Jubiläum
Evangelisch auf Steirisch
75 Jahre Superintendenz Steiermark. Festakt der steirischen evangelischen Diözese in der Grazer Heilandskirche.
Den Vorabend von Allerheiligen, 31. Oktober, begehen die evangelischen Christinnen und Christen als Reformationstag, als Jahrestag von Martin Luthers Thesenanschlag in Wittenberg 1517. Am heurigen 31. Oktober feierte die evangelische Kirche in der Steiermark ihr 75-jähriges Bestehen als eigene Superintendenz. Für die evangelische Kirche Österreichs war ein Bischofsamt eingeführt worden. An der Spitze der Leitung einer evangelischen Diözese, einer Superintendenz, stehen hingegen ein geistlicher Superintendent und ein weltlicher Superintendentialkurator. In beide Ämter können Männer wie Frauen gewählt werden.
In der vollen Grazer Heilandskirche konnte Superintendentialkurator Michael Axmann unter vielen Ehrengästen auch Landeshauptmann Christopher Drexler und dessen Vorgänger Hermann Schützenhöfer, die Grazer Bürgermeisterin Elke Kahr, den römisch-katholischen Bischof Wilhelm Krautwaschl und Bischof em. Egon Kapellari sowie Superintendent a. D. Hermann Miklas begrüßen.
„Evangelisch auf Steirisch“ überschrieb Michael Bünker, in Leoben geboren und von 2008 bis 2019 Bischof der evangelisch-lutherischen Kirche in Österreich, seinen Festvortrag. „Konfliktträchtig und konfliktfreudig“ sei die evangelische Kirche in der Steiermark. Schon die Wahl des ersten Superintendenten Leopold Achberger 1947 war mit Konflikten verbunden (wir berichteten in Nr. 43).
Danach entwickelte sich schrittweise ein neues Kirchenbewusstsein. Von politischer Neutralität fand man zu politischem Engagement: protestantisches Abenteuer, kein religiöser Trachtenverein. Man begann vor allem ab den 80er Jahren eine NS-belastete Vergangenheit aufzuarbeiten. Nachhaltig erfolgte auch eine ökumenische Öffnung. Eine zunächst merklich wachsende Kirche lebt nun wieder mit einem zahlenmäßigen Rückgang. Die Situation, als Minderheit oft verstreut unter Anders- oder Nichtgläubigen zu leben, gelte immer mehr für alle Kirchen, die „diasporafest und dialogfähig“ werden müssten (siehe Spalte auf Seite 12).
Zuvor hatte schon Superintendentialkurator Michael Axmann die Frage nach einem „typischen steirischen Protestanten“ aufgeworfen und zog Parallelen. Die Steiermark ist Widerspruch gegen Zentralismus (so Karl Schwarzenberg), ähnlich wie die Reformation. Die Steiermark, so Axmann, ist als Hochburg der Innovation sehr wissenschaftsfreundlich. Die evangelische Kirche versteht sich als Kirche, die Glauben und Aufklärung zusammen denkt. Sie ist eine Kirche des Wortes und des Buches, der Bibel, die aber nicht fundamentalistisch missverstanden wird. Das sogenannte „steirische Klima“, das Gemeinsames über Trennendes stellt, spiegelt sich auch in Ökumene und interreligiösem Dialog.
„Hoch vom Dachstein an“ beginnt die steirische Landeshymne, also mit Blick auf die Ramsau, eine Hochburg evangelischen Lebens. Für Menschen mit reformatorischen Grundsätzen sei die Steiermark „ein gutes Land zum Leben“.
Herbert Meßner
IM ORIGINALTON
Michael Bünker, ehemaliger Bischof der evangelischen Kirche A. B. in Österreich, schloss seine Festrede mit einem Ausblick.
Diasporafest und dialogfähig: So ist Kirche in der Zukunft
Insgesamt lebt die evangelische Kirche in der Steiermark immer deutlicher in der Diaspora (Minderheit, Zerstreuung, Red.). Wie von Wilhelm Dantine angestoßen, lässt sich Diaspora positiv verstehen als Aussaat im Ackerfeld der Welt. Die Diasporakirche ist eine zahlenmäßige Minderheit, die sich aber nicht nur für sich selbst,
sondern für das Ganze der Gesellschaft, in der sie lebt, verantwortlich weiß.
Dieter Knall, Vikar in Bruck, Pfarrer in Stainz, steirischer Superintendent und österreichischer Bischof, von Anfang an diasporaerfahren auf lokaler Ebene und dann auch europaweit, meinte dazu:
„Diasporaarbeit ist das Schlüsselwort für die Kirche von morgen. In Zukunft werden alle Kirchen darum ringen müssen, seien sie klein oder groß, ihre eigenen Glieder diasporafest und dialogfähig zu machen, also ökumenisch mündig.“
Diasporafest und dialogfähig, offen und öffentlich, so sehe ich die evangelische Kirche in der Steiermark. Wie jede Kirche ist auch die Diasporakirche nicht eine fordernde, nicht eine anklagende und jammernde, sondern immer eine bittende, eine lernende, eine dienende und einladende Kirche. Sie ist ja kein Selbstzweck, sondern ein Geschöpf des Evangeliums, und das Evangelium schuldet sie der Welt, die befreiende Botschaft von der unbedingten Gnade Gottes, die in Jesus Christus erfahren wird. Die 62. der berühmten 95 Thesen, die Martin Luther am Vorabend von Allerheiligen wohl an die Türe der Schlosskirche in Wittenberg angeheftet hat, lautet: „Der wahre Schatz der Kirche ist das hochheilige Evangelium von der Herrlichkeit und Gnade Gottes.“
Die Evangelischen dürfen sich freuen, dass sie, ihre Gemeinden, ihre Kirche und auch ihre Superintendenz ihre Namen nach dem Evangelium tragen, eben evangelisch sind – oder wie Sie es auf steirisch aussprechen wollen. Das Evangelium spricht immer Dialekt, denn es ist nahe bei den Menschen.
Festschrift
Innovation und Tradition. Hg. von Michael Axmann, Gernot Hochhauser und Wolfgang Rehner, epv, ISBN 978-3-85073-313-7.
Kirche mit vielen Facetten
Eine Festschrift gibt Einblick in steirisches evangelisches Leben.
Beeindruckt zeigte sich beim Festakt in der Heilandskirche Landeshauptmann Christopher Drexler. Tiefgang, Bereitschaft zur Selbstreflexion und historisches Bewusstsein sprach er als „Tugenden“ der Evangelischen Kirche Steiermark an. Ohne die evangelische Tradition wäre die Steiermark ärmer. Das Landhaus bezeichnete er als „steingewordenen Protestantismus“; hier tagten die meist reformatorischen Landstände, die dem katholischen Landesherrn gegenüberstanden. Die Steiermark sei dann aber auch Motor der Gegenreformation gewesen. Die Dialogfähigkeit, wie sie heute zwischen den Kirchen gewachsen ist, brauchen,
so Drexler, auch Kirche und Gesellschaft.
Die Festschrift „Innovation und Tradition“ stellte die römisch-katholische Kirchenhistorikerin Michaela Sohn-Kronthaler vor.
Die 400-seitige „prachtvolle Neuerscheinung“ mit zahlreichen Abbildungen wertete sie als „unverzichtbares Nachschlagewerk“. In Spiegelung der Tatsache, dass im Lauf der Geschichte Frauen oft ungenannt blieben, nannte sie am Anfang nur die weiblichen Autorinnen. Geschichte und Arbeitsbereiche der Superintendenz und die ökumenisch-interreligiöse Offenheit werden informativ und verständlich dargelegt. Bestellt werden kann die Festschrift unter: Evangelischer Presseverband in Österreich, Ungargasse 9/10, 1030 Wien, E-Mail: epv@epv-evang.at
Mit einer großen Dankesliste und dem Segen Gottes beschloss Superintendent Wolfgang Rehner den Festakt. Er erinnerte aber auch an das Schicksal evangelischer Christinnen und Christen in unserem Land, die vertrieben wurden, bis hin zu Persönlichkeiten wie Johannes Kepler. Oft im Geheimen wurde lange der Glaube in den Familien weitergegeben. Der Glaubensfestigkeit der Verschleppten und der Glaubenstreue im Geheimen sei es auch zu verdanken, dass in Zeiten der Toleranz wieder Gemeinden gegründet werden konnten.
Gerade in der Steiermark ist die evangelische Kirche besonders vielfältig und heterogen. Hier befinden sich mit Eisenerz die zahlenmäßig kleinste, mit Graz-Heilandskirche die zahlenmäßig größte und mit Murau-Lungau die flächenmäßig größte Gemeinde. In der Ramsau sind 85 Prozent evangelisch, in der Oststeiermark oft nicht einmal 0,5 Prozent. Bei den PfarrerInnen und Gemeinden ist die theologische Bandbreite sehr groß, bis hin zum Spaltungspotenzial. Heute leben in 33 Gemeinden und fünf Tochtergemeinden 34.850 evangelische Christinnen und Christen. Eine Minderheit, die sich aber für das Ganze der Gesellschaft verantwortlich weiß.
Autor:SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT |
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