Kirchengeschichte
Ein Leben im Dienst an Gott und den Menschen

Jakob Kern als Soldat der k.u.k. Armee.  | Foto: KNA-Bild
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Der selige Jakob Kern starb vor 100 Jahren, am 20. Oktober 1924. Noch heute fasziniert die Persönlichkeit des Geraser Prämonstratensers, der sein Leben dem Dienst an Gott, seiner Heimat und seinen Mitmenschen widmete und sein eigenes Wohlbefinden dabei stets hintanstellte. 1998 wurde er seliggesprochen.

Geras 1956: Am frühen Morgen des 26. Septembers wurde das Grab eines Priesters, der 42 Jahre zuvor verstorben war, geöffnet. „Ehrfurchtsvolles Staunen veranlasste der Anblick der rechten Hand und des Unterarmes, welche mumifiziert waren“, erinnerte sich später der Amtsarzt des Bezirkes Horn. Während der Leichnam des Priesters bereits fast vollständig verwest war, war die rechte Hand – jene, die der Priester so oft zum Segen erhoben hatte – noch intakt. In einer langen Prozession, bestehend aus Chorherren und zahlreichen betenden Gläubigen, wurden die sterblichen Überreste dieses Mannes vom Friedhof in das Stift Geras getragen. Der Grund für dieses eigenartige Vorgehen: In den Jahren zuvor wurde von einigen Gebetserhörungen von Gläubigen berichtet, die diesen Priester um Fürsprache angerufen hatten. Der Abt von Geras, Prälat Isfried Franz, bemühte sich daraufhin um ein Seligsprechungsverfahren für einen seiner berühmtesten Mitbrüder: Jakob Kern.
Doch was war das Besondere an diesem jungen Prämonstratenser, dessen Dasein nach nur 27 Lebens- und zwei Priesterjahren am 20. Oktober 1924 ein jähes Ende genommen hat? Wie konnte er in dieser kurzen Zeit seines Wirkens seinen Mitmenschen so prägend in Erinnerung bleiben, dass über vier Jahrzehnte nach seinem Tod ein Seligsprechungsverfahren eingeleitet wurde?

Der kurze, aber intensive Lebensweg Jakob Kerns begann im erst kurz zuvor nach Wien eingemeindeten Breitensee, wo er am 11. April 1897 als Franz Alexander Kern in eine ärmliche Familie geboren wurde. Seine Mutter Anna hatte zur Zeit ihrer Schwangerschaft eine Wallfahrt nach Maria Enzersdorf begangen, wo sie gegenüber der Gottesmutter das Versprechen ablegte, ihr Kind – falls es ein Sohn werde – zum Priesterberuf zu führen. Dieses Versprechen behielt sie jedoch für sich, bis sie es ihrem Sohn an ihrem Sterbebett 1920 offenbarte.
Entsprechend diesem Gelöbnis brachte sie ihren Sohn oft in die neuerrichtete neugotische Pfarrkirche Breitensee. Die liturgische Inszenierung, das Geheimnis der heiligen Messe faszinierte Franz Kern von klein auf. Im zarten Alter von fünf Jahren wünschte er sich daher vom Christkind „einen Altar mit Kerzenleuchtern und Kerzen und Blumenstöckerln“. Sein früh gefasster Entschluss, ein geistliches Amt anzustreben, blieb seine ganze Jugend hindurch bestehen. Nach Beendigung der Volksschule trat er daher ins Erzbischöfliche Knabenseminar in Hollabrunn ein und besuchte das dortige Gymnasium. Im Alter von 14 Jahren schloss er sich dem Dritten Orden der Franziskaner an.

Zunächst für sein reges Gebetsleben an der Front belächelt, erlangte er bald den Ruf als „Schutzengel der Kompanie“.

Nach Ablegen der Kriegsmatura im Jahr 1915 wurde Kern zum 59. Infanterieregiment in Salzburg eingezogen. Die Unterbrechung seiner geistlichen Ausbildung machte dem Maturanten zu schaffen, doch sah er auch den Dienst am Vaterland als heilige Pflicht an, die er bereitwillig übernahm. Er absolvierte die Ausbildung zum Truppenoffizier, wonach er an die italienische Front versetzt wurde. Nach Ankunft im Südtiroler Ort Schluderns besuchte er sogleich die Dorfkirche. In sein Kriegstagebuch schrieb er: „Eine nette, liebe Kirche zog mich gleich hin. Ist ja dort mein Liebstes auf dieser Welt, dem ich so gerne dienen möchte.“

Jakob Kern als Student im "Couleur" der Amelungia Wien | Foto: KNA-Bild
  • Jakob Kern als Student im "Couleur" der Amelungia Wien
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Der sensible Soldat musste sich erst an seine Rolle als Kommandant gewöhnen. Respekt unter seinen Untergebenen erlangte er nicht durch Ausübung seiner Autorität, sondern vielmehr durch schlichtes Vorleben des soldatischen Pflichtbewusstseins. Berichtet wird etwa von einer Begebenheit, in der er kurzerhand selbst den Wachdienst übernahm, nachdem sich niemand freiwillig dazu gemeldet hatte. Zunächst für sein reges Gebetsleben an der Front belächelt, erlangte er nach einiger Zeit den Ruf als „Schutzengel der Kompanie“.
Am 11. September 1916 erlitt er einen Lungen- und Leberdurchschuss. Erst zwei Tage später folgte die erste von zahlreichen Operationen, der erste Tag seiner „Karwoche“, wie er es selbst bezeichnete. Die Feldärzte mussten sechs Zentimeter einer Rippe entfernen. Man teilte ihm sein baldiges Ende mit, worauf er jedoch rief: „Nein, ich sterbe nicht, ich will Priester werden!“ Allen Vorhersagen entgegen erholte er sich tatsächlich von dieser ersten Operation.
Nach einem einjährigen Erholungsurlaub konnte sich Franz Kern an der Universität Wien für das langersehnte Theologiestudium einschreiben. In einem Brief schrieb er: „Ich habe gelitten. Ich fühle mich sehr glücklich, so ähnlich wie nach einer guten Handlung, und glaube, nun wenigstens einigermaßen geläutert in die heiligen Hallen des Priestertums eintreten zu dürfen. Ich freue mich, einen kleinen Erziehungskurs in der Rennbahn des weiten, großen öffentlichen Lebens gemacht zu haben. Ich habe gesehen, wie wenige Ideale die Welt besitzt, und gelernt, wie schön es ist, trotz äußerer Verachtung beim göttlichen Herzen in die Schule zu gehen.“

Über seinen Subregens im Priesterseminar, den späteren Wiener Seelsorgeamtsleiter Prälat Karl Rudolf, trat Kern der für ihn sehr prägenden katholischen Studentenverbindung Amelungia Wien bei und wählte dort den Vulgonamen „Amfortas“. Ob die Benennung nach dem Leidenskönig aus Wagners „Parsifal“ in einer Vorahnung über sein eigenes Schicksal begründet war?

Einmal noch musste der Seminarist Kern seine Studien unterbrechen: Gegen Kriegsende, im Februar 1918, wurde er zurück an die Front gerufen. Den Priesterkollar unter der Uniform tragend setzte man ihn jedoch nur mehr im Kanzleidienst ein. Nach Ende des Krieges wurde er aus der Armee entlassen.

„Weißt du nicht, dass Gott immer und zu allen Zeiten Menschen braucht, die einen zum Arbeiten, die anderen zum Leiden?“

Zurück in Wien wurde Kern mit dem Zusammenbruch der alten Ordnung, in der er aufgewachsen war, konfrontiert. Im unabhängig gewordenen tschechoslowakischen Nachbarland zeigte sich vor allem der Zusammenbruch der religiösen Ordnung besonders krass: Die sich formierende „Tschechische Nationalkirche“, eine hussitische schismatische Bewegung, zerschlug die bisherigen kirchlichen Strukturen. Kern kam die Geschichte des Isidor Zahradník zu Ohren, eines Prämonstratensers, der das Kloster Strahov in Prag 1919 verlassen hatte, um die Nationalkirche mitzubegründen. Für den jungen Franz Kern war dies kirchliche Fahnenflucht, ein Verrat, der gesühnt werden musste – nicht jedoch etwa durch Rache, sondern durch ein Sühneopfer. Und dieses darzubringen, sah er als seine Aufgabe an. Er entschloss sich daher, sich dem Prämonstratenserorden als Sühnepriester zur Verfügung zu stellen und ins Stift Geras einzutreten.

Am 18. Oktober 1920 wurde Franz Kern durch Abt Ämilian Greisl in den Konvent des Stiftes Geras aufgenommen und erhielt den Ordensnamen Jakob. Einem Freund aus Wien, der ihn beim Einzug in seine Zelle begleitete, sagte er: „Schau, jetzt gehört gar nichts mehr mir, du glaubst ja nicht, wie glücklich ich bin.“

Jakob Kern als Prämonstratenserchorherr in Geras | Foto: KNA-Bild

Seelsorge im Schatten der Krankheit

Das langersehnte höchste Glück seines Lebens erreichte Jakob Kern jedoch am 23. Juli 1922, als er von Friedrich Kardinal Piffl im Wiener Stephansdom zum Priester geweiht wurde. Der Gesundheitszustand des jungen Geistlichen hatte sich zusehends verschlechtert. In der Nacht vor seiner Primiz erlitt er heftige Hustenanfälle. Er ließ sich davon jedoch nicht entmutigen und nahm mit großer Freude seine seelsorgliche Tätigkeit in der Umgebung von Geras auf. Er wurde zu einem beliebten Prediger und Beichtvater.

Beim Beichtdienst zu Ostern 1923 erkältete sich Jakob Kern schwer und seine Kriegsverwundung brach wieder auf. Es folgte eine weitere Operation, bei der man ihm ohne Narkose – sein Herz wäre für eine Ätherbetäubung zu schwach gewesen – vier Rippen entnahm. Er soll sich dabei noch beim Chirurgen für die Anstrengungen, die er verursache, entschuldigt haben.

Erholen konnte er sich von dieser Operation, die ihm noch wenige Monate am Leben hielt, nicht mehr. Mitleid lehnte er ab. Einer Vertrauten gegenüber sagte er: „Ich bin nicht arm. Weißt du nicht, dass Gott immer und zu allen Zeiten Menschen braucht, die einen zum Arbeiten, die anderen zum Leiden?“
Es folgte eine Reihe von weiteren Operationen. Die letzte, bei der ihm am 20. Oktober 1924 weitere Rippen extrahiert werden sollten, überlebte er nicht. Am Tag vor seinem Ableben ersuchte er die Krankenschwester: „Bitte, richten Sie heute alles recht schön her für die heilige Kommunion, denn die erste und die letzte Kommunion muss man besonders feierlich begehen, und morgen wird meine letzte Kommunion sein.“

Bei seinen Mitmenschen – seinen Kameraden und Studienkollegen genauso wie den Gläubigen, deren Seelsorger er im nördlichen Waldviertel war – hinterließ Jakob Kern einen tiefen Eindruck. Einige derer, die ihn noch gekannt hatten, riefen ihn nach seinem Tod um Fürsprache an und wurden erhört. Der Kanonisationsprozess wurde 1956 eingeleitet und fand 1998 mit der Seligsprechung durch Papst Johannes Paul II. seinen vorläufigen Abschluss.

Näheres zu Jakob Kern ...
... gibt es seit 26. September 2024 in der Sonderausstellung „Jakob Franz Kern – Vom Sühnepriester zum Schutzpatron“ in der Flurgalerie des Stiftes Geras zu erfahren.

Autor:

Kirche bunt Redaktion aus Niederösterreich | Kirche bunt

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