Interview
Diagnose Demenz: Lernen und Verlernen
Die Demenz-Diagnose ihres Vaters hat viel verändert. Johanna Constantini erzählt von Lern- und Verlernerfahrungen.
Wie kann es den Didi treffen?!“, hat Johanna Constantini, Tochter des berühmten österreichischen Fußballers und Fußballnationaltrainers oft gehört, nachdem die Familie seine Demenz-Diagnose 2019 öffentlich gemacht hatte – „den Sunnyboy, der noch so jung und fit war.“ Inzwischen hat sie bereits ihr zweites Buch über ihre „Lern- und Verlernerfahrungen“ mit der Erkrankung geschrieben. Im Dezember kommt sie für zwei Lesungen in die Steiermark.
Ihr Vater, Didi Constantini, erhielt mit 64 Jahren die Diagnose Demenz. Haben Sie davor schon etwas bemerkt?
Johanna Constantini: Es gab Anzeichen, die jedoch keinem genauen Krankheitsbild zugeordnet wurden. Die ersten Symptome zeigten sich jedenfalls schleichend nach Papas Rückzug aus der Öffentlichkeit. Über einige Jahre stellte sich eine depressive Stimmung ein, zu der nach und nach Orientierungsschwierigkeiten und Vergesslichkeit hinzukamen. Versuche, Papa Hilfe anzubieten, gab es viele. Einige stießen bei ihm auf Wohlwollen, andere verneinte er. Es war ein Auf und Ab. 2019 verursachte Papa dann einen Verkehrsunfall. Im Zuge dessen wurde eine Alzheimer-Diagnose gestellt. Danach war bald klar, dass wir an die Öffentlichkeit gehen wollen. Um Gerüchten vorzubeugen, aber auch um Vorbild zu sein.
Mittlerweile haben Sie Ihr zweites Buch über den Weg mit der Demenzerkrankung Ihres Vaters geschrieben. Was war Ihr Ansporn?
Constantini: Der erste Ansporn war für mich das Schreiben selbst. Lange bevor ich und wir an eine Veröffentlichung dachten. Nach und nach wuchs die Idee, unsere Geschichte einem Verlag anzubieten. Mit Maria Seifert vom Seifert Verlag habe ich eine sehr angenehme und wertschätzende Verlegerin gefunden. In meinem ersten Buch „Abseits 1 – aus der Sicht einer Tochter“ habe ich viel aus Papas Karriere Revue passieren lassen und auch diesen stetigen Rückzug und die Entwicklung der Demenz beschrieben. In meinem zweiten Buch „Abseits 2 – von Lern- und Verlernerfahrungen“ geht es viel um Herausforderungen und Chancen auf dem Weg mit der Krankheit. Auch um Parallelen zwischen dem Verlernen meines Papas und dem Lernen meiner Töchter.
Sie sind Klinische Psychologin – wie hat das in Ihre Bücher hineingespielt? Wie können PsychologInnen den Erkrankten und den Angehörigen helfen?
Constantini: Natürlich spielt mein Beruf eine Rolle und hilft mir auch manchmal im Umgang mit der Demenzerkrankung meines Papas. Allen voran bin ich hier aber Tochter. Mit all dem emotionalen Ballast, dem Auf und Ab, das dazugehört. PsychologInnen und die professionelle Unterstützung im Allgemeinen können Angehörigen als auch Betroffenen auf dem Weg helfen. Oft hilft schon die Tatsache, Erfahrungen und Herausforderungen zu berichten und damit einfach nicht alleine zu bleiben.
Es heißt, Demenz ist eine Krankheit der Angehörigen, weil die Erkrankten sehr bald nicht mehr viel davon mitbekommen. Wie haben Sie das erlebt?
Constantini: Sehr bald würde ich nicht sagen. Vielmehr sage ich stets, dass Betroffene sehr lange merken, dass sie Dinge verlernen und ihnen der gewohnte Alltag nicht mehr so gelingen kann. Aber ja, es kommen meist Phasen, in denen Betroffene in eine Art eigene Welt eintreten, beziehungsweise in denen Verlernen und Vergessen nicht mehr so störend erlebt wird. Angehörige sehen auch dann noch zu und leiden meist massiv unter allen Phasen. Daher gilt es besonders, sie von Beginn der Krankheit an gut zu begleiten und zu unterstützen!
Ihr Vater lebt mittlerweile schon länger in einer Pflegeeinrichtung. Wie war der Prozess bis dahin, und was würden Sie Menschen raten, die vor der Entscheidung stehen: zu Hause pflegen oder in eine Einrichtung geben?
Constantini: Jedenfalls, dass es eine ganz persönliche und individuelle Entscheidung sein darf. Für manche Familien kommt ein Heim in Frage, für andere eine 24-Stunden-Pflege oder auch andere Modelle. Wichtig ist meiner Meinung nach, Schritte in Richtung engmaschiger Unterstützung zu gehen, da es in den meisten Fällen extrem herausfordernd ist, Demenz-Betroffene über eine lange Zeit alleine zu begleiten und zu pflegen. Dieser Aufgabe sollte sich niemand alleine stellen müssen.
Ist unser Gesundheitswesen, so wie es ist, auf DemenzpatientInnen vorbereitet? Gibt es genug Hilfen, Einrichtungen, Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten für Gesundheitspersonal? Wo sehen Sie den größten Ausbaubedarf?
Constantini: Da muss ich an dem letzten Satz meiner vorhergehenden Antwort anknüpfen. Es sollte niemand alleine sein. Fakt ist, viele Menschen sind alleine. Die Herausforderungen beginnen vor und oft intensiv bei der Einstufung für Pflegegeld und reichen bis zu fehlenden Plätzen in Pflegeheimen. Leistungen sind schwer finanzierbar und es fehlt an Fachkräften, um auch finanzierbare Leistungen beziehen zu können. Ich denke, es wird in der Richtung viel getan, aber in Hinblick auf die Altersentwicklung sollte es an vielen Ecken und Enden weit mehr sein. Vor allem, um Menschen schnell und unbürokratisch helfen zu können!
Interview: Katharina Grager
LESUNGEN
Johanna Constantini liest aus ihrem neuen Buch „Abseits 2 – Von Lern- und Verlernerfahrungen“.
Voitsberg: Di., 10. Dezember, 18.30 Uhr, Dachbodentheater, Zangtalerstraße 5a. Eintritt frei.
Graz: Mi., 11. Dezember, 18 Uhr, Murinsel Graz, Lendkai 19. Eintritt frei.
LESEPROBE
„Wer bist du?“ – „Ich bin deine Tochter Johanna.“ Auf solche Fragen zu antworten, fiel mir eine Zeit lang ziemlich schwer. Doch rückblickend war auch dieser Prozess schleichend gekommen, und was mich zu Beginn erschreckt hatte, wurde relativ bald zur Normalität. Erleichternd kam hinzu, dass Papa die emotionale Verbindung zu uns als seiner Familie auch über jene Phase nicht zu verlieren schien. (...)
Ich konnte feststellen, dass Papa eher mit Verwechslungen innerhalb der Familie (...) zu kämpfen hatte. „Ma, da is ja die Irmy“, freute er sich schon einmal, wenn ich ihn vor den Türen des Wohnheims abholte. „Die Johanna, Papa“, lächelte ich dann und fragte mich dabei oft, ob ich dieses Missverständnis wirklich hätte aufklären müssen. Es so stehen zu lassen, fiel mir jedoch manches Mal einfach noch schwer. (...) „Ja, ich bin ja so deppert“, schimpfte auch Papa dann oft, um sich wenig später noch einmal zu versichern: „Also nicht die Irmy?“ – „Nein, die Johanna.“– „Ja, das kann ich oft nicht mehr, aber is ja auch nit so leicht“, beschwichtigte Papa dann. „Ja, aber deswegen reden wir darüber, und dann findest es wieder. Das ist wegen der Demenz! Da verändert sich das Gehirn“, versuchte ich Papa jene Verwechslungen möglichst geduldig zu erklären. „Du weißt des alles, oder?“ – „Na, Papa. Ich vergessʼ auch viel. Aber ich bin ja auch 30 Jahre jünger, musst du bedenken!“– „Ich lass des in deinen Händen“, übergab mir Papa so manches Mal die Verantwortung, ihn auf jenen Irrwegen zu unterstützen.
aus: Abseits 2. Von Lern- und Verlernerfahrungen. Johanna Constantini. Seifert Verlag. 172 Seiten, gebunden, ISBN 978-3-904123-78-5
Autor:SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT |
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