Rom wurde vor 150 Jahren Hauptstadt Italiens
Als die weltliche Macht des Papstes zu Ende ging

Blick in die entgegengesetzte Richtung von der Kuppel des Petersdoms über Rom und den Petersplatz mit den Bernini-Kolonnaden. | Foto: Leopold Schlager
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  • Blick in die entgegengesetzte Richtung von der Kuppel des Petersdoms über Rom und den Petersplatz mit den Bernini-Kolonnaden.
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Mit einem Gesetz vom 3. Februar 1871 wurde Rom offiziell zur Hauptstadt Italiens. Die politische Macht der Päpste, die 1.116 Jahre lang über die Stadt und weite Teile Mittelitaliens geherrscht hatten, ging damit – vor nunmehr 150 Jahren – zu Ende.

Nach fast kampfloser Eroberung Roms am 20. September 1870 durch piemontesische Truppen brauchte das neue Italien eine Hauptstadt. Der einstige Kirchenstaat war am 6. Oktober 1870 per Dekret an Italien angegliedert worden. Und am 3. Februar 1871 ordnete König Viktor Emanuel II. den Umzug der Regierung von Florenz nach Rom an.

Papst Pius IX. (1846-1878) zog sich verbittert als Gefangener in den Va­tikan zurück, lehnte alle Garantieangebote ab und belegte die Usurpatoren des Patrimoniums Petri, des einstigen Kirchenstaates, mit dem Bann. Er wollte nicht italienischer Ehrenbürger werden, sondern sah sich weiterhin als Souverän. Erst 1929 fan-
den die Lateran-Verträge eine einvernehmliche Lösung zwischen dem Heiligen Stuhl und Italien und beendeten die „Römische Frage“.

Sofort nach der Einnahme Roms begannen in der Stadt die Vorbereitungen für die neue säkulare Staatlichkeit. Pius IX. hatte bis zuletzt auf eine politische Rettung gehofft. Bei der Eroberung leistete seine aus 13.000 internationalen Freiwilligen bestehende Armee nur symbolisch Widerstand. Zuvor hatte der Papst
allen die Exkommunikation angedroht, die das Feuer auf die Stadt eröffneten. Die abschreckende Wirkung hielt sich in Grenzen. Allerdings erteilte nicht Oberbefehlshaber Raffaele Cadorna den Befehl zur Kano­nade, sondern Artillerie-Hauptmann Giacomo Segre – der als Jude nicht unter die Kirchenstrafe fiel.

Kaum hatte sich der Pulverdampf an der 50 Meter breiten Bresche nahe der Porta Pia verzogen, rückten die italienischen Divisionen in der Stadt ein und besetzten die ihnen zugewiesen Stadtteile. Die Bevölkerung, die wenige Tage zuvor noch dem Papst zugejubelt hatte, sympathisierte mehr und mehr mit den neuen Machthabern.

Übergriffe auf Priester und Ordens­institute

Chronisten sprachen von tätlichen Übergriffen auf Kleriker und Ordens­leute. Schon am 2. Oktober 1870 stimmte die Bevölkerung über den Anschluss Roms an das Königreich ab. Das Ergebnis sah überwältigend aus: In der Stadt gab es 40.785 Ja- und nur 46 Nein-Stimmen, in der gesamten Provinz 133.681 gegenüber 1.507. Allerdings war die Wahlbeteiligung niedrig – wohl auch wegen der angedrohten Exkommunikation. In der Diözese Veroli etwa legte der Bischof seine große Diözesan-Firmung auf den Tag des Plebiszits. General Cadori und die zuständigen Minister aus Florenz begannen in Rom mit den Planungen für die neuen Staatsauf­gaben.
Rund 50 Ordenskonvente und große Verwaltungsgebäude wurden per Dekret enteignet, um Platz für Behörden zu schaffen. Der Quirinals­palast – zuvor päpstlicher Amts- und Sommersitz im Zentrum der Stadt – wurde Residenz des Königs. Im Palazzo Madama, dem Sitz der Päpstlichen Finanzverwaltung, sollte der Senat seinen Platz finden, im Palazzo Montecitorio, zuvor Sitz des Tribunals, die Abgeordnetenkammer.

Proteste blieben wirkungslos

Drei Wochen später verurteilte Pius IX. in der Enzyklika „Respicientes ea“ vom 1. November 1870 die Beset­zung des Kirchenstaates aufs Schärfste. Sie sei ungerecht, gewaltsam, nichtig und ungültig. Er protestiere vor Gott und der ganzen katholischen Welt, dass er in einer solchen Gefangenschaft die höchste pastorale Autorität nicht mit Sicherheit, Zügigkeit und Freiheit ausüben könne. Später verbot er in der Bulle „Non expedit“ allen Katholiken die Teilnahme an Wahlen im neuen Nationalstaat.

Zwei Tage vor Jahresschluss 1870 kam der König, mit dem Zug und in Zivil, zu einer Stippvisite für wenige Stunden nach Rom – das von einem verheerenden Hochwasser (mancher wollte darin einen Wink Gottes sehen!) heimgesucht war. Er fuhr im Landauer vom Bahnhof zum Quirinal und zeigte sich seinen Anhängern dort kurz am Fenster. Ein Brief, den er dabei an den Papst richtete, blieb unbeantwortet. Sein eigentlicher Umzug und der der Regierung erfolgten erst Mitte 1871.

Wie Pius IX. setzte auch sein Nachfolger, der große Sozial-Papst Leo XIII., die harte Linie gegenüber dem neuen Staat fort. Erst mit Beginn des 20. Jahrhunderts lockerten die Päpste das Verbot von Wahlen und politischer Beteiligung. 1919 konnte Luigi Sturzo mit seiner katholischen Volkspartei PPI offiziell an den Parlamentswahlen teilnehmen.

Nach den Lateran-Verträgen dauerte es noch gute 80 Jahre, bis mit Tarcisio Bertone 2011 erstmals ein Kardinalstaatssekretär am staatlichen Gedenken für die italienischen Gefallenen der Porta Pia teilnahm. Zum 150-Jahr-Gedenken der Staats- und Hauptstadtgründung, das Rom seit Anfang Februar 2020 mit einem einjährigen Programm „Roma Capitale“ begeht, hat sogar der Papst eine Botschaft geschickt.

Italiens Sieg und die Proklamation Roms zur Hauptstadt hätten damals Kontroversen und Polemik hervorgerufen. Aber sie veränderten Rom, Italien und die Kirche: Eine neue Geschichte begann. Aus der Erinnerung an die Vergangenheit müsste man eine gemeinsame Zukunft leben. Inmitten der vielen internationalen Konflikte sollte Rom eine Stadt der Begegnung sein – mit der Vision von Brüderlichkeit, Einheit und Friede für die Welt.
Johannes Schidelko / KNA

Autor:

Kirche bunt Redaktion aus Niederösterreich | Kirche bunt

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