Wüstenmütter
Lebensweisheit aus der Wüste
Die Weisheit der Wüstenväter fasziniert auch moderne Menschen. Was viele nicht wissen: Es gab auch Wüstenmütter wie Theodora, die sich mutig in die Wüste von Ägypten zurückzog. Ein Kurzporträt aus dem Buch „Courage“.
Kurz nach 350 sterben sowohl der Mönchsvater Antonius wie auch der erste Klostergründer Pachomius in Ägypten. Der Erste gilt als Urtyp der Einsiedler und der „vita eremitica“, Letzterer als Pionier der „vita coenobitica“ oder des klösterlichen Gemeinschaftslebens. Während im Niltal zahlreiche Großklöster entstanden, bevölkerten sich das Nildelta und die Sketiswüste mit Einsiedeleien.
Die Weisheit der Wüstenväter, die auf sich allein gestellt oder mit wenigen Schülern außerhalb der Siedlungen lebten, fasziniert auch moderne Menschen. Viele dagegen hören erstaunt, dass es auch Wüstenmütter gab: spirituell mutige Frauen, die sich in Klausen zurückzogen. Grabungen haben solche in der Form von ebenso schlichten wie praktischen Eremitagen rekonstruieren lassen: von einer Außenmauer geschützte Gevierte, mit Empfangsraum und Sprechzimmer bei der Pforte, Sodbrunnen, Garten und Dattelpalmen für die Selbstversorgung, eine beheizbare Wohnzelle aus Steinen und Lehm für sich und ein, zwei Schülerinnen und einer Toilette in einer Ecke der Schutzmauer.
Wie groß der Anteil der Eremitinnen unter den Wüstenasketen war, bleibt unbekannt. Von sechs bekannten Wüstenmüttern sind Weisheiten überliefert. Die Hälfte davon, 68 Sprüche und kurze Lehren, stammen von Theodora. Sie lebte im 4. Jahrhundert in der Nähe von Alexandrien. Die Überlieferung besagt, dass sie als junge Frau in der Diokletianischen Verfolgung – wie viele andere angeklagte Christinnen – zur Prostitution verurteilt worden, jedoch in den Kleidern eines christlichen Soldaten geflohen sei. Ihre Themen und Sprüche bezeugen eine gute theologische Bildung und eine geistliche Mutterschaft, die die Eremitin möglicherweise zur „Amma“ (Äbtissin) einer kleinen Frauengemeinschaft werden ließ.
In der Sammlung des „Meterikon“ finden sich auch Ansätze einer Gemeinschaftsregel für Schwestern, die Theodora zugeschrieben werden:
3. Wenn ihr euch von allen Leidenschaften befreien wollt, dann versucht, der Mutter aller Sünden zu entkommen: der Selbstsucht.
9. Stillschweigen und Gebet sind die besten Werkzeuge der Tugend: Sie reinigen den Verstand und schärfen ihn. (…)
Moderne Menschen, die nicht zur Weltflucht berufen sind, könnten folgende Ratschläge inspirieren: Amma Theodora sprach: Wer andere lehrt, der und dem muss die Freude am Herrschen fremd sein, Ruhmsucht fern, Stolz weit weg! Er oder sie falle nicht auf Schmeicheleien herein, lasse sich nicht durch Geschenke blenden, erliege nicht der Esslust, werde nicht vom Zorn mitgerissen. Wer andere lehrt, muss großherzig sein, respektvoll, demütig, einsichtig und geduldig, einfühlsam und die Seelen liebend.
Theodora sagte auch: Habt Acht, meine Schwestern, dass ihr euren Nahrungsverzicht nicht durch langes Schlafen ausfüllt, denn das wäre ein Unsinn. Unsere Tugend soll immer mit der Gabe der Unterscheidung (discretio) verbunden sein. Wie sollt ihr das Geheimnis des Todes finden, wenn ihr es nicht im Herzen des Lebens sucht? … Leben und Tod sind eins, so wie der Fluss und das Meer eins sind.
Väter und Mütter
Das christliche Mönchtum entstand im Vorderen Orient und der entscheidende Schritt bestand im Rückzug aus der „Welt“ hinaus in die Wüste. Zu Tausenden zogen an der Wende zum 4. Jahrhundert Männer (und Frauen) in die ägyptische Wüste: die sogenannten „Wüstenväter“ – und „Wüstenmütter“, die dort in Einsiedeleien oder Klöstern lebten. Von sechs solchen Wüstenmüttern sind Aussprüche und Lebensweisheiten schriftlich überliefert (siehe das Kurzporträt der Wüstenmutter Theodora links).
Diese Männer und Frauen waren Aussteiger, die sich radikal dem Evangelium und dem Gebet verschrieben. Viele sahen sich – nach dem Ende der Christenverfolgungen – in der spirituellen Nachfolge der Märtyrer, indem sie die Entbehrungen der Wüste auf sich nahmen. Sie strebten nicht nur die Wüste als Raum an, sondern waren unterwegs zu ihrer inneren Wüste, um dort Gott zu finden. Überliefert sind zahlreiche Aussprüche und Anekdoten der Wüstenväter und Wüstenmütter; das Kernstück ist die Sammlung „Apophthegmata Patrum“ (die Weisungen der Väter).
Darin tritt uns eine eigentümliche Lebensart und seltsame Denkweise entgegen, doch einige Aspekte sprechen auch den modernen Menschen an: die Stille suchen, sparsam mit Worten umgehen, den befreienden Gott in den eigenen Abgründen finden, sich selbst aushalten lernen. Auch das Wissen, wie man negative Gedanken durch positive ersetzt, ist heute noch aktuell.
123 mutige Menschen
Es gibt Menschen, deren Mut erstaunt uns. Sie setzen ihr Leben ein für andere, für Frieden, für einen Neuanfang. Das Buch „Courage – 123 Kurzporträts mutiger Menschen“ führt uns Menschen aus allen Zeiten, Kulturen und Religionen vor Augen, die auch uns heute inspirieren und ermutigen, uns von Krisen nicht unterkriegen zu lassen.
Sarah Gaffuri und Niklaus Kuster, Courage. 123 Kurzporträts mutiger Menschen;
erschienen im Verlag Herder 2022;
gebunden, 272 Seiten, Preis 24,70 Euro.
Autor:Patricia Harant-Schagerl aus Niederösterreich | Kirche bunt |
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