Erfahrungsbericht
Der Advent mit unserem autistischem Sohn

Max am Adventmarkt in Enns. | Foto: privat
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Am 3. Dezember ist Welttag der Menschen mit Behinderung. Birgit Kubik, Mitarbeiterin der Linzer Kirchenzeitung, erzählt von Advent und Weihnachten mit ihrem außergewöhnlichen Sohn.

Lasst uns froh und munter sein, und uns recht von Herzen freuʼn! Lustig, lustig, traleralera! Bald ist Nikolaus Abend da, bald ist Nikolaus Abend da!“ So tönt es lautstark aus Maxʼ Zimmer.
Dass der Nikolaus-Abend bald da ist, ist relativ, denn wir haben erst den 3. November. Bei uns beginnt die Einstimmung auf Weihnachten nicht mit dem ersten Adventsonntag, nein, die Einstimmung beginnt Wochen davor, nämlich nach Allerseelen. Ab da müssen die Weihnachtslieder auf die SD-Karte (die Digitale Speicherkarte für seinen Musikwürfel) gespielt werden, damit Max sie jederzeit hören kann. „Ich muss mich ja auf die Weihnachtszeit vorbereiten“, meint er freudig.
Unser mittlerweile 19-jähriger Sohn Max ist Autist mit sehr ausgeprägtem ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Syndrom). Max liebt Struktur, Programm und Musik. Die Adventzeit gefällt ihm, denn da finden viele Veranstaltungen statt. Er erkundigt sich, wann die Adventkranzweihe, der Adventmarkt, das Nikoloturnen, die Weihnachtsdisco, das Weihnachtssingen am Hauptplatz, das Pfarrcafé und vieles mehr stattfinden. Überall möchte er dabei sein. Max trifft gerne Leute, denen er Fragen stellen kann. Wird das kombiniert mit Musik, dann ist er ganz „in seinem Element“. Er freut sich, juchzt und singt lauthals mit. Sind wir dann einmal zuhause, tönen wiederum Weihnachtslieder durchs Haus. Er kennt alle Texte und alle Strophen. Die sogenannte Stille Zeit kann in unserem Haus ihrem Namen nicht gerecht werden.

Ein phänomenales Gedächtnis

Der Heiligabend ist auch für Max der Höhepunkt. Wochen vorher schon lädt er Oma und Opa zum abendlichen Weihnachtsfest bei uns ein. Er erinnert die Oma, dass sie wieder Baguette für das traditionelle Suppen-Essen mit den Enkelkindern kaufen muss, damit in der Zwischenzeit das Christkind in die Häuser flattern kann. Er weiß, wer letztes Jahr beim Weihnachtsspaziergang mit dabei war. Max hat ein phänomenales Gedächtnis, auf das von der Großfamilie gerne zurückgegriffen wird. Seine Wünsche an das Christkind hat er schon lange bei uns deponiert, es sind seit vielen Jahren immer die gleichen: Fotoalben und DVDs mit Filmen aus unserem Leben.
Endlich ist es so weit. Das Christkind kommt. Die elektrischen Baumkerzen strahlen, wir geben unser Bestes beim besinnlichen Musizieren, Singen und Lesen des Evangeliums. Max sitzt nicht bei uns am Tisch, er liegt auf der Couch und beobachtet aus der Ferne. Er ist aufgeregt, was einige irritierende zwanghafte Verhaltensweisen nach sich zieht. Die trüben etwas die Besinnlichkeit, aber nach 19 Jahren sind wir das gewohnt. Es geht zur Bescherung. Max startet los, sucht aus seinem Stapel jene Geschenke im Format eines Fotoalbums oder einer DVD. Diese packt er freudig aus und mit einem „Mah, darauf habe ich mich so gefreut!“ zieht er sich wieder auf die Couch zurück. Max blättert in den Fotoalben und lässt uns immer wieder an den vergangenen Erlebnissen teilhaben. Die anderen Geschenke bleiben von ihm ungeöffnet. Etwas Ruhe kehrt ein und spät abends dann, wenn Max schläft, ist sie endgültig da, die „Stille Nacht, Heilige Nacht, alles schläft, einsam wacht …“
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine besinnliche Adventzeit mit vielleicht nicht ganz so viel Programm, aber mit Menschen, die ebenso viel Freude versprühen wie Max um diese besondere Zeit im Jahr.
Birgit Kubik

Buchtipp: "In seinem Element. Der ganz normal-verrückte Alltag mit unserem autistischen Sohn", Tyrolia Verlag 2023, Presi 18,- Euro. Birgit Kubik spricht vom langsamen Anerkennen des Andersseins, von Diagnosen, Therapien und Meilensteinen in Max' Entwicklung. Und wie anstrengend das ständige Verfügbarsein ist, wie wichtig ein funktionierendes soziales Netzwerk.

Max am Adventmarkt in Enns. | Foto: privat
Autor:

Patricia Harant-Schagerl aus Niederösterreich | Kirche bunt

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