Kirche und Nationalsozialismus
„Wir sind nicht mit deutschem Blut erlöst“

In unserer Zeit scheint das enge Verhältnis zwischen Juden und Christen selbstverständlich, doch gab es eine Zeit, in der versucht wurde, die jüdischen Wurzeln des Christentums gewissermaßen auszuradieren. Dagegen stellte sich vor genau 90 Jahren in mutiger Weise der Erzbischof von München, Michael Kardinal von Faulhaber, in seinen berühmt gewordenen Adventpredigten.

Infolge des Angriffs auf Israel durch die palästinensische Terrororganisation Hamas kam es zu einer überwältigenden Solidaritätswelle von christlicher Seite gegenüber dem Staat Israel und dem Judentum. Papst Franziskus hat immer wieder die enge Verbindung zwischen Juden- und Christentum betont, wie erst kürzlich gegenüber der Europäischen Rabbinerkonferenz: „Und wir, die wir zu Christus gehören, brauchen euch, liebe Brüder, wir brauchen das Judentum, um uns selbst besser zu verstehen.“

Vor einigen Jahrzehnten war von diesem Konsens, dass zwischen Juden und Christen eine enge religiöse Verwandtschaft besteht, noch wenig zu spüren. Ab Ende des 19. Jahrhunderts, besonders allerdings ab der Machtergreifung Adolf Hitlers in Deutschland 1933, traten – vor allem im Bereich des Protestantismus – Strömungen zutage, die das Christentum „arisieren“ und von jüdischen Einflüssen, vor allem also vom Alten Testament, befreien wollten. Jesus selbst wurde die jüdische Herkunft abgesprochen und er mittels wirrer Theorien zum „Arier“ erklärt.

Im Advent 1933 – die Nationalsozialisten waren in Deutschland bereits ein schwaches Jahr an der Macht – fasste der Münchner Erzbischof Michael Kardinal von Faulhaber (1869-1952), der vor seiner Erhebung zum Bischof Professor für Altes Testament in Straßburg war, den mutigen Entschluss, diesen Entwicklungen öffentlich entgegenzutreten. Er kündigte über die Presse für die Adventsonntage (die Sonntage fielen exakt auf die gleichen Tage wie in diesem Jahr) einen Predigtzyklus über das Verhältnis von Juden- und Christentum in der Münchner St.-Michaels-Kirche an.

Der Andrang der Menschen war enorm: Die Kirche selbst war mit etwa 1.500 Menschen berstend voll und in zwei benachbarten Kirchen lauschten noch knapp 1.000 Gläubige über einen Lautsprecher den Worten des Kardinals.

„Wer nicht an die Inspiration glaubt und diese Bücher nicht als Gottes Wort und Gottes Offenbarung entgegennimmt, der muss das Volk Israel für das Übervolk der Weltgeschichte halten.“

In seiner ersten Predigt erläuterte er sein Motiv zu diesem Vorgehen: „Wenn die Rassenforschung, an sich eine religiös-neutrale Sache, zum Kampf gegen die Religion sammelt und an den Grundlagen des Christentums rüttelt, wenn die Abneigung gegen Juden von heute auf die Heiligen Bücher des Alten Testamentes übertragen und das Christentum wegen seiner ursprünglichen Beziehungen zum vorchristlichen Judentum verdammt wird, wenn Steine gegen die Person unseres Herrn und Erlösers geworfen werden, in einem Jahr, in dem wir das Jahrhundertsgedächtnis seines Erlösungswerkes feiern, kann der Bischof nicht schweigen.“

Die bleibenden Werte des Alten Testaments

Faulhaber verteidigte in seinen Predigten die bleibenden Werte des Alten Testaments für die christliche Religion. Das christliche Gottesbild sowie der Erlösungsgedanke haben schließlich ihren Ursprung in den alttestamentlichen Schriften. Er betonte außerdem die moralischen Prinzipien der zehn Gebote sowie die Grundlinie der vorchristlichen heiligen Schriften, alles dem Willen Gottes unterzuordnen, worauf auch die christliche Morallehre aufbaut. Der Erzbischof klärte außerdem über die im Alten Testament enthaltene Sozialordnung auf, die „für die soziale Ordnung aller Zeiten wertvolle und wertbeständige Bausteine geliefert“ habe. „Wer nicht an die Inspiration glaubt und diese Bücher nicht als Gottes Wort und Gottes Offenbarung entgegennimmt, der muss das Volk Israel für das Übervolk der Weltgeschichte halten. Es gibt keine andere Wahl als dieses Entweder-Oder. Entweder glauben wir an die Inspiration der Hl. Bücher oder wir müssen dem jüdischen Volke sagen: ,Du bist die genialste Rasse der Weltgeschichte‘“, so Faulhaber.

Der Beweis für die enge Verknüpfung des Alten und Neuen Testaments sei ihm zufolge Christus selbst. Er sei „der Schlussstein des Alten Bundes“ und „Eckstein des Neuen Bundes, die persönliche Brücke vom Judentum zum Christentum“. An Christus zu glauben, heiße demnach, an die Verbindung von Altem und Neuem Testament zu glauben. Er rief daher seine Zuhörer auf: „Deutsches Volk, bewahre, was du hast! Lass dir das kostbare Erbgut der Hl. Bücher nicht aus der Hand schlagen und dulde nicht, dass der biblische Unterricht aus der deutschen Schule ausgeschaltet und so ein schwerer Raub an den deutschen Kindern begangen werde!“

Nicht nur die Wahl des Themas war für die Nationalsozialisten provokant. Kardinal Faulhaber ließ auch immer wieder Seitenhiebe gegenüber den Machthabern fallen. So kritisierte er etwa das indifferente nationalsozialistische Gottesbild: „Unter Christen darf der Name Gott nicht so ausgehöhlt werden, dass er ebenso gut dem Jupiter des Olymp, dem Allah von Mekka oder dem Donar der alten Germanen gelten könnte.“

Das Christentum gehört zu Deutschland

Am Silvesterabend legte der Erzbischof noch ein Scheibchen nach: Unter dem Titel „Christentum und Germanentum“ prangerte er die von den Nationalsozialisten propagierte Rückkehr zum germanischen Heidentum an. „Die Bekehrung der Germanen zum Christentum war keine Verkehrtheit, keine Störung der artgetreuen Entwicklung. Die größte Verkehrtheit wäre die Rückkehr zum alten heidnischen Germanentum. […] Das deutsche Volk wird nämlich entweder christlich sein oder es wird nicht sein. Ein Abfall vom Christentum, ein Rückfall in das Heidentum wäre der Anfang vom Ende des deutschen Volkes.“ Er bekannte sich zu seinem eigenen Nationalstolz, betonte allerdings, dass „die Liebe zur eigenen Rasse in der Kehrseite niemals Hass gegen andere Völker werden“ dürfe, und erinnerte: „Wir sind nicht mit deutschem Blut erlöst. Wir sind mit dem kostbaren Blut unseres gekreuzigten Herrn erlöst.“

Die Resonanz auf die Predigten war derart überwältigend, dass diese wenig später in Buchform erschienen und sogar in verschiedenen Sprachen im Ausland vertrieben wurden. Angesichts der Zeitumstände, in denen die Predigten gehalten wurden, können sie mit Recht als beeindruckendes Zeichen eines mutigen Hirten der Kirche bezeichnet werden.

Autor:

Felix Deinhofer aus Niederösterreich | Kirche bunt

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