang. Dennoch finde ich, dass sofern die Ressourcen vorhanden sind, Live-Gestaltung Vorrang haben sollte.
Schadler: Das möchte ich unterstreichen. Der Gottesdienst ist ein Beziehungsgeschehen. Da braucht es nicht unbedingt Orgelmusik, aber unbedingt den gegenwärtigen Menschen. Wir verlieren viel, wenn wir vorschnell auf Aufnahmen oder Playbackfunktionen für den Gemeindegesang zurückgreifen. Das Fehlen eines Organisten kann ja auch eine Einladung sein zu schauen, ob es in der Gemeinde jemanden gibt, der den Gemeindegesang mit der Gitarre oder dem Klavier begleiten könnte.
Viele sogenannte „neue geistliche Lieder“ sind inzwischen auch schon „alt“ geworden. Gibt es Neues in der Kirchenmusik?
Schadler: Das Spannende ist, dass viele wunderbare KomponistInnen wieder auf liturgische und biblische Texte zurückgreifen und dadurch oft auch kirchenferne Menschen mit Texten wie zum Beispiel dem Magnificat in Berührung kommen. Komponisten wie Arvo Pärt sind hier wirklich Hebammen des Glaubens, denn ich bin überzeugt, dass Gottes Wort, wie es im Buch Jesaja heißt, nicht leer zu ihm zurückkehrt, sondern etwas bewirkt. Indirekt generiert der wachsende Schatz an Kirchenmusik auch neue liturgische Formen. Denn viele Chöre haben den Wunsch, diese Werke in Kirchen zu musizieren, und dies geschieht zunehmend nicht nur in Konzerten, sondern auch in Gottesdiensten. Vorbild ist hier oftmals die Tradition des Evensongs, das wesentlich vom Chor getragene Abendgebet der anglikanischen Kirche. Vergangene Woche erst haben wir einen solchen Gottesdienst in der Grazer Stadtpfarrkirche gefeiert – angefragt und musikalisch gestaltet von der Kunstuni Graz, jedoch nicht, wie zu erwarten wäre vom Institut für Kirchenmusik, sondern vom Institut für Komposition und Dirigieren.
Bei jungen Menschen sind moderne Lobpreislieder (Worship) beliebt geworden – eine Bereicherung oder mit Vorsicht zu genießen?
Schadler: Ich durfte vor ein paar Jahren auf einer Exkursion einen Einblick in die Worshipszene in England nehmen. Dabei war ich tief beeindruckt von der musikalischen Professionalität der MusikerInnen einerseits und der Verankerung ihres Musizierens im Glauben andererseits. Einzelne Hits musiziere ich öfters mit meinem Jugendchor
– und wir sind immer alle mit Herz und Seele dabei. Gerade in der Chorarbeit mit jungen Menschen haben wir aber sicherlich die Verantwortung, die gesamte Breite musikalischer Spiritualität anzubieten. Nicht umsonst sind die Psalmen Maßstab für jedes christliche Singen: Weil sie die gesamte Widersprüchlichkeit unseres Lebens vor Gott bringen. Vor diesem Hintergrund, muss ich gestehen, ist mir bei den Lobpreisliedern auf Dauer zu viel „Power, Glory“ und „Majesty“. Ich weiß nicht, ob das in den Ohnmachtserfahrungen des Lebens trägt. Die Tendenz, welche in manchen kirchlichen Kreisen da ist, diese Musik missionarisch zu instrumentalisieren, empfinde ich vor diesem Hintergrund problematisch. Die Kirche braucht den Mut, jungen Menschen ehrlich die Ambivalenz des Evangeliums zuzumuten. Als Kirchenmusiker heißt das für mich, dass ich manchmal auch vermeintlich spröde Lieder wie „Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr“ auf den Liedplan setze.
Zum Schluss ein Praxis-Tipp: Wie kann man neue Lieder in einer Gemeinde etablieren?
Müllerferli: Die Grundvoraussetzung, um ein neues Lied in der Gemeinde zu etablieren, ist, das Lied selbst gut zu kennen und zu können. Beim Lernen des Liedes mit der Gemeinde gibt es prinzipiell zwei Möglichkeiten: Ein Sprung ins kalte Wasser oder eine Vorbereitung durch Unterstützungssysteme. Eine solche Unterstützung können z. B. SängerInnen des Kirchenchors oder KantorInnen sein, die das Lied im Vorhinein lernen. Sie können auf unterschiedliche Weise eingesetzt werden: Zum Vorstellen des Liedes, zum Übernehmen von Liedteilen (z.B. Refrain alle, Strophen KantorIn) oder als Stützen im Gemeindegesang. Auch OrganistInnen können durch instrumentales Vorstellen der Melodie, beispielsweise während der Kommunion, vorbereitend wirken. In einigen Pfarren ist es durchaus üblich, fünf Minuten vor dem Gottesdienst eine kleine Probe mit der Gemeinde durchzuführen. Allgemein gilt, wie in vielen Bereichen des Lebens: Übung macht den Meister.
Kathrin Müllerferli (22 Jahre) studiert Lehramt Sekundarstufe mit den Fächern Mathematik, Musikerziehung und Instrumentalmusikerziehung, ist Schülerin der Aufbaustufe des Konservatoriums für Kirchenmusik und nebenamtlich als Organistin im SR Kaiserwald tätig.
Michael Schadler ist Leiter des diözesanen Referats für Kirchenmusik und Chorleiter an der Stadtpfarrkirche Graz.
Autor:SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT |
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