Umfrage
„Spielt das Christentum in der Europäischen Union noch eine Rolle?“

Fahne der Europäischen Union | Foto:  rustamank - stock.adobe.com

Am 9. Juni finden in Österreich die Wahlen zum EU-Parlament statt. Öffentlich breit diskutiert werden im Vorfeld die Herausforderungen, vor denen Europa steht, wie der Klimaschutz oder die technische Revolution durch künstliche Intelligenz. „Kirche bunt“ hat im Vorfeld den österreichischen Spitzenkandidaten/der Spitzenkandidatin jener Parteien, die derzeit im EU-Parlament bereits vertreten sind, drei Fragen gestellt, deren Antworten christliche Wähler besonders interessieren könnten. Hinweis: Allen Parteien wurde der gleiche Platz eingeräumt.

Bei den EU-Wahlen können 350 Millionen wahlberechtigte Bürger 705 Abgeordnete zum Europäischen Parlament wählen. Wie viele wirklich zur Wahlurne schreiten werden, ist völlig offen. Bei den letzten Wahlen vor fünf Jahren waren es nur rund 50 Prozent der Wahlberechtigten. Der Grund für die geringe Wahlbeteiligung liegt wohl darin, dass den Menschen die Bedeutung der EU und damit auch des EU-Parlaments oft nicht bewusst ist. Nämlich, dass in der EU beschlossene Gesetze in fast allen Bereichen unseres Lebens eine Rolle spielen. EU-Gesetze werden von der EU-Kommission vorbereitet und dann meist im Parlament und im Rat behandelt und beschlossen. Wenn keine Einigung zustande kommt, kann ein Gesetz nicht in Kraft treten. Deshalb spielt das EU-Parlament so eine gewichtige Rolle.

Das Europäische Parlament ist das einzige direkt gewählte Organ der Europäischen Union. Neben der Mitwirkung an EU-Gesetzen verfügt das EU-Parlament über eine Reihe von Kontrollmöglichkeiten zur Überwachung und Prüfung der anderen EU-Institutionen. Das EP wählt aber auch den Präsidenten/die Präsidentin der EU-Kommission und hat das Recht, die EU-Kommission zu bestätigen oder abzulehnen. Ein Mitspracherecht hat das EP auch bei der Aufstellung des Haushaltplans und der Genehmigung des EU-Finanzrahmens.

Folgende Fragen stellten wir den Spitzenkandidaten.

1. Worin sehen Sie die Bedeutung des Christentums für Europa?

2. Sind Sie für eine europäische Verfassung? Und wenn ja, soll darin ein Gottes-Bezug aufgenommen werden?

3. Europa wird gerade im Hinblick auf das Christentum immer säkularer. Sehen Sie das mit Sorge?

Reinhold Lopatka
(ÖVP)

1. Europa und Österreich sind geprägt von jüdisch-christlichen Wurzeln, der Aufklärung und dem Bekenntnis zu Toleranz, Gleichheit, Solidarität und Respekt. Das Christentum ist eine wesentliche kulturelle und historische Grundlage Europas und seiner Wertegemeinschaft. Christliche Werte wie Nächstenliebe, Solidarität und Menschenwürde sind tief in der europäischen Gesellschaft verankert und haben maßgeblich zur Entwicklung von Demokratie, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit beigetragen.

2. Wir wollen keine europäische Verfassung und auch keine Vereinigten Staaten von Europa. Derzeit müssen wir uns auf die Reform und Stärkung der bestehenden Strukturen innerhalb der EU konzentrieren. Wichtig dabei ist, immer die Souveränität der Mitgliedsstaaten zu berücksichtigen und das Vertrauen der Bürger in die EU zu stärken.

3. Wir respektieren die Trennung von Kirche und Staat als fundamentales Prinzip moderner demokratischer Gesellschaften. Diese Trennung gewährleistet die religiöse Freiheit und die Neutralität des Staates gegenüber verschiedenen Glaubensrichtungen. Gleichzeitig sehen wir die Werte, die aus dem christlichen Erbe Europas hervorgehen, als wesentliche Bestandteile unserer kulturellen Identität. Diese Grundsätze müssen auch in Zukunft in Österreich sowie Europa weiterhin gelebt werden.

Andreas Schieder
(SPÖ)

1. Die EU ist eine Rechts- und Wertegemeinschaft, sie basiert auf Pluralismus, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität, Nichtdiskriminierung und Gleichheit.

2. Unser Verständnis von Europa ist geprägt von Solidarität und dem Respekt für die Rechte und Bedürfnisse der Menschen.

3. Mit Sorge sehen wir das Erstarken von rechten und nationalistischen Parteien, die die europäische Demokratie, Rechts- und Wertegemeinschaft grundlegend in Frage stellen. Wir müssen uns daher gemeinsam und mit aller Kraft gegen den drohenden Rechtsruck stemmen.

Harald Vilimsky
(FPÖ)

1. Das Christentum ist eines der wichtigsten Pfeiler unserer europäischen Zivilisation. Umso erschreckender ist es zu sehen, welche Fehlentwicklungen die EU einschlägt. Sie misst dem christlichen Erbe keine Bedeutung mehr zu. Die traditionelle Familie wird durch willkürliche linksideologische Werte ersetzt, die mittlerweile mehr als nur Mann und Frau kennt. Daneben bildet sich eine islamische Parallelgesellschaft, und den Christen droht in Europa in gewissen Gegenden das gleiche Schicksal wie ihren Glaubensbrüdern im Nahen Osten. Wenn man das anspricht, verstößt man gegen „EU-Werte“. Diese Entwicklung muss gestoppt werden.
2. Eine EU-Verfassung würde bedeuten, dass es auch einen EU-Zentralstaat gibt, um somit die Nationalstaaten endgültig zu entmündigen. Das war nicht Sinn und Zweck dieser Gemeinschaft. Zudem kann man sicher sein, dass in dieser linksideologischen EU der Terminus „Gott“ keinen Platz erhalten wird.
3. Die Entfremdung der Bevölkerung von der katholischen Kirche ist offensichtlich. Ebenso muss man leider eine Zunahme von Konvertierungen europäischer Jugendlicher zum Islam feststellen. Diese Problematik wird sich durch den Zuzug von Millionen Menschen aus dem nordafrikanischen und arabischen Raum verschärfen. Eine starke Kirche sollte sich diesen Herausforderungen offen stellen, indem sie die offensichtliche Gefahr ihres Verschwindens nicht einfach ignoriert. Gerade viele der jungen Menschen, die aus der Kirche austreten, bräuchten Halt, eine Identität und einen stabilen Glauben.

Lena Schilling
(Grüne)

1. Das Christentum hat Europas Geschichte geprägt, von der Religion über die Politik bis zur Ideengeschichte und der Wissenschaft. Eine Glaubensgemeinschaft, der mehr als 60 % der europäischen Bevölkerung angehören, hat schon allein deshalb eine große Bedeutung. Im Kampf gegen die Klimakrise, beim Umweltschutz, bei Fragen zu Menschenrechten und zum Wert der sozialen Sicherheit, erlebe ich Glaubensgemeinschaften oft als verlässliche, starke Partnerinnen.

2. Wir haben uns sehr für die europäische Verfassung eingesetzt und sind froh, dass die wichtigsten Punkte im heute gültigen Vertrag von Lissabon aufgenommen wurden. Im Sinne der Säkularität sind wir mit der darin gewählten Formulierung sehr einverstanden: „Schöpfend aus dem kulturellen, religiösen und humanistischen Erbe Europas, aus dem sich die unverletzlichen und unveräußerlichen Rechte des Menschen sowie Freiheit, Demokratie, Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit als universelle Werte entwickelt haben“.

3. Grundsätzlich ist die Frage der Zugehörigkeit zu Glaubensgemeinschaften aus meiner Sicht etwas zutiefst Privates. Gleichzeitig ist aber anzuerkennen, dass die Rolle der Kirche bzw. kirchlicher Organisationen in ihrem gesellschaftlichen Wert gerade im Sozialbereich für bedürftige Menschen weit über die Frage einer Religionszugehörigkeit hinausgeht. Das Engagement in diesen aber auch in anderen Bereichen wie etwa beim Klimaschutz respektiere und schätze ich.

Helmut Brandstätter
(Neos)

1. Das Christentum hat Europa geprägt, leider war die Kirche oft auf der Seite der Mächtigen, nicht der Schwachen. In Kombination mit der Aufklärung bietet das Christentum einen wichtigen Wertekanon. Als Politiker bekenne ich mich zu den europäischen Werten und den Menschenrechten, im Sinne derer ich meine Arbeit in Brüssel gestalten werde. Das Christentum ist Teil unserer Vielfalt in Europa, die es zu schützen gilt.

2. Im Prinzip haben wir durch den Vertrag von Lissabon (EUV und AEUV) eine defacto europäische Verfassung, die natürlich weiterentwickelt gehört. Eine Demokratie und somit auch die EU können nur funktionieren, wenn es eine strikte Trennung von Kirche und Staat gibt. Dies schließt einen Gottesbezug in einem positivistischen Rechtssetzungssystem aus. Nichtsdestotrotz muss selbstverständlich Religionsfreiheit und der Schutz dieser gewahrt und wie man sieht auch verstärkt werden.

3. Mir ist die Trennung von Kirche und Staat wichtig, die Demokratie und gerade die EU können nur funktionieren, wenn wir hier eine ganz klare Trennlinie setzen. Menschen werden aber immer Halt in transzendenten Ideen suchen, da kann das Christentum weiter für viele Menschen wertvoll sein und im persönlichen Leben vieler Menschen eine große Rolle spielen. Klar ist, dass es weder Hass noch Gewalt gegenüber einzelnen Religionsgruppen geben darf. Ich bin für ein gemeinsames Europa, zu dem wir alle etwas beisteuern können.

Autor:

Kirche bunt Redaktion aus Niederösterreich | Kirche bunt

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