Weizer Pfingstvision
Ist Frieden möglich?
Die Weizer Pfingstvision lud wieder Persönlichkeiten zum PfingsTalk – darunter der deutsche Journalist und Friedensaktivist Franz Alt. Zum Thema Frieden in Zeiten des Unfriedens.
Wie haben Sie die Zeit der Friedensbewegung in den 80er-Jahren erlebt?
Franz Alt: Ich war damals tatsächlich noch braves CDU-Mitglied und war noch in den 70ern für die atomare Nachrüstung. Ich habe gedacht, was die meisten gedacht haben – die meisten Konservativen zumindest: Wenn die Russen ihre SS20-Raketen aufstellen, müssen wir etwas dagegen halten. Nämlich die Pershings, die die Amerikaner dann auch in Deutschland und in ganz Mitteleuropa, in allen NATO-Staaten aufstellen wollten. Das war für mich so etwas wie selbstverständlich.
Dann habe ich Heinrich Böll kennengelernt, der ein entschiedener Gegner des atomaren Wettrüstens war. Ich habe immer mehr die Positionen und Argumente der deutschen und der amerikanischen Friedensbewegung beachtet und es schien mir immer einleuchtender zu sein, dass wir auf einen Atomkrieg zumarschieren, wenn wir dieses Wettrüsten nicht stoppen.
Doch wie stoppt man Wettrüsten? Da muss einer anfangen aufzuhören. Und so bin ich auf die Bergpredigt gestoßen und was Jesus Feindesliebe genannt hat. Feindesliebe kann man sehr idealistisch verstehen. Ich denke aber, Jesus war ein Realist und hat sicherlich nicht gemeint: Lass dir alles bieten. Sondern vielleicht das, was mit Feind im Thomas-Evangelium so definiert ist: Dein Feind, der ist wie du. Es ist nicht so, dass die Welt in Schwarz und Weiß eingeteilt werden kann: damals die böse Sowjetunion auf der einen und der wunderbare, gute Westen und die NATO-Staaten auf der anderen Seite.
Es wäre vernünftig, wenn einer aufhören würde zu rüsten. Wenn einer versuchen würde, auf den anderen zuzugehen. Und versuchen zu verstehen: Warum hat er Angst vor mir? (...) Ich glaube nicht, dass man Angst dadurch überwinden kann, dass man dem anderen immer mehr Angst macht! Aber genau das haben wir gemacht: Der Osten dem Westen und der Westen dem Osten.
Wie haben Sie die Gewaltfreiheit der Bergpredigt als einen möglichen Weg zum Frieden entdeckt?
Alt: Ich wollte ein Buch über die Berpredigt schreiben, um vielleicht einen Ausweg zu finden. Ich dachte, es muss doch irgendjemanden geben – in diesem ganzen atomaren Wahnsinn, der zum Weltuntergang führen hätte können. (...) Und so habe ich gedacht: Was hat denn dieser Jesus, der uns doch sonst einiges zu sagen hat, dazu zu sagen? Und ich bin an den See Genezareth in Israel gefahren und habe dort versucht nachzuempfinden, was Jesus auf diesem Berg der Seligpreisungen gemeint hat mit Feindesliebe. So kam ich auf die Idee, dass Feindesliebe heißen könnte: Sei klüger als dein Feind! Es reicht ja, wenn der dich vernichten will! Versuche doch eine Gegenstrategie zu entwickeln!
Ihr Buch hat sogar Michael Gorbatschow, Staatspräsident der Sowjetunion, gelesen ...
Alt: Ja, und er hat positiv reagiert. Er hat mir damals einen General geschickt, der mir sagen ließ: Gorbatschow ließ sich ihr Buch auf Russisch übersetzen und lässt Ihnen sagen: Wir machen genau das, was dieser Jesus in seiner Bergpredigt vorschlägt. Nämlich: Wir hören einfach auf mit dem Wahnsinn. Völlig egal, was der Westen macht. Ihr könnt noch so oft nachrüsten! Es reicht doch, wenn wir uns gegenseitig 20 Mal umbringen können. Es macht doch wirklich keinen Sinn, dafür zu sorgen, dass wir uns 30, 40, 50 Mal umbringen können. Wir hören auf! Und dieser militärische Mitarbeiter von Gorbatschow sagte einen Satz, den ich nie vergessen werde. Er sagte: Herr Alt, wir haben uns im Kreml vorgenommen, etwas ganz Furchtbares zu tun mit euch. Wir nehmen euch euer Feindbild.
Sie haben sich als Realpazifist bezeichnet. Was verstehen Sie darunter?
Alt: Ich denke Frieden ist immer noch möglich! Ronald Reagan war kein geborener Pazifist, sondern ein kalter Krieger, und Gorbatschow hat ihn zum größten Abrüstungsschritt aller Zeiten ermuntert! Das ist schon eine tolle Geschichte!
Übrigens war Gorbatschow ein getaufter russisch-orthodoxer Christ. Er steht also nicht ganz fern. Er war kein Kirchenfreund und Kirchgänger schon gar nicht, aber wenige Jahre vor seinem Tod haben wir uns noch einmal in Moskau getroffen, und ich habe ihn gefragt: „Herr Gorbatschow, gibt es denn für Sie so etwas wie ein Überlebensprogramm der Menschheit?“ Und der ehemalige Kommunist und Sozialdemokrat Michael Gorbatschow sagte: „Es gibt ein solches Überlebensprogramm – ich kenne ein einziges. Das ist die Bergpredig Jesu!“ Das möchte ich einmal aus dem Mund eines westlichen Politikers hören.
Wir reden jetzt auch im Westen schon wieder von Aufrüstung. (...) Wir haben einen Verteidigungsminister, der sagt Deutschland muss kriegstüchtig werden. Das sind alles Rückfälle in alte Zeiten. Das ist nicht das, was die Welt und die Menschheit heute brauchen. Wir brauchen Frieden! Ich sage auch, man kann nicht einfach die alten Thesen der Friedensbewegung übernehmen. Auch da muss man dazulernen, um den Ukrainekrieg zu beenden.
Frieden schaffen ohne Waffen – so vorbehaltlos, wie ich das zu den Zeiten der Friedensbewegung gesagt habe, kann ich das heute nicht mehr sagen. Denn ich sehe, da ist einer in Moskau, der ein Gauner ist, ein Diktator und ein Militarist. Der die Ukraine gnadenlos überfallen hat, Menschen umbringen lässt, Zerstörung anrichtet (...) Das ist weiß Gott keine gute Voraussetzung für Frieden! Und trotzdem plädiere ich dafür, dass wir versuchen, Verhandlungen herbeizuverhandeln. (…) Das ist nicht leicht, aber es gibt ein paar Lichtzeichen, auch in dieser schwierigen Situation. (…) Da kommt von EU und NATO insgesamt zu wenig Druck, dass Verhandlungen wenigstens herbeiverhandelt werden, um irgendwann zu einem Waffenstillstand und schließlich zu einer Friedenslösung zu kommen
Wenn es nach 1945 zwischen Deutschen und Franzosen möglich war, dann ist das auch heute zwischen Russen und Ukrainern möglich. Das sind schließlich auch Brüdervölker, so wie Deutsche und Franzosen eine lange gegenseitige Verbindung hatten. Wenn man mehr als nur über Waffen spricht, sondern die Diplomatie verstärkt. Ich bin nicht gegen Waffenlieferung von Abwehrwaffen an die Ukraine – sie braucht das in dieser Situation. Ich bin ein Realpazifist.
Was denken Sie über die Friedensverhandlungen in der Ukraine?
Alt: Wenn ein Nachbar überfallen wird und um Hilfe bittet – und die Ukraine ist überfallen worden und bittet um Hilfe –, dann kann ich mir auch als Christ und Pazifist nicht einfach die Ohren zuhalten und so tun, als gäbe es den Hilferuf gar nicht. Es gibt so etwas wie unterlassene Hilfeleistung. Deshalb habe ich verstanden, dass der deutsche Bundeskanzler Abwehrwaffen liefert. (...) Deutsche Abwehrwaffen in der Ukraine haben ukrainisches Leben gerettet. Das Ur-Ethos aller Religionen und aller Weisheitslehren, auch das Ur-Ethos des Jesus von Nazareth, heißt: Du sollst nicht töten! Das heißt aber auch, in der jetzigen Situation, wenn ich realistisch bin: Du sollst nicht töten lassen, wenn du die Chance hast, das zu verhindern, z. B. durch Abwehrwaffen. (...) Ich glaube, in der heutigen Friedensbewegung muss man zwischen Angriffs- und Abwehrwaffen klug unterscheiden. Und nicht die Augen zumachen, wenn ein Nachbar um Hilfe ruft.
Wie sehen Sie die Gefahr eines Atomkrieges?
Alt: Ich habe mit Michael Gorbatschow oft darüber gesprochen, wie nah wir an einem Atomkrieg waren, und zwar aus technischen Gründen. Das muss gar nicht von Menschen organisiert werden. Es kann auch ein technischer Fehler sein. Und Gorbatschow hat mir gesagt, zu seiner Amtszeit waren wir fünf mal ganz nahe am Atomkrieg wegen technischer Fehler. Wir haben nur Glück gehabt. Wir werden nicht immer Glück haben!
Wir sind in einer Zeit eines neuen atomaren Wettrüstens. Auch in Deutschland wird diskutiert, ob man nicht doch Atombomben bräuchte. Die Engländer, die Franzosen haben sie. Putin auch, und die Chinesen, Israel, Indien, Pakistan ... Eine der größten Gefahren unserer Zeit, neben der Gefahr einer Klimakatastrophe, die auch zum Ende der Menschheit führen könnte, ist das neue atomare Wettrüsten. Und dafür brauchen wir eine neue realistische Friedensbewegung.
Auszüge aus einem Gespräch mit Andrea Moser-Pacher.
Autor:SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.