Pflege
Wie altert unsere Gesellschaft?

Ein Kurzfilm über die Situation der Arbeitsmigration auf den Philippinen eröffnete die Auftaktveranstaltung zur Aktion Familienfasttag. Ein Teller Suppe für jede Besuchende beschloss den Abend.  | Foto: Neuhold
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  • Ein Kurzfilm über die Situation der Arbeitsmigration auf den Philippinen eröffnete die Auftaktveranstaltung zur Aktion Familienfasttag. Ein Teller Suppe für jede Besuchende beschloss den Abend.
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Bei Suppe und Brot tauschten sich Besuchende der Auftaktveranstaltung der Aktion Familienfasttag intensiv über das Thema Pflege aus.

Die traditionelle Auftaktveranstaltung zur Aktion Familienfasttag stand diesmal unter dem Motto „CARE“ (Deutsch: Pflege). Die 24h-Betreuung ist ein weltweit präsentes Thema: Einerseits werden dringend Pflegekräfte gebraucht, andererseits suchen besonders Menschen in einkommensschwächeren Ländern nach Möglichkeiten, sich und ihre Familie finanziell abzusichern. Was hat das mit Österreich zu tun?

Darüber wurde am Donnerstag, 6. Oktober, im Afro-Asiatischen Institut (AAI) in Graz diskutiert. „Wer denkt schon gerne darüber nach, dass er auch einmal versorgt werden muss“, gab Lydia Lieskonig von der Katholischen Frauenbewegung in ihren Begrüßungsworten zu denken, und Johannes Mindler-Steiner vom AAI legte nach: „Wir alle werden über kurz oder lang mit dem Thema Pflege konfrontiert sein“. Ein Blick in den Raum und aufs Podium zeigte: Das Thema ist weiblich – auch ein diskutabler Aspekt.

Während eine Videobotschaft von den Philippinen des kfb-Projektreferenten Clemens Huber Einblick in die Arbeitsmigration auf den Philippinen und in das Leben der „Overseas Philippin Workers“ gewährte, führte das Statement von Karin Schuster (Auszug siehe Spalte links) zur 24h-Betreuung in Österreich ganz schnell die eigenen Baustellen vor Augen. Als Claudia Gigler von der Kleinen Zeitung, die Moderatorin des Abends, fragte: „Wer von Ihnen musste schon einmal gepflegt oder versorgt werden? Wer hat in seinem Umkreis zu pflegende Angehörige mit 24h-Betreuung?“, gingen viele, ja fast alle Hände hoch.

Christine Braunersreuther, die zu „transnationaler Care-Arbeit“ forscht, ist überzeugt, dass Forschung aktivistisch sein muss. In ihrer Ausstellung „Hilfslinien“ hat sie daher 24h-Betreuerinnen selbst zu Wort kommen lassen. „Die 24h-Betreuung ist in Österreich unsichtbar und steht auf einer fragwürdigen legalen Basis“, so Braunersreuther. „Es ist bequem, wie es funktioniert, und es läuft, aber weil wir ganz viel akzeptieren, das nicht in Ordnung ist.“

Simona Ďurišová stammt aus der Slowakei und war 13 Jahre alt, als ihre Mutter begann, in Österreich als 24h-Betreuerin zu arbeiten. Heute engagiert sich die 32-Jährige in der Interessensvertretung der 24h-BetreuerInnen in Österreich (IG24). Sie erinnert sich an durchwachte Nächte, wenn die Mutter von Österreich nach Hause kam – zu oft hörte man von schweren Unfällen bei diesen langen Fahrten mit vielfach übermüdeten Fahrern.

Ďurišová kritisiert vor allem das Profit-System im Hintergrund. Agenturen würden sich auf Kosten der Not der Angehörigen von zu pflegenden Personen und durch Ausbeutung billiger Arbeitskräfte aus dem Ausland bereichern. Die IG24 fordert daher ein Ende der, wie sie es nennen, „Scheinselbstständigkeit“ der BetreuerInnen und Festanstellungen für rechtliche und soziale Absicherung und mehr Kontrolle durch den Staat.

Die Diskussion im Publikum brachte viele weitere Facetten des Themas hervor: Ängste vor der Versorgungssituation von Angehörigen oder der eigenen späteren Versorgung, die fragwürdige Doppelrolle von Agenturen, Scham für die Situation in Österreich und auch die ethische Frage, unter welchen Bedingungen unsere Gesellschaft altern muss, will und kann. Bei der anschließenden Einladung zu Suppe und Brot wurde das Gespräch rege weitergeführt.

Katharina Grager

Im Originalton

Karin Schuster ist Diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin und engagiert
sich bei „Mehr für Care“.

Angewiesen auf eine Notlösung

Auf die 24-Stunden-Betreuung in Österreich schaue ich durch mehrere Brillen:
als Diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin, als Radiojournalistin von Radio Helsinki, als Aktivistin bei Mehrfür Care und Attac.

Amnesty International Österreich veröffentlichte diesen Juli gemeinsam mit der Interessensgemeinschaft der 24h-BetreuerInnen (IG24) und CuraFAIR, einer Anlaufstelle für 24h-BetreuerInnen bei der Volkshilfe, einen offenen Brief an den Sozial- und Arbeitsminister. Die Forderungen basieren auf einem umfangreichen Bericht der Menschenrechtsorganisation, laut dem das rechtliche Rahmenwerk in Österreich die Ausbeutung von BetreuerInnen im großen Stil zulässt.

In den Morgenstunden des 23. August kam der Fahrer eines Personentransporters im Gemeindegebiet von Stainz von der Straße ab. Eine rumänische Personenbetreuerin verstarb, die anderen sechs Frauen erlitten leichte Verletzungen.

Auf der Website des Sozialministeriums steht: „2007 wurden die Rahmenbedingungen für eine qualitätsgesicherte 24h-Betreuung auf legaler Basis geschaffen.“ Anna Leder von der IG24 beschreibt es so: „24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, zwei bis vier Wochen lang arbeitsbereit sein – und das für zwei bis drei Euro pro Stunde. Und: rassistische Abwertung, verbale, körperliche, auch sexualisierte Gewalt sind Realitäten, die nach wie vor in der Öffentlichkeit weitgehend tabuisiert sind.“ Wolfgang Mazal, Arbeitsrechtexperte der Uni Wien, nennt es Systemversagen: „Es gibt einen breiten Konsens
über die Gesetzeswidrigkeit des Vorgehens, aber man ignoriert die Rechtsprechung einfach.“

Rund 60.000 BetreuerInnen und 800 bis 1000 Vermittlungsagenturen sind in Österreich tätig. Die 24h-Betreuung ist zu einer zentralen Säule des österreichischen Pflegesystems geworden. Trotzdem: Es ist eine Notlösung. Bitte nicht falsch verstehen: Wenn Missstände im Bereich der 24h-Betreuung aufgezeigt werden, richtet sich die Kritik nicht an jene, welche 24h-Betreuung in Anspruch nehmen, auch nicht an die BetreuerInnen selbst, sondern an dieses System, auf das wir derzeit angewiesen sind, wenn wir für unsere Angehörigen Hilfe brauchen.

Die Basis unseres Zusammenlebens

Sorgearbeit ist in der Krise – so die Katholische Frauenbewegung

Würde unsere Gesellschaft funktionieren, wenn niemand für Kinder, Kranke und Alte sorgt, wenn niemand Windeln wechselt, putzt, kocht, wäscht, einkauft … ? Wahrscheinlich nicht. Keine Gesellschaft kann ohne diese „systemrelevanten“ Sorgetätigkeiten bestehen.

Sorgearbeit beinhaltet lebensnotwendige Tätigkeiten, ohne die auch wirtschaftliches Wachstum unmöglich wäre. Sorgearbeit ist die Basis allen wirtschaftlichen Handels. Sie spielt jedoch keinerlei Rolle für ökonomische Kennziffern wie das BIP – das vermeintliche Maß für den Wohlstand unserer Gesellschaft.
Sorgetätigkeiten passieren vor allem im Haushalt, sind dadurch kaum sichtbar und meist unbezahlt. Sie werden meist als Privatsache und nicht als Arbeit gesehen („Meine Frau arbeitet nicht“). Weltweit übernehmen Frauen und Mädchen täglich mehr als 12 Milliarden Stunden unbezahlte Sorgearbeit. Würden diese Stunden auch nur mit dem Mindestlohn bezahlt werden, wäre dieser Sektor der größte Wirtschaftszweig überhaupt! Durch die Sorgearbeit bleibt vielen Frauen keine Zeit für Erwerbsarbeit oder Aus- und Weiterbildung. Sie verfügen daher über weniger oder gar kein eigenes Einkommen. Soziale Absicherung wie Pensionen, Arbeitslosenversicherung oder ähnliches ist aber noch immer überwiegend an Erwerbstätigkeit gebunden.

In vielen Ländern des Globalen Südens ist die staatliche Bereitstellung von Daseinsvorsorge besonders unzureichend. Schlechte Infrastruktur und das Fehlen sozialer Institutionen erhöhen den Arbeitsaufwand in der Sorgearbeit enorm. Etwa die Zeit, um Wasser und Brennholz zu holen, das Beaufsichtigen von Kindern oder die Versorgung von Kranken und Pflegebedürftigen. Für viele Frauen sind die Lebensverhältnisse so prekär, dass Migration der letzte Ausweg ist. Die einzige Arbeitsmöglichkeit im Ausland ist für viele die Hausarbeit. Dies oft schlecht bezahlt, ohne Rechte und soziale Absicherung! Bei ihrem Aufbruch in fremde Haushalte verlassen sie ihre Familie, ihre eigenen Kinder, für die wiederum irgendwie gesorgt werden muss.

Eine tiefgreifende Sorgekrise. Die Überlastung vieler Sorgetragender und fehlende Fürsorge sind kein individuelles, sondern ein systemisches Problem. In der Logik von Profit und Konkurrenz ist es nur richtig, dass die Sorgearbeit unbezahlt oder unterbezahlt erledigt wird, denn es ist die billigste Variante. Und es wird auch auf noch billigere Arbeitskräfte aus Ländern, wo Armut und Not noch größer sind, zurückgegriffen.

Franziska Foissner, Referentin der KFBÖ für Entwicklungspolitik und Bildungsarbeit

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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