16. Sonntag: P. Martin Leitgöb CSsR
Genießen können, um nicht ungenießbar zu werden
Der kleine Ort Betanien lag in biblischen Zeiten etwa 2,7 Kilometer von Jerusalem entfernt an der Ostseite des Ölbergs. Ins Deutsche übersetzt bedeutet der Name des Dorfes „Armenhaus“. Doch anders als dieser Name vermuten lässt, erfuhr Jesus gerade dort einen großen Reichtum, nämlich den Reichtum von Erholung und Freundschaft. Betanien war für ihn ein Rastplatz für die Seele. Vor allem zu den drei Geschwistern Lazarus, Marta und Maria hegte er enge freundschaftliche Kontakte, in ihrem Haus dürfte er wohl immer wieder zu Gast gewesen sein. Aus dem Johannesevangelium kennen wir die Geschichte vom Tod und von der Auferweckung des Lazarus. Ausdrücklich wird in dieser Geschichte betont, wie sehr Jesus um seinen verstorbenen Freund trauerte.
Von den zwei Schwestern des Lazarus, Marta und Maria, hören wir im Evangelium dieses Sonntags.
Wie es bei Geschwistern häufiger vorkommt: Die beiden hätten in ihrem Wesen unterschiedlicher nicht sein können. Auch wenn dies im positiven Sinn eine gegenseitige Ergänzung bedeuten kann, muss die Verschiedenheit von Geschwistern auch durchgerungen und ausgehalten werden. Diese Herausforderung wird bei zunehmendem Alter oft nicht kleiner, sondern größer. Sie ist vor allem dann nicht ganz einfach zu bestehen, wenn erwachsene Geschwister unverheiratet bleiben und miteinander einen Haushalt teilen. Genau dies war offensichtlich bei Marta und Maria der Fall.
Zwei ungleiche Schwestern
Nicht immer können Familienschwierigkeiten vor Gästen verheimlicht werden. Das Bedürfnis Jesu nach Erholung und Freundschaft hin oder her, Marta ließ ihrem Frust ganz einfach freien Lauf. Vielleicht ist es ja gerade der Atmosphäre der Freundschaft verdankt, dass sie recht offene Worte fand: „Kümmert es dich nicht, dass meine Schwester die Arbeit mir allein überlässt? Sag ihr doch, sie soll mir helfen!“ Vor einem guten Freund braucht man schließlich lange aufgestauten Ärger nicht verbergen. Marta fehlte es an Wertschätzung. Sie rackerte und rannte, und die Schwester genoss ganz einfach den Besuch. Sicher war es nicht zum ersten Mal so. Es war wohl ein Muster in dieser Schwesternbeziehung.
Der Alltag soll sich nicht
bloß in Sorgen und Mühen
erschöpfen. Es braucht auch Zeiten der Muße, der
Beziehungspflege …
Auf Hebräisch bedeutet der Name „Marta“ so viel wie „die Bittere“. Ob Marta durch die Antwort Jesu zusätzlich erbittert war, erfahren wir nicht. Oberflächlich betrachtet, vielleicht ja. Möglicherweise verstand sie die Reaktion des Gastes aber auch als eine Einladung, ihre eigene Lebensart zu überdenken. Der Alltag soll sich nicht bloß in Sorgen und Mühen erschöpfen. Es braucht auch Zeiten der Muße, der Beziehungspflege im Gespräch, der vorbehaltlosen Freude über die Begegnung mit einem Freund, wie es Jesus für die beiden Schwestern war. Wer die schönen Seiten des Lebens nicht genießen kann, wird auf Dauer ungenießbar. Das ist niemandem zu wünschen. Nicht der Marta des Evangeliums, und auch jenen Menschen nicht, die gleich ihr zu wenig auf eine gute Ausgewogenheit zwischen Arbeit und Muße achten.
Über Marta gibt es übrigens eine schöne Legende aus dem Mittelalter. Nach Tod und Auferstehung Jesu sei sie zusammen mit ihren Geschwistern aus Betanien vertrieben worden und ins heutige Südfrankreich geflüchtet. In der Nähe von Marseille habe sie ein Kloster gegründet und sich dem beschaulichen Leben gewidmet. Glaubt man dieser Legende, dann hätte sie also gelernt. Beschaulich zu leben, heißt ja letztlich auch, sich nicht ausschließlich in den Sorgen und Mühen des Alltags zu erschöpfen. Außerdem wird erzählt, dass Marta mit ihrem Gesang einen menschenfressenden Drachen bezwungen und gezähmt habe.
Immer nur rackern und rennen, sich immer nur von Arbeit in Anspruch genommen fühlen – ist eine solche Haltung nicht auch wie der Drache in der Legende über Marta? Ich meine: Jeder Mensch sollte darauf achten, sich von diesem Drachen nicht das Leben rauben zu lassen!
Autor:Kirche bunt Redaktion aus Niederösterreich | Kirche bunt |
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