Dinge mit Geschichte(n) - von Inge Friedl
Die kostbare Leinwand
Als Erzherzog Johann 1820 die steirische Ramsau besuchte, war er in einigen Bauernhöfen zu Gast. Er schrieb in sein Tagebuch: „Die Hausfrauen zeigten mir ihre Kästen.“ Voll Stolz präsentierten sie dem Prinzen „Vorräte selbst erzeugter Leinwand“, denn Leinen war früher ein Zeichen von Wohlstand. Es wurde den jungen Frauen bei der Heirat als Aussteuer mitgegeben: Leinen, das selbst angebaut, selbst zu Garn versponnen und dann vom Weber gewebt worden war. Daraus hat man Bettwäsche, Hemden, feine Leinentischtücher und Unterwäsche gemacht. Jeder Meter Leinen stammte aus der Selbstversorgerwirtschaft – die Herstellung war eine lange und mühsame Arbeit.
Es begann im Frühjahr mit der Aussaat vom Lein, dem Flachs. Ich durfte noch mit Menschen sprechen, die in dieser alten bäuerlichen Welt gelebt haben. Sie berichteten, dass das Jäten, nachdem die Saat aufgegangen war, sehr mühsam war. Dann bei der Ernte im Herbst wurde der Flachs nicht geschnitten, sondern „gerupft“, also samt der Wurzel aus der Erde gezogen. Er wurde getrocknet und danach in der Tenne „geriffelt“, um den Leinsamen vom Stroh zu trennen.
Nun wurde der Flachs so lange ins Freie gelegt, bis das Stroh faulig und mürbe wurde. Dann hieß es wieder alles einsammeln und noch einmal trocknen. Etwa im November, wenn alle andere Arbeit getan war, wurde gebrechelt. Die „Haarstube“, der Dörrofen, wurde eingeheizt und dort der Flachs gedörrt. Danach wurde der noch heiße Flachs mit dem Brechelschwert bearbeitet. Durch kraftvolles Niederschlagen wurde der Flachs von den holzigen Bestandteilen befreit. Übrig blieb das weiche „Haar“, das zu Zöpfen geflochten wurde und so tatsächlich schönem blonden Haar ähnelte. Im Winter liefen die Spinnräder den ganzen Tag. Der Flachs wurde zu Garn versponnen, das der Weber schließlich zu grober und feiner Leinwand verarbeitete.
Die Leinwand im Kasten war nicht nur ein Zeichen für Wohlstand, sondern auch für den Fleiß der Mädchen und Frauen. Noch die Großmutter meines Mannes hatte einen Kasten voll (gekaufter) Bettwäsche, viel mehr als sie brauchte. Es war wohl noch ein Rest aus jener Zeit, in der eine solche Ausstattung eine Frau auszeichnete und Leinwandstoffe als kostbar angesehen wurden.
Die Historikerin Inge Friedl wird uns im Advent von „Weihnachten, wie‘s früher war“, erzählen und uns Inspiration für heute schenken.
Autor:Kirche bunt Redaktion aus Niederösterreich | Kirche bunt |
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